Theresa May stehen anstrengende Verhandlungen bevor.

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London/Wien – Die britischen Konservativen streiten mit Brüssel über die Höhe jener Zahlungen, die London wegen des Brexits überweisen muss. Hohe Forderungen von bis zu 100 Milliarden Euro könnte die Chancen der Partei, die sich als harte Brexit-Bewegung positioniert, erhöhen.

Die Stimmung spiele keine Rolle, sagt Michel Barnier. Ob Großbritannien Brüssel nun mehr oder weniger zugeneigt sei, ändere nichts daran, dass London sich an die Verhandlungsleitlinien für den Ausstieg aus der EU halten müsse, die man beim Gipfel am vergangenen Wochenende beschlossen habe. Der Chefverhandler der EU betonte, er werde sich nicht von "Emotionen und Feindseligkeiten" leiten lassen, wenn er mit London über den Ausstieg verhandle. Immerhin gelte es, eine Einigung zu finden, die auf Gegenseitigkeit beruhe.

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Vor den versöhnlichen Worten hatte Brüssel den Briten freilich die Rute ins Fenster gestellt. Wie die Financial Times am Mittwoch berichtete, soll sich in den internen Berechnungen der Union eine noch größere Schuldensumme des Vereinigten Königreiches bei der EU ergeben haben als bisher angenommen. War man bis dato von 60 Milliarden Euro ausgegangen, sei nun von 100 Milliarden die Rede. Die Kommission bestätigte diese Angaben am Mittwoch nicht. Die Berechnungen laufen noch, hieß es aus Brüssel.

Gute Prognosen für Tories

Für die britische Regierung kommt die Meldung zu einem Zeitpunkt, der sich innenpolitisch günstig ausnimmt – am Mittwoch hatte sich das Parlament aufgelöst, um so den Weg für die Neuwahl des Unterhauses in einem Monat zu bereiten. Die Konservativen haben in Umfragen schon mit der harten Linie gegen Brüssel gepunktet. Brexit-Minister David Davis betonte sogleich im TV, London werde keine 100 Milliarden bezahlen. Die Höhe der Brexit-Rechnung werde in den Verhandlungen und nicht von der Europäischen Union festgelegt.

Ob sich das auch in Stimmen ummünzen lässt, wird man womöglich schon bald wissen. Fünf Wochen vor dem Wahltermin steht großen Teilen Großbritanniens heute, Donnerstag, ein wichtiger Stimmungstest bevor. Bei den Kommunalwahlen in ganz Schottland und Wales sowie in ländlichen Gebieten Englands stehen insgesamt 4851 Mandate zur Disposition. Zusätzlich wählen englische Ballungsgebiete um Birmingham, Manchester, Bristol und Liverpool erstmals ihre Bürgermeister direkt. Die Prognosen für die Tories standen zuletzt günstig, sagen Professoren wie Colin Rallings und Michael Thrasher von der Uni Plymouth.

Das altgediente Expertenteam für die Lokalpolitik Englands studiert seit Jahr und Tag britsche Wahlen. Überwiegend sind dies Nachwahlen zu Kommunalparlamenten, wo Ersatz gesucht wird für ausgeschiedene oder verstorbene Teilzeitpolitiker. Dabei haben die Konservativen von Premierministerin Theresa May in den vergangenen Monaten erstaunliche Siege verzeichnet, beispielsweise in einem Vorort des nordenglischen Middlesbrough, wo sich Tories seit Maggie Thatchers brutalen Wirtschaftsreformen vor 30 Jahren kaum noch blicken lassen konnten.

Labour auf Desasterkurs

Vor fünf und vier Jahren, als die jetzt ausgeschriebenen Sitze zuletzt vergeben wurden, konnte Labour vom Oppositionsbonus profitieren. Diesmal drohen Kahlschläge, vor allem in Wales und Schottland. Im kleinen Wales mit seinen drei Millionen Einwohnern werde die dort früher stark verwurzelte Partei "mehr Kommunalmandate verlieren als in ganz England", prophezeit Professor Roger Scully von der Uni Cardiff. Auch Professor John Curtice von der Glasgower Strathclyde-Universität rechnet mit einem Labour-Desaster: "Es wäre sehr überraschend, wenn die Partei auch nur ein einziges Rathaus halten könnte."

Hingegen deuten sowohl Umfragen wie die Ergebnisse von Nachwahlen auf eine Renaissance für die Liberaldemokraten hin, allerdings von niedrigem Niveau. So könnten die Liberalen von ihrer konsequenten Kritik am harten Tory-Brexit profitieren, nicht zuletzt im englischen Westen, beispielsweise in Cornwall.

In der zweitgrößten englischen Metropole Birmingham muss sich der Labour-Kandidat Sion Simon, der Herausforderung durch einen Polit-Neuling erwehren: Für die Tories zieht der frühere Leiter der Warenhauskette John Lewis, Andy Street, in die Schlacht. In Manchester tritt Labour-Kandidat Andrew Burnham fast schon als Unabhängiger an. Er versucht, mit Distanz zu Parteichef Jeremy Corbyn zu punkten. (sbo, mesc, 3.5.2017)