Wien – Das Aussterben von Alpenpflanzen durch den Klimawandel bleibt lange unsichtbar. Das zeigten Wiener Wissenschafter am Beispiel von vier Pflanzenarten, denen just ihre Langlebigkeit zum Problem wird. Das klingt im ersten Moment paradox, aber Langlebigkeit bedeutet zugleich einen langsameren Generationswechsel und damit auch ein langsameres evolutionäres Anpassen an veränderte Umweltbedingungen.

Zwischen dem Zeitpunkt, an dem aufgrund geänderter Umweltbedingungen eine Regeneration der Bestände unmöglich wird, und dem tatsächlichen Verschwinden einer Art können Jahrzehnte vergehen. Denn die alten Pflanzen sind ja noch da, auch wenn sie nciht mehr so gut gedeihen wie früher. Die Forscher bezeichnen dies als "Aussterbe-Verzögerung". Diese liegt bei den damals 150 untersuchten Arten im Schnitt bei 40 bis 50 Jahren.

Modellrechnungen

Stefan Dullinger vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien hat mit Kollegen bereits vor einigen Jahren anhand einer Modellrechnung gezeigt, dass das gesamte Ausmaß der Auswirkungen des Klimawandels auf die Alpenpflanzen erst mit jahrzehntelanger Verzögerung zu erkennen sein wird.

In einem neuen Modell hat Dullinger gemeinsam mit Kollegen der Universitäten Zürich und Grenoble nun versucht, auch die dynamischen Reaktionen der Flora auf den Klimawandel abzubilden. "Wir haben etwa evolutionäre Anpassungsprozesse in die Simulation integriert", so Dullinger. Die Studie ist in "Nature Communications" erschienen.

Vier Fallbeispiele

Ihr Modell haben die Forscher an vier nur in den österreichischen Alpen vorkommenden Pflanzenarten angewandt und deren Verbreitung unter drei Klimaszenarien bis ins Jahr 2150 simuliert. Konkret waren das die Österreichische Glockenblume (Campanula pulla), die Alpennelke (Dianthus alpinus), die Clusius-Primel (Primula clusiana) sowie eine Grasart (Harter Schwingel/Festuca pseudodura).

Sollte die globale Erwärmung auf ein Grad Celsius eingedämmt werden können, würden sich die Pflanzenbestände wieder erholen, zeigt die Simulation im günstigsten Szenario. Bei einem ungebremsten Voranschreiten der Klimaerwärmung aber "haben die Pflanzen ein großes Problem", so Frederic Guillaume von der Universität Zürich.

Überalterung steht der Anpassung im Wege

Die Langlebigkeit der untersuchten Pflanzen spielt dabei eine wichtige Rolle. Die einzelnen Individuen leben zwischen fünf und 20 Jahre. Sie vermehren sich auch ungeschlechtlich, etwa über Ausläufer oder Rhizome, und verharren damit lange an ihrem Standort. Dadurch können nur wenige durch sexuelle Vermehrung – also über Samen – entstandene Keimlinge Fuß fassen. "Bei solch langlebigen Pflanzen ist der Erneuerungsprozess der Populationen langsamer, sie üben einen Konkurrenzdruck gegenüber Keimlingen der eigenen Art aus", erklärt Dullinger.

Die Langlebigkeit behindert die Erneuerung der Population, die sich damit nicht oder nur sehr langsam an die sich verändernde Umwelt anpassen kann. Die Folge: Die Population überaltert und die Bestandsdichte nimmt ab, bevor die geographische Verbreitung merkbar schrumpft.

Auch wenn sich trotz Klimaerwärmung ältere Individuen an ihrem Standort halten, sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich allmählich eine "Aussterbe-Schuld" aufbaut. Diese kann schlussendlich zum völligen Zusammenbrechen der Population führen. Um das unsichtbare Aussterberisiko korrekt zu erfassen, empfehlen die Forscher, nicht nur die Verbreitung der alpinen Pflanzenarten zu messen, sondern auch die lokalen Bestandsdichten. (APA, red, 8. 5. 2017)