Gaza-Stadt/Jerusalem – Die Hamas bewegt sich mit ihrer am Montag veröffentlichten neuen 42-Punkte-Erklärung entlang der schönen Redewendung "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass": Die alte, radikale Charta wird nicht abgeschafft, aber neben die alten Prinzipien wird als Politikgrundlage eine pragmatische Anerkennung der Fakten der Gegenwart gestellt. So ungefähr formulierte es Hamas-Chef Khaled Meshal bei der Präsentation des "Dokuments" (das auch nicht Charta heißt).

Die als Terrororganisation eingestufte radikalislamische Hamas, die in den 1980er-Jahren als Ableger der ägyptischen Muslimbruderschaft gegründet wurde und seit 2007 den Gazastreifen kontrolliert, befindet sich damit ungefähr da, wo die PLO Anfang der 1990er war. Den einen – vor allem natürlich Israel – ist das viel zu wenig, anderen zu viel. Wozu habe der Gazastreifen jahrelange Isolation und drei Kriege mit Israel durchmachen müssen, um jetzt dort zu landen, was man immer als internationale Verschwörung gegen die Palästinenser bezeichnet habe: bei einem Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967? Das sei Verrat. So heißt es zusammengefasst in Postings.

Entwurf ging weiter

Die anderen grundsätzlichen Änderungen betreffen die Unterscheidung zwischen Juden und Zionismus, wenngleich, wie Amira Hass in Haaretz schreibt, ein vor vier Wochen geleakter Entwurf des Dokuments in dieser Beziehung viel weiter ging. Weiters versucht sich die Hamas neu als palästinensische Nationalbewegung zu positionieren: auf Kosten des Primats des Islam. Dazu gehört auch die Distanzierung von der ägyptischen Muslimbruderschaft. Der Hamas war ja oft vorgeworfen worden, dass sie eine islamistische, keine palästinensische Agenda habe.

Aber warum macht die Hamas das überhaupt: Diese Frage ist vielleicht noch wichtiger als jene nach der Relevanz der Änderungen – denn über Letztere wird die Geschichte entscheiden, je nachdem, ob die Entwicklung weitergeht oder nicht.

An dem Versuch einer Neupositionierung wurde offenbar ein paar Jahre lang gearbeitet, aber dass er gerade jetzt präsentiert wird, ist natürlich kein Zufall. Es gibt eine Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung der Hamas: Sie will die Palästinenser anführen und sieht, angesichts der Schwäche von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, den richtigen Zeitpunkt dafür.

Andererseits muss die Hamas der Palästinenserbehörde – die zuletzt Geld als Druckmittel gegen den Gazastreifen verwendete und Strom und Gehälter nicht mehr zahlen wollte – Argumente aus der Hand nehmen. Eine gemeinsame Regierung erscheint nun wieder möglich.

Die Sicht von außen ist eher so, dass die Ratgeber der Hamas – die zum Teil in der Türkei, aber auch in Katar sitzen – meinten, sie müssten die Hamas auf eine neue Schiene stellen, bevor es dafür zu spät sei. Ob die Imageschönung wirklich gelungen ist, wird auch davon abhängen, ob dem ägyptischen Präsidenten Abdulfattah al-Sisi die Abkehr der Hamas von der Muslimbruderschaft, die er bekämpft, weit genug geht. Er sitzt am Tor der Hamas zur Welt.

Abkehr vom Iran

Die arabischen Golfstaaten hingegen, allen voran Saudi-Arabien, wollen vor allem sehen, dass die Hamas in den arabisch-sunnitischen Block zurückkehrt – das heißt, sich vom Iran endgültig abwendet. Die Beziehungen zum Iran waren seit dem Aufstand in Syrien, wo sich die Hamas gegen ihren früheren Förderer, das Assad-Regime, stellte, ohnehin schon angeschlagen. Die Waffenroute der Hamas über den Sudan ist auch nicht mehr so viel wert, seit sich der Sudan – von Saudi-Arabien mit Zuckerbrot und Peitsche dazu gebracht – vom Iran abwandte und ebenfalls an den arabischen Busen zurückkehrte. (guha, 3.5.2017)