Nachdenkliche Sozialdemokraten im "Schulzzug", der durch das flache Schleswig-Holstein rollt: Bundesfamilien ministerin Manuela Schwesig, neben ihr SPD-Vize Ralf Stegner, ihm gegenüber Martin Schulz und daneben Torsten Albig, der am Sonntag Ministerpräsident an der Waterkant bleiben möchte.

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"Martin, du musst winken." Keine Reaktion. Vielleicht hat SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz die Aufforderung auch nicht gehört. "Martin, winken!" Die Bitte des Mitarbeiters wird dringlicher. "Okay, ich winke", sagt Schulz, legt den Schokoriegel aus der Hand und macht brav winke, winke aus dem Fenster des Regionalzuges, der ihn und seine Entourage von Kiel nach Lübeck bringt.

Am Bahnhof Eutin nämlich steht eine Genossin, deren roter Schal aufmunternd im Wind flattert. Sie strahlt, als Schulz sich ihr zuwendet. Fotografen wollen Schulz als Lokführer, auch dies wird erfüllt, Schulz geht ins Fahrerhaus und lässt sich ablichten.

Es ist schließlich nicht irgendein Zug, der da kurz vor der Landtagswahl am Sonntag durch das nördlichste Bundesland Deutschland – jenes mit Stränden an Nord- und Ostsee – rattert. Es ist der "Schulzzug". Kein Witz, die SPD selbst hat ihn erfunden und nennt ihn auch so. Der "Schulzzug" soll ihren Hoffnungsträger am 24. September bei der Bundestagswahl ins Kanzleramt bringen.

Aber wer zu einem Transportmittel greift, der geht ein Risiko ein. Möglicherweise war das den Erfindern des "Schulzzuges" nicht so bewusst. Seit geraumer Zeit lesen sie und ihr Chef in den Medien viele nicht so angenehme Sätze, wie etwa: "Der Schulzzug verliert an Fahrt."

Nach dem anfänglichen Hype um Schulz, der die SPD in Umfragen vor die Union brachte, sind die Werte wieder gesunken, die Begeisterung hat nachgelassen. Erstes "Opfer" war SPD-Frau Anke Rehling, die es bei der Wahl im Saarland am 26. März nicht schaffte, Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) als Ministerpräsidentin abzulösen. Die CDU siegte sogar mit klarem Vorsprung.

Dänen in der Regierung

Am Sonntag wird nun in Schleswig-Holstein gewählt. Dort regiert Torsten Albig, der früher Pressesprecher von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) in Berlin war, in einer sogenannten "Küsten"- oder "Dänenampel". Sie besteht aus SPD, Grünen und dem SSW (Südschleswigschen Wählerverband), der für die Rechte der dänischen Minderheit eintritt.

Lange schien Albig die Wiederwahl sicher. Doch mittlerweile hat sich der Wind gedreht, drückte die SPD auf 29 Prozent und hob die CDU mit ihrem eher unbekannten Spitzenkandidaten Daniel Günter auf 32 Prozent. Vor zweieinhalb Wochen waren die Zahlen noch umgekehrt.

Am Sonntag könnte es für die "Küstenampel" nicht mehr reichen, zumal auch die Grünen hinter ihr Wahlergebnis von 2012 (13,2 Prozent) zurückfallen dürften. Im Bund schwächeln sie sehr, in Schleswig-Holstein kann der beliebte Albig-Vize und Umweltminister Robert Habeck immerhin einiges abfangen. Albigs Verlust des Ministerpräsidenten-Amtes wäre auch für Schulz und seinen Zug auf dem Weg ins Berliner Kanzleramt kein gutes Signal. "Gehen Sie wählen! Bitte!", sagt Albig, als er in der Kieler Fußgängerzone Rosen verteilt. Seine Überlegung: 30 Prozent sind noch unentschlossen, da ist noch was drin. Im Wahlkampf sparte er auch schwierige Themen nicht aus und stellte sich bei Abschiebungen nach Afghanistan gegen die Linie Berlins – und somit auch die der Bundes-SPD.

Abschiebestopp

Albig legte für Schleswig-Holstein einen Abschiebestopp fest. "Wir wollen diesen Frauen und Männern Heimat sein, wir schicken sie nicht in den Krieg zurück", ruft er bei einer Wahlveranstaltung in Kiel, es gibt Applaus, keiner buht oder pfeift.

"War doch ’ne gute Stimmung am Platz", sagt Albig später, als der "Schulzzug" am Kieler Bahnhof auf seine Abfahrt wartet. In den Zug jedoch platzen schlechte Nachrichten. Ein Mitarbeiter reicht Schulz wortlos ein Smartphone. Darauf ist eine neue Umfrage – eine aus dem strategisch noch wichtigeren Nordrhein-Westfalen, wo eine Woche später, am 14. Mai, gewählt wird. In der Heimat von Schulz liegen SPD und CDU nun fast gleichauf, Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) verlöre nach dieser Umfrage ihre rot-grüne Mehrheit.

Schulz’ Miene spricht Bände, die Stimmung wird auch nicht besser, als die mitreisenden Journalisten ihn fragen, warum der "Schulzhype" nachgelassen habe. An ihm liegt es seiner Ansicht nach nicht. Vielmehr ist Kanzlerin Angela Merkel Schuld. Die Union nämlich ziele mit ihrem neuen Gerede von der Leitkultur auf Wähler vom rechten Rand und profitiere davon, dass "die AfD sich selbst zerlegt". (Birgit Baumann aus Kiel, 6.5.2017)