Emmanuel Macron hat "Der Fürst" gelesen und verstanden.

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Bedeutet Emmanuel Macrons Sieg bei der französischen Präsidentschaftswahl, dass "linke Politik klar abgewählt" wurde, wie Außenminister Sebastian Kurz dies gleich nach Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen am Sonntag via Twitter hinausposaunte?

Oder repräsentiert Macron "eine neue sozialdemokratisch inspirierte Politik", wie Bundeskanzler Christian Kern dies im Ö1-"Morgenjournal" postulierte?

Kurz musste für sein Posting umgehend jede Menge virtuelle Häme einstecken. Diese hat er sich auch redlich verdient, auch wenn er in der "Zeit im Bild" ergänzend erklärte, dass beide traditionellen Großparteien in der ersten Wahlrunde abgestraft worden seien. Der Außenminister übersieht dabei, dass bei der französischen Präsidentschaftswahl (wie im Übrigen schon bei der vergangenen österreichischen Bundespräsidentenwahl) eine große Anzahl der Wähler nicht aus Überzeugung für einen Kandidaten gestimmt hat, sondern vielmehr um einen bestimmten Kandidaten zu verhindern. Es ging nicht darum, "linke Politik abzuwählen" – Kurz sollte sich an das Ergebnis des ÖVP-Präsidentschaftskandidaten Andreas Khol erinnern. Dass rechtsextreme Kandidaten in Österreich und Frankreich die Hälfte respektive ein Drittel der Stimmen erobern konnten, sollte ihm vielmehr Warnung genug sein.

Schon in der ersten Wahlrunde war eines der bestimmenden Wahlmotive jenes, Marine Le Pen, die Kandidatin des rechtsextremen Front National, zu verhindern. Die Kandidaten der traditionellen Großparteien hatten aber wenig Inhaltliches entgegenzusetzen und wurden dabei aufgerieben. Benoît Hamon vom Parti socialiste erhielt nur sechs Prozent der Stimmen, er litt unter den unterirdischen Beliebtheitswerten seines Präsidenten François Hollande ebenso wie unter der mangelnden Unterstützung einiger Vertreter seiner eigenen Partei.

François Fillon von den konservativen Républicains wiederum litt vor allem unter sich selbst. Dass die Republikaner nicht in der Lage waren, einen anderen Kandidaten als ihren korrupten Chef aufzustellen, sagt einiges über den Zustand der Partei aus. Hamon hatte den Makel der unbeliebten Hollande-Präsidentschaft als Ballast an Bord, während die Konservativen aus der unbelasteten Oppositionsrolle starten konnten und trotzdem einen veritablen Bauchfleck fabrizierten.

Gekappte Wurzeln

Kern hat natürlich mit der Feststellung recht, dass Macrons politische Wurzeln in der Sozialdemokratie liegen, ebenso wie mit der Einschätzung, dass Macron "mit Sicherheit kein klassischer Sozialdemokrat" ist. Zu zweiterer Einsicht genügt ein Blick auf Macrons wirtschaftspolitische Positionen, die fernab typisch sozialdemokratischer Politik verortet sind.

Zu ersterer Aussage muss man festhalten, dass Macron ebendiese politischen Wurzeln gekappt hat, sobald es für ihn opportun war. Die Gründung seiner Partei En Marche wurde innerhalb des Parti socialiste scharf kritisiert, Hollande drohte Macron mit dem Rauswurf aus der Regierung. Im Juni 2016 waren 52 Prozent der Franzosen für einen Rücktritt des Wirtschaftsministers. Nun schicken ihn zwei Drittel der Wähler in den Élysée-Palast. Der Philosoph Macron hat über Niccolò Machiavelli nicht nur seine Abschlussarbeit geschrieben, er hat offensichtlich auch seine Lehren aus dem Werk des Florentiners gezogen.

Links und rechts

Ob Macron grundsätzlich überhaupt über einen relevanten gestalterischen Spielraum verfügen wird, hängt nicht zuletzt vom Ergebnis seiner Partei En Marche bei der Parlamentswahl im kommenden Juni ab. Umfragen sehen die Partei knapp voran, für eine Regierungsmehrheit dürfte Macron aber auf Unterstützung durch die Konkurrenz angewiesen sein. Programmatisch ist En Marche von links bis rechts aufgestellt – ganz nach dem Motto "Von überall ein bisserl was". Macrons Erfolg zeigt einmal mehr, dass das klassische Links-rechts-Schema mittlerweile ausgedient hat. In dieser Erkenntnis liegt der Grund, warum sowohl Kurz als auch Kern mit ihren Aussagen falsch liegen: Sie stecken beide in einem Lagerdenken von gestern fest – was sich zum Schaden des Landes in täglichem Koalitionshickhack niederschlägt.

Die nicht eindeutig festgelegte Positionierung von En Marche bedeutet im schlimmsten Fall für Macrons Amtszeit eine beliebige, irrlichternde Politik ohne konkreten Kurs. Im besten Fall aber erweist sich Macron als Pragmatiker, der ohne ideologische Schranken in der Lage ist, situationsabhängig auf die Probleme Frankreichs wie auch Europas zu reagieren. Nur im zweiteren Fall wäre er sowohl Kern als auch Kurz als Vorbild ans Herz zu legen. (Michael Vosatka, 8.5.2017)