Wien – Für den afroamerikanischen Schriftsteller James Baldwin gaben die Helden des Hollywoodkinos der 1930-Jahre nur windschiefe Identifikationsangebote ab. Ein Film, den er verehrte, schreibt er in seinem Essay The Devil Finds Work, war Fritz Langs You Only Live Once. Der von Henry Fonda verkörperte Kriminelle, der Zutritt zur Gesellschaft sucht, dem dies jedoch misslingt, sei ein "Nigger" seiner Zeit gewesen. Lang habe verstanden, dass wir alle für die Hervorbringung dieses Monsters Verantwortung tragen: Wir würden denjenigen isolieren, von dem wir wissen, dass er mitten unter uns lebt.

Bloß ein düsterer Albtraum oder doch in den Fängen einer weißen Familie
mit sinistren Absichten? "Get Out" schickt den Zuschauer mit seinem Helden Chris (Daniel Kaluuya) in die Hölle der Mehrdeutigkeit.
Foto: upi

Was hat dieser historische Exkurs mit der Gegenwart zu tun? Auf den zweiten Blick sehr viel. Denn Get Out, der Debütfilm des Afroamerikaners Jordan Peele, erzählt eine vergleichbare Geschichte, allerdings unter völlig veränderten Ausgangsbedingungen. In den USA, wo gerade zwei Amtsperioden des ersten schwarzen Präsidenten Barack Obama mit einem Paradigmenwechsel zu Ende gingen, erzeugte die nicht einmal fünf Millionen teure, brillante Horrorkomödie unglaubliche Resonanz. Allein in seiner Heimat spielte der Film des 38-jährigen TV-Komikers bisher 135 Millionen Dollar ein.

Anders als der Hollywood-Emigrant Lang, den noch die auf den sozialen Ausschluss einsetzende Gewalt beschäftigt hat, behandelt Peele die Phantasmen, die hinter der Idee der gesellschaftlichen Teilhabe lauern – also auch die Unaufrichtigkeiten hinter jener wohlmeinenden Toleranz, die auf so vermeintlich soliden Sockeln steht.

Ängste, die bleiben

Schon die Titelsequenz lässt keinen Zweifel aufkommen, dass sein Held Chris Washington, verkörpert vom Briten Daniel Kaluuya, in der Mitte angekommen ist. Die Kamera blättert sich durch sein Appartement wie durch einen Schöner-Wohnen-Katalog. Rose (Allison Williams), die Freundin des Kunstfotografen, ist weiß. Die Sache zwischen den beiden ist ernst, sie möchte Chris ihren Eltern vorstellen. Dass ihm bei dem Gedanken daran unbehaglich wird, kann man spüren. Er trägt das Wissen seiner Vorväter in sich. Rose hat ihren Eltern nicht gesagt, welche Hautfarbe er hat – es spielt keine Rolle, sagt sie.

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Die kluge Verschiebung von Jordan Peele liegt nun darin, dass er die böse Vorahnung, mit der jeder Horrorfilm operiert, zu einem Spiel mit Rasse und Ressentiment werden lässt. Die Erzählbausteine sind vertraut und doch anders aufgeladen. Wenn schon bei der Fahrt in das idyllisch im Wald gelegene Familienhaus ein Reh ins Auto läuft, ist das mehr als ein schlechtes Omen. Es verweist auch auf eine Kulturgeschichte der Jagd, auf die Idee des angestammten Reviers, das Roses Vater (Bradley Whitford) später, allerdings noch scherzhaft, ins Spiel bringt.

Get Out balanciert in der Folge mit feinem Sensorium für Doppelbödigkeiten auf dem schwierigen Grat zwischen Groteske und Horror. Während Roses Eltern, abgesehen von einigen Spleens – die Mutter (Catherine Keener) schwört auf die heilende Kraft der Hypnose –, die Rolle der liberalen Vorzeigefamilie verdächtig übererfüllen, fesselt Peele den Zuschauer an die Perspektive des schwarzen Außenseiters. Die Suspense verdankt sich dem Umstand, dass lange ungewiss bleibt, ob alles nur eine paranoide Wahnvorstellung ist.

Die gewiefte, mindestens um zwei Ecken gedachte Auflösung soll hier nicht verraten werden. Sie sucht jedenfalls nicht den naheliegenden Schluss, sondern drängt den Helden – wie bei Lang – Schritt für Schritt selbst in die Isolation. Chris ist nicht der einzige Schwarze auf dem Familiensitz: Doch die Brothers und Sisters taugen nicht zur Identifikation, die für die Gemeinschaftsstiftung so wichtig ist. (Dominik Kamalzadeh, 5.5.2017)