Wien – Am 5. Jänner 2016 starb eine musikintellektuelle Zentralgestalt – Pierre Boulez. Und wie immer, wenn ein Unverwechselbarer dahinscheidet, schien es damals, als sei die Musik als solche ein wenig gestorben. Sowas wirkt auch nach. Was vom klangsensitiven Strukturalisten, dem Komponisten Pierre Boulez, im Repertoire langfristig ausharren wird, muss sich denn auch erst weisen.

Es wird jedenfalls daran gearbeitet, es dem Vergessen schwer zu machen: Dirigent Daniel Barenboim hat mit seiner Staatskapelle Berlin ein Boulez-Ensemble gegründet und auch einen flexiblen Boulez-Saal in Berlin initiiert. Klar, dass er dabei ist, wenn sich das Konzerthaus mit einem Schwerpunkt (es werden fast alle Boulez-Werke aufgeführt) um den Klassiker der Moderne bemüht.

Das Boulez-Ensemble ist hochqualitativ unterwegs: Structures I für zwei Klaviere wirken wie zur Essenz verdichtete Skulpturen. Einzeltöne erstrahlen als Symbole komponierender "Objektivität", um sich (durch die Pianisten Denis Kozhukhin und Michael Wendeberg) zu Energiewellen zu bündeln, die sich in Linien von hoher Dynamik aufspalten. Bei Sur Incises (für drei Klaviere, drei Harfen und Percussion) verbreiten sich die klangliche Subtilität und Aura der Strukturen über einen insistiven kammerorchestralen Charme, der – durch das Dirigat von Daniel Barenboim – seine Spannung über die erforderlichen etwa 40 Minuten aufrechtzuerhalten vermag.

Dazwischen Schönbergs Verklärte Nacht. Jener Komponist, den Boulez provokant für "tot" erklärt hatte und den er später würdigte, tönte höchst fiebrig und aufgeladen. Das Streichsextett des Boulez-Ensembles gab dem jauchzenden, romantische Gefühlsstürme durchleidenden Stück ein gewisses impulsives Etwas. (Ljubiša Tošic, 8.5.2017)