Bild nicht mehr verfügbar.

Baustelle Al-Azhar: Das eingerüstete Minarett der Moschee vor dem Besuch von Papst Franziskus in Kairo Ende April. Präsident Sisi befindet sich im Dauerclinch mit der sunnitischen Institution.

Foto: Reuters / Amr Abdallah Dalsh

Kairo/Wien – "Sie machen mich fertig", soll Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi einmal entnervt zum obersten Geistlichen des Landes, Al-Azhar-Großscheich Ahmed al-Tayyeb, gesagt haben. Tatsächlich befinden sich die beiden – und ihre Institutionen, Präsidentschaft und theologische Schule – in einem Dauerclinch. Sisi hielt 2015 seine berühmte Rede, in der er den Al-Azhar-Scheichs an den Kopf warf, sie würden sich vor Gott verantworten müssen, wenn es ihnen nicht gelinge, den islamischen Diskurs zu modernisieren, um dem Radikalismus Boden abzugraben. Nach Sisis Auffassung passiert viel zu wenig in diese Richtung. Nun soll er sogar Pläne wälzen, die Amtszeit des Al-Azhar-Großscheichs per Gesetz auf acht Jahre beschränken zu lassen und damit Tayyeb beizeiten loszuwerden.

Die tausend Jahre alte Al-Azhar, die als wichtigste sunnitische theologische Institution weltweit gilt, widersetzt sich staatlich verordneter Reform und Reglementierung. Zur Debatte standen in den letzten Monaten etwa die Abschaffung des männlichen Rechts der nur mündlich ausgesprochenen Scheidung, die Vorgabe der Inhalte der Freitagspredigten durch den Staat und die Beschränkung des Kreises von Personen, die Fatwas (islamische Rechtsgutachten) erstellen dürfen. Tatsächlich gibt es bei Fatwas geradezu einen Wildwuchs: Völlig obskure Scheichs erlassen Fatwas, die es umso leichter in die Medien schaffen, je verrückter sie sind.

"Vom Islam abgefallen"

Aber vergangenes Wochenende ging im Sinne Sisis dann doch einmal etwas weiter: Al-Azhar-Großscheich Tayyeb entließ nämlich den Chef der Al-Azhar-Universität, Ahmed Hosni Taha, nachdem dieser einen Reformtheologen als "vom Islam abgefallen" bezeichnet hatte. Dieser, Islam al-Beheiri, hatte unter anderem kritisiert, dass Al-Azhar auch Inhalte lehre, die den Extremismus rechtfertigen und fördern. Wegen seiner Attacken war Beheiri, der eine TV-Sendung über Islam moderiert, sogar schon einmal zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Damals hatte Sisi seinen Zweckverbündeten mit einer Begnadigung aus dem Gefängnis geholt.

Sisi, selbst ein gläubiger und praktizierender Muslim, dessen Frau Kopftuch trägt, versucht, die 2012 verlorene Macht der Präsidentschaft über Al-Azhar zurückzubekommen. Unter Präsident Hosni Mubarak war Al-Azhar unter strenger staatlicher Kontrolle. Der Präsident ernannte den Al-Azhar-Chef. Der Militärrat, der Ägypten nach dem Sturz Mubaraks 2011 regierte, entließ Al-Azhar in die Unabhängigkeit: Die aufsteigenden Muslimbrüder sollten keine Macht über die Institution bekommen.

Tayyeb weist zwar die Vorwürfe Beheiris scharf zurück, dass die Al-Azhar-Studierenden an der Hochschule radikalisiert werden. Nach seinen eigenen Regeln konnte er aber nicht anders, als seinen Uni-Chef zu entlassen. Al-Azhar lehnt die unter Extremisten gängige Praxis, einen andersdenkenden Muslim zum Apostaten zu erklären, streng ab. Hosni Taha hatte genau das mit Beheiri getan.

Allerdings führt das auch dazu, dass Al-Azhar auch nicht, wie von ihr immer wieder verlangt – zuletzt nach dem Massaker an Kopfen am Palmsonntag -, den "Islamischen Staat" als abgefallen erklärt. Der IS sei wie die frühislamische radikale Gruppe der "Khawarej", so die Al-Azhar-Scheichs: Verbrecher, aber noch immer Muslime, denn sie würden sich zum Glauben an Allah bekennen. Tatsächlich ist das ja ein viel interessanterer und herausfordernder Ansatz als die übliche vereinfachende Aussage, dass jihadistische Terroristen allesamt keine Muslime seien – mit denen sich der Islam in der Folge auch nicht auseinandersetzen muss.

Ab in den Giftschrank

Auch wenn die Methoden der Staatsmacht unter Sisi alles andere als demokratisch sind, kann man mit dessen Forderung nach theologischen Maßnahmen gegen den Extremismus durchaus sympathisieren. Die Forderung nach einer "Säuberung" der Bücherschränke ist natürlich vom akademischen Standpunkt nicht unproblematisch. Aber das Vertrauen ist eben gering, dass Schriften, in denen Gewalt theologisch gerechtfertigt wird, von Al-Azhar-Lehrern nur historisch-kritisch gelesen und nicht "unterrichtet" werden. Andererseits meinen Kritiker Sisis, dass verbotene Quellen so erst recht ohne jede Anleitung konsumiert und Schaden anrichten würden.

Großscheich Tayyib war unter jenen Persönlichkeiten aus Politik und Zivilgesellschaft, die – auch physisch – hinter Armeechef Sisi standen, als er im Juli 2013 die Absetzung des Muslimbruderpräsidenten Mohammed Morsi verkündete. Al-Azhar stand der Bruderschaft stets ablehnend gegenüber. Dennoch gab es zunehmend Lehrer, die ihr zugerechnet wurden. Die sollen seit 2013 wieder weniger geworden sein, geblieben sind jedoch erzkonservative Salafisten. (Gudrun Harrer, 9.5.2017)