Rini Tandon: "Catching the Sun" (2012-2016)

Foto: Courtesy Galerie Raum mit Licht

Wie wird sich das Fortschreiten der Technologie auf den menschlichen Körper auswirken? Verkümmern unsere feinmotorischen Fähigkeiten, wenn die handwerkliche Präzisionsarbeit der 3-D-Drucker übernimmt?

Auf ebenso kluge wie humorvolle Weise hat sich Rini Tandon bereits im Rahmen der Schau Bits to Pieces bei der Moskauer Biennale 2013 mit dieser Frage befasst: Ihr Reflection Board, das nun auch Teil der Ausstellung Facing the Tangible in der Galerie Raum mit Licht ist, zeigt eine abstrahierte Hand, die sich aus kleinen weißen Plastikgliedern zusammensetzt. Graue Mäuse verweisen auf die Laborartigkeit der Situation, in der sich die Menschheit befindet. Gleichzeitig assoziiert man aber auch Skelette von Dinosauriern im Museum, was doch eher beunruhigend ist.

Hände tauchen als "Instrumente" der (Welt-)Wahrnehmung in der Schau mehrfach auf: Catching the Sun (2012-2016) heißt etwa eine Fotoserie, die Röntgenaufnahmen von Händen zeigt. In einem analogen Verfahren hat Tandon diese so abfotografiert, dass es aussieht, als würde mit Daumen und Zeigefinger die Sonne eingefangen. Mindestens genauso poetisch ist die Serie Anthology of a Walk (2012-2016): Ausgangsmaterial sind wiederum Röntgenaufnahmen, nur dass man hier durch einen schemenhaften Fußabdruck auf Naturaufnahmen blickt.

Medium je nach Fragestellung

Die Künstlerin, die die Welt sorgsam forschend begeht, übersetzt ihr Nachdenken nicht in ein einzelnes Medium. Ob es um den Klimawandel, diverse Kulturtechniken oder abstrakte philosophische Fragen geht: Die Lehrende im Fachbereich Transarts an der Wiener Universität für angewandte Kunst wählt je nach Fragestellung das passende Medium aus.

Betritt man die Galerie, stellt sich dem Betrachter eine Skulptur in den Weg. Es handelt sich um den Ast eines Baumes, den Tandon mit grüner Farbe und Bronzedraht bearbeitet hat. Das Objekt bewegt sich dabei nicht nur in den Spannungsfeldern Natur und Kultur sowie Abstraktion und Gegenständlichkeit. Es ist zugleich ästhetisches Anschauungsobjekt und energetischer Träger, der für eine konkrete Raumerfahrung verantwortlich ist.

Bei Processing the Line (2009) – eine dreidimensionale "Linie" schraubt sich vom Boden zur Decke – interessierte die Künstlerin noch etwas anderes: die unumgänglichen Fehler auf dem Weg vom Entwurf zur Ausführung.

Genaue Beobachterin

Tandon, eine genaue Beobachterin technologischer, aber auch politischer Entwicklungen, fordert beim Rundgang die Wahrnehmung heraus, sei es mit dem titelgebenden Video Facing the Tangible, das eine fast hypnotische Wirkung ausübt, oder mit der Fotoserie Underground (2003-2014). Sie referiert damit auf die Funktion unserer Augen bzw. die Tatsache, dass erst unser Gehirn das verkehrte Bild auf der Netzhaut wieder gerade dreht. Die vier Fotografien zeigen dasselbe Motiv: einen Keller, der in Stücke zu zerfallen droht. Tatsächlich wurden dafür zwei Bilder übereinandergelegt, wobei man durch die Cutouts im oberen Bild auf dasselbe, verkehrt herum platzierte Foto darunter sieht.

Auf eine vergleichbar einfache, aber effektvolle Kulturtechnik hat die Künstlerin für die Collage In my absence they entered my home (2012-2015) zurückgegriffen, die auf händisch zerrissenen Einladungskarten basiert. Tandon drückt damit auf sehr elegante Weise ihr vorsichtig-distanziertes Verhältnis zum Kunstbetrieb aus. (Christa Benzer, 6.5.2017)