Haiders Schatten liegt nach wie vor über Kärnten. Der Psychoanalytiker Klaus Ottomeyer ist überzeugt, dass der verstorbene Landeshauptmann im Stillen noch immer verehrt wird und eine gewisse Wirkung auf die Politik ausübt.

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Ottomeyer: "Viele Kärntner gehen mit ihm so um wie mit einem Heiratsschwindler, dem man einmal erlegen war. Man hat auch wunderschöne Erinnerungen."

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Klagenfurt – In einem Jahr wählt Kärnten einen neuen Landtag. Die gegenwärtige Koalition aus SPÖ, ÖVP und Grünen war in der laufenden Periode in erster Linie damit beschäftigt, die Scherben, die der Zusammenbruch der Landesbank Hypo hinterlassen hat, aufzusammeln und eine Pleite des Bundeslandes abzuwenden.

Die FPÖ spielte aufgrund der Erblast, die ihr Jörg Haider hinterlassen hatte, nur noch eine marginale politische Rolle. Im Vorfeld der Landtagswahlen holen die Freiheitlichen aber wieder alte Versatzstücke Haider'scher Politik aus der Mottenkiste. Sie nutzen die Debatte um die neue Landesverfassung – in der explizit auf die slowenische Volksgruppe hingewiesen wird –, um einen neuen Konflikt um die Zweisprachigkeit anzufachen.

Der Kärntner Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer, der jahrelang die Politik des Rechtspopulisten Haider wissenschaftlich verfolgt und dokumentiert hat, ortet in Kärnten nach wie vor ein Hochhalten des "Mythos Haider".

STANDARD: In Kärnten scheint wieder etwas hochzukochen, was man eigentlich schon als erkaltet empfunden hat: die Debatte um die slowenische Volksgruppe. Angeheizt durch einen in der neuen Landesverfassung geplanten "Slowenen-Passus". FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache spricht von "Landesverrat", Landeshauptmann Peter Kaiser fahre "zum Rapport nach Laibach". Die Interessen der Slowenen seien ihm wichtiger als jene der Kärntner. Naiv gefragt: Hört das in Kärnten nie auf?

Ottomeyer: Es hat seit Jahren eigentlich kein böses Blut mehr gegeben. Die alten Konflikte haben sich beruhigt. Peter Kaiser wirkte als ein erfolgreiches Role-Model für die Akzeptanz des Slowenischen. Das ist jetzt eine ganz bösartige Vergiftung der Atmosphäre. Manche versuchen, das Ganze vor den Landtagswahlen wieder künstlich aufzuwirbeln. Man kann nur hoffen, dass der Ball flach gehalten wird.

STANDARD: Aber man kann doch nur etwas aufwirbeln, was vorhanden ist.

Ottomeyer: Natürlich gibt es noch so etwas wie alte Wunden und Sollbruchstellen in der Bevölkerung, aber die waren mehr oder weniger verheilt und kaum noch ein Thema. Und natürlich: Wenn man da wieder hineinsticht und draufschlägt, tut's wieder weh, und dann kommt der Wunsch nach einer Heilung.

STANDARD: Wunsch nach Heilung?

Ottomeyer: Ja, aber das nationalistische Angebot ist eher eine "Schiefheilung", wie Freud sagen würde: Es gibt immer wieder kollektive Demütigungen und Niederlagen, das wird dann überhöht, und jetzt versuchen einige Politiker, alte Verletzungen und Traumata als aktuell hinzustellen. Viele Menschen in Kärnten haben eine zusammengesetzte und zerrissene Identität, denn gut die Hälfte der Kärntner Bevölkerung hat ja slowenische Wurzeln. Und wenn jetzt wieder auf diese alten Bilder Bezug genommen wird, ruft das natürlich auch den Wunsch nach einer Heilung hervor. Man darf nicht vergessen, viele Kärntner Familien sind traumatisiert, und noch heute gibt es alte Menschen, die sich an den Ortstafelsturm erinnern, als Menschen bedroht, ihre Haustiere umgebracht worden sind. Dann die ganzen Schmierereien auf den Wänden von Bauernhöfen. Manche von den Älteren bekommen wieder Angst, dass es wieder losgeht, das liegt im Wesen des Traumagedächtnisses. Ich habe viele alte Herrschaften in Therapie gehabt, die in der Nazizeit schwer traumatisiert worden waren. Jedes Mal, wenn solche Diskussionen hochgekocht sind, haben sie wieder Angst bekommen und gefragt: Wann werden wir wieder abtransportiert?

STANDARD: Diese Ängste können auch tradiert werden.

Ottomeyer: Ja sicher, das ist wissenschaftlich gut untersucht, das geht bis in die zweite, dritte Generation. Es kommen bei uns auch die Kinder und Enkel der damals Verfolgten in Therapie. Es handelt sich dabei um Nachkommen der Naziopferfamilien, die unter Traumafolgen leiden. Sie sind nicht direkt traumatisiert, aber sie haben Angststörungen oder andere psychische Probleme, die auf Weitergabe der alten Traumata der ersten Generation beruhen. Das wirkt weiter. Auch auf der Seite der Familien, die auf der anderen Seite der Kämpfe standen, gibt es eine Weitergabe von Traumata.

STANDARD: Da man ja nicht ein ganzes Land sozusagen zur therapeutischen Behandlung auf die Couch legen kann: Wie kann man das lindern? Auf die Zeit vertrauen, bis die Wunden heilen?

Ottomeyer: Das hätte ich bis vor kurzem noch gesagt, aber ich bin etwas erschrocken, dass sich nach Jahrzehnten noch, wie man jetzt an der Verfassungsdebatte sieht, vieles wieder aktivieren lässt. Offenbar kann man die Menschen mit einer politischen Angstrhetorik in einen Zeittunnel setzen.

STANDARD: Es war ja in diesem Zusammenhang wohl kein Zufall, dass die Parteitagsregie am jüngsten FPÖ-Parteitag in Klagenfurt ausgerechnet die vierte Strophe des Kärntnerliedes singen ließ, in dem vom Blut, das die Grenze schrieb, die Rede ist?

Ottomeyer: Das ist natürlich ein Signal.

STANDARD: Können die neuerlichen Provokationen, die Verfassungsdiskussion um die "Slowenen-Passage" tatsächlich wieder zu einer Auslösung von Konflikten und Ängsten führen?

Ottomeyer: Ängste wird es sicher auslösen. Und auf der Seite der potenziellen FPÖ-Wähler können wieder diese Opferfantasien entstehen, und es kann heißen: Wir sind Opfer von Slowenien und Laibach. Wir werden ja schon lange diskriminiert. Da passt dieses Aussage Straches vom Parteitag dazu, Landeshauptmann Kaiser seien die Interessen der Slowenen wichtiger als jene der Kärntner. Für das Gefühl, nicht ausreichend anerkannt zu sein, werden oftmals Sündenböcke gesucht. Man kann leider in ganz Europa ein Kippen der Stimmung in Richtung Aufkündigung eines moralischen und zivilisatorischen Konsenses feststellen. Diesen Konsens hatten wir. Darunter gab es vielleicht auch schon in den letzten Jahrzehnten einen Bodensatz von groben, aggressiven Regungen, aber dieser Konsens ist jetzt offenbar aufgekündigt. Das Grobe darf jetzt heraus. Und das macht vielen Leuten Freude.

STANDARD: Warum diese Aufkündigung, wo liegt da die Ursache?

Ottomeyer: Ich denke, das hängt stark mit der Flüchtlingskrise zusammen. Damals, zu Beginn, hatten sich Politiker wie Angela Merkel oder auch Sebastian Kurz noch mit Flüchtlingen fotografieren lassen. Wir hatten einen Konsens der guten Menschen. Dann ist es irgendwie gekippt. "Gutmensch" ist zum Schimpfwort geworden. Der moralische Konsens war wahrscheinlich schon immer nur dünn und brüchig. Manche Menschen empfinden das jetzt subjektiv als eine Art Befreiung und als Zugewinn an Stärke, dass sie empört schimpfen und gegen eingebildete Gegner antreten können.

STANDARD: Bei einem Gespräch über Kärnten kommt man nicht am Namen Jörg Haider vorbei. Wie beurteilen Sie den Umgang mit dem verstorbenen Landeshauptmann in Kärnten? Schlummert da noch ein Rest an Trauer in der Kärntner Seele, oder ist diese Zeitspanne verarbeitet und abgehakt?

Ottomeyer: Eine wirkliche Trauer, welche vor allem auch die Trauer um das eigene Betrogen-worden-Sein einschließen würde, hat es nicht gegeben: Jörg Haider sitzt irgendwie noch in so einer Art verwahrloster Krypta. Man hat jetzt zwei Möglichkeiten: daran vorübergehen oder ihn wieder herausholen. Sicher ist: Er ist einfach auf eine gewisse Art noch anwesend. Auch aufgrund einer Verehrung, die ihm noch immer viele entgegenbringen.

STANDARD: Noch heute, 2017, fast zehn Jahre nach seinem Tod?

Ottomeyer: Ja, ich glaub schon. Viele Kärntner gehen mit ihm so um wie mit einem Heiratsschwindler, dem man einmal erlegen war. Man weiß, dass er große Betrügereien begangen und einen letztlich auch geschädigt hat, aber man hat auch wunderschöne Erinnerungen an diese Zeit. Diese gemeinsame Zeit, als man an ihn geglaubt hat, und diese Erinnerungen daran lassen sich nicht so schnell auslöschen. Es werden dann alle anderen Partner, oder eben die anderen Politiker, daran gemessen, und dann kommen manche zum Schluss: So schön wie mit ihm war's nie wieder. Altlandeshauptmann Gerhard Dörfler sagte, ja, Haider hat uns allen das Selbstwertgefühl zurückgegeben. Und da bleibt einfach diese Erinnerung. Das wird dann abgetrennt von den schlimmen Informationen, die man natürlich auch bekommt. Dass die Gefolgsleute Straftaten begangen haben, kriminelle Handlungen, von denen Haider gewusst haben muss und an denen er in verantwortlicher Position mitbeteiligt war, das alles wird getrennt gehalten von diesem schönen Bild.

Es sind derzeit aber eher schöne Erinnerungen hinter vorgehaltener Hand. In der politischen Öffentlichkeit ist die Verehrung von oder auch die Angst vor Haider, die früher da war, mehr oder weniger verschwunden. Der Wunsch nach einem neuen populistischen Führer, der nicht ausreichend anerkannten Menschen einen Höhenflug ihres Selbstgefühls vermittelt, ist aber immer noch da – innerhalb und außerhalb von Kärnten. (Walter Müller, 6.5.2017)