Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) wirft dem Kanzler "Dauerwahlkampf" vor.

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Wien – Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) stichelt wieder gegen Kanzler Christian Kern (SPÖ) und wirft ihm Versagen vor. Als neue Hürde in der Regierungsarbeit stellt Sobotka im "Kurier" außerdem die Forderung auf, die Abschaffung der kalten Progression mit einer Sozialsystemreform zu junktimieren. Zudem droht er mit einem Veto bei der Bildungsreform.

Einmal mehr macht Sobotka den "Dauerwahlkampf" des Kanzlers für den schlechten Zustand der Koalition verantwortlich. Infolge von Kerns "Versagen als Kanzler" habe jeder Minister für seinen Bereich eine eigene Politik entwickelt. "Für eine Umkehr ist es zu spät, denn damit würden sich alle anderen in der Regierung unglaubwürdig machen. Für Kern ist der Zug abgefahren", so Sobotka.

Kern: Roter Teppich für Freiheitliche

Den Wunsch nach einer Richtlinienkompetenz wie es sie in den Deutschland für den Regierungschef gibt, hat Kern jedenfalls trotzdem nicht. "Vernunft wäre das, was wir brauchen, und weniger eine Richtlinienkompetenz", sagte Kern im "Ö1-Mittagsjournal". "Wenn diese Regierungszusammenarbeit mutwillig zerstört wird von einzelnen, aufgrund persönlicher, egoistischer Interessen, dann muss allen bewusst sein, dass man damit der Freiheitlichen Partei den roten Teppich ins die nächste Regierung ausrollt."

Thomas Drozda, Regierungsskoordinator für die SPÖ, kommentierte die Aussagen Sobotkas auf Twitter so: "Fast täglich grüßt das Murmeltier". Den Tweet dürfte er dann allerdings wieder gelöscht haben.

Reform des Sozialsystems

Für das Dauerstreitthema kalte Progression schüttelt Sobotka außerdem eine neue Hürde aus dem Ärmel: Er will eine Verknüpfung mit der von ihm als NÖAAB-Obmann kürzlich vorgeschlagenen Reform des Sozialsystems. "Ohne Reform von Arbeitslosenbezug, Mindestsicherung und Notstandshilfe macht die Abschaffung der kalten Progression keinen Sinn. Ich bin für ein Junktim."

"Genau anschauen" will sich Sobotka die geplante Bildungsreform. "Es ist durchaus möglich, dass ich gegen die Bildungsreform stimme, wenn bestimmte Bedingungen für die schulische Arbeit nicht erfüllt sind." Als mögliches Beispiel für sein Veto im Ministerrat nennt Sobotka den "Nichterhalt der Sonderschule". Deren Abschaffung ist allerdings im Zug der Autonomiereform gar nicht geplant.

Staatsekretär Harald Mahrer, der die Bildungsreform für die ÖVP verhandelt hat, sagt auf Anfrage des STANDARD zu Sobotkas Drohung: "Im Begutachtungsverfahren gab es einige sinnvolle Vorschläge und Anregungen, die wir aufnehmen wollen. Daher gehen wir davon aus, dass es noch zu Änderungen kommen wird. Entsprechende Gespräche laufen derzeit."

Am Montagnachmittag findet eine Gesprächsrunde zwischen Bildungsministerium und Lehrergewerkschaft statt.

Mehr Videoüberwachung

Nicht wirklich freuen dürfte sich der Koalitionspartner auch darüber, dass Sobotka nun einen Gesetzesentwurf für mehr Videoüberwachung in Begutachtung schicken will – laut "Kurier" nämlich ohne Sanktus der SPÖ. Die Eckpfeiler stehen im aktuellen Regierungsprogramm: Es geht etwa um die automatische Kennzeichenerfassung, akustische Überwachung im Auto und eine Ausweispflicht beim Erwerb einer SIM-Wertkarte. Sobotka will zudem die Videoüberwachung im öffentlichen Raum ausweiten und die gesammelten Daten länger speichern dürfen. Er sei der Bevölkerung in Sicherheitsfragen verpflichtet, begründete Sobotka den Schritt im "Ö1-Mittagsjournal". "Es gibt keine Regierungslinie in wesentlichen Punkten, sondern jeder Minister hat sein eigenes Programm", sagt Sobotka.

FPÖ fordert Neuwahlen

Die FPÖ hat die Bundesregierung nach dem neuerlichen Schlagabtausch zwischen SPÖ und ÖVP aufgefordert, endlich den Weg für Neuwahlen freizumachen. "In dieser Koalition geht gar nichts mehr – ein Jahr Kern heißt ein Jahr Dauerstreit", monierte FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl in einer Aussendung.

Kritik an Sobotka auch von Neos und Gewerkschaft

Die Neos kritisierten unterdessen die Vorschläge von Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) zum Arbeitslosengeld. Kritik am ÖVP-Minister, der die Abschaffung der Kalten Progression mit einer Reform des Sozialsystems junktimieren möchte, kam auch von der SPÖ-Gewerkschaftsfraktion. FSG-Chef Wolfgang Katzian sprach sich vehement gegen Einschnitte im Sozialsystem aus und bezeichnete Sobotkas Vorstoß als "skurrile politische Geisterfahrt". (APA, koli, 8.5.2017)