Macron-Fans bei der Siegesfeier.

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Die Not beziehungsweise die echte Befürchtung eines Scheiterns der Union als Folge von Brexit, Türkei-Streit und Präsidentenwahl in Frankreich muss in den EU-Institutionen und Hauptstädten groß gewesen sein. Anders ist es kaum zu erklären, welch breite Koalition an Gratulanten sich beim Sieger Emmanuel Macron mit Glückwünschen einstellte.

Der Chef der EU-Kommission, der Christdemokrat Jean-Claude Juncker, freut sich wie SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz in Deutschland. Kanzlerin Angela Merkel jubelt, ebenso die liberalen Regierungschefs von Luxemburg und Belgien. Die Grünen sind entzückt, die Fraktionen im EU-Parlament auch. Österreichs Bundeskanzler Christian Kern wittert eine Art Aufbruch für ein neues Europa.

Der Staatspräsident, ein überzeugter und überzeugender Proeuropäer. Was sonst? Macron lässt bei seiner Wahlfeier in Paris die Europahymne einspielen, hat im Wahlkampf versprochen, er werde für den Ausbau der Eurozone eintreten, mit eigenem Eurofinanzminister, einem Budget, das der gemeinsamen Fiskalpolitik diene.

Zu all dem sind Vorsicht und Realismus angebracht, und zwar aus drei Gründen.

Erstens: Die allumfassende Freude gilt weniger dem Wahlsieg des früheren sozialistischen Wirtschaftsministers, der als Unabhängiger antrat und jetzt als liberaler Parteigründer die Nation regieren will, als vielmehr der Niederlage seiner Konkurrentin. Hätte Marine Le Pen, die vehemente Gegnerin von Euro und offenen Grenzen, gewonnen, wäre das für Europa eine Katastrophe gewesen. Ihr Scheitern ist keine Garantie dafür, dass die EU automatisch in eine erfolgreichere Phase eintritt.

Frankreich ist politisch noch lange nicht stabil. Macron kam auf beruhigende 66 Prozent Wählerstimmenanteil. Die Wahlbeteiligung war jedoch so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht (75 Prozent), die Zahl der Weißwähler hoch wie nie (neun Prozent). Elf Millionen Franzosen (34 Prozent) gaben einer extrem rechten Partei die Stimme, auch so viele wie noch nie. Erst der Ausgang der Parlamentswahl im Juni wird zeigen, ob der Vormarsch der Rechten gebannt ist.

Zweitens: Macron mag in den Augen der Franzosen ein überzeugter EU-Anhänger sein. Das bedeutet noch lange nicht, dass die EU-Partner von ihm begeistert sein werden. Was Euro und Währungsunion betrifft, ist eher das Gegenteil zu erwarten. Fast alles, was der neue Präsident an Ideen für den Euro vorbrachte – bis hin zu gemeinsamen Anleihen, für die alle Eurostaaten haften –, hatten viele seiner Vorgänger bereits vor Jahren auf den Tisch gelegt: François Hollande ebenso wie Nicolas Sarkozy und Jacques Chirac. Es sollte Frankreich stärken und Deutschland in die Pflicht nehmen, was an Eurostaaten mit "Hartwährungstradition", also Deutschland, scheiterte.

Das bedeutet drittens: Ob Macron die EU-Lähmung durchbrechen wird können, hängt ganz davon ab, wie sich das politische Umfeld in der Union entwickelt, insbesondere mit der Wahl in Deutschland im Herbst.

Die Lage in Berlin wird stabil bleiben. Offen ist jedoch, ob sich nach der Wahl eine neue Regierung bildet, die auch in Bezug auf Europa von einer reformfreudigen Kanzlerin oder einem Kanzler geführt wird. Tatsache ist: An Berlin sind bereits drei französische Präsidenten mit ihren Vorstellungen einer reformierten EU gescheitert. Zudem tritt Macron unter erschwerten Bedingungen an: Bis März 2019 wird der Brexit das große Thema sein.(Thomas Mayer, 8.5.2017)