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Der neue französische Präsident ist ein Beispiel für den Personenkult.

Foto: AP/Thibault Camu

Vielleicht wird einem jene Widersinnigkeit, die einmal jemand "Dialektik der Aufklärung" genannt hat und die so kennzeichnend für die europäische Zivilisation ist, selten so plastisch vor Augen geführt wie bei den Mythen, die bereits um die Person Emmanuel Macrons gesponnen werden.

"Gott sei mit uns" heiße sein Vorname im Hebräischen, wird man inzwischen sogar schon belehrt. Und wie Jeanne d' Arc sei er einer Stimme gefolgt. Der jüngste Führer Frankreichs seit Napoleon sei er sowieso, mit seinen 39 Jahren. Da sind wir freilich fast ein wenig enttäuscht. Jesus war doch erst 33, als er längst am Kreuz hing. Nun, die Bergpredigt wird man von Macron nicht haben können. "Spürt ihr die Kraft dieser Versammlung?" soll er aber immerhin am 17. April in eine Menge von 20 000 Fans tatsächlich gefragt haben. Und als Antwort soll einer gerufen haben: "Ich liebe dich, Macron!"

Fast schon profan wirken da im Vergleich die sich in den Augen der Kommentatoren jetzt schon verdichtenden Hinweise, dass man einen neuen Gerhard Schröder vor sich habe, einen Tony Blair, ach was – einen John F. Kennedy! Macron hat wohl nichts gegen derartige Vergleiche – und badet in einem ganzen Meer fahnenschwingender Anhänger.

Unausrottbare infantile Tendenz zum Personenkult

Einmal erklärt er dem Volk, mit seinem Sieg sei ein "neues Kapitel" in der Geschichte Frankreichs eröffnet. Dann ist es doch wieder nur eine "neue Seite", die er aufschlagen will.

Man muss sich das einmal vergegenwärtigen: Hier handelt es sich keineswegs um die Massenversammlungen eines irrationalen Sektenführers oder eines Kryptofaschisten, der mit seinen wirren Reden Anhänger für sich gewinnen will. Und es ist auch nicht Xavier Naidoo, der mit einem seiner neuen Lieder vor seinen Fans auftritt. Nein, hier steht einer, der für Vernunft und Aufklärung und gegen Populismus und Extremismus eintritt.

Wenn es aber das ist, was Europa gegen Unvernunft und Aberglauben aufzubieten vermag, dann darf man sich nicht wundern, warum dieser Kampf so schwer fällt. Erstaunlich ist und bleibt es, dass die Menschen immer wieder auf die gleichen Projektionen hereinfallen. So als handle es sich um eine unausrottbare, infantile Tendenz zum primitiven Personenkult.

Kann sich niemand daran erinnern, wie Medien und Menschen einmal an Obamas Lippen hingen – währenddessen man sein damaliges Motto Yes, we can heute nur mehr als Spottformel verwendet? Oder was hatte man nicht für überdimensionierte Erwartungen in den jungen Tony Blair gesetzt – heute steht sein Name nur mehr für die Schande der Irak-Lüge.

Das Elend der Demokratien

Indes ist gerade der Umstand, dass der Personenkult sich stets wieder so rasch abnützt, ja auch das Tröstliche an den Demokratien. Das eigentlich Schlimme wäre, wenn er anhielte. Und darum geht es immer weiter so. Der eine Messias enttäuscht. Das nächste Mal wird man trotzdem genauso begeistert von einem anderen sein.

Man kennt das auf lauerer Flamme auch in Österreich: Werner Faymann hat sich verbraucht, Christian Kern kommt. Eine Zeit lang begeistert er. Dann merkt man: Der ist auch nur ein Mensch. Kurz wird früher oder später ÖVP-Obmann werden. Dann wird man auch bei ihm sehen, dass er keine Wunder vollbringen kann.

Dass es bei all dem bisweilen erschreckend wenig um Inhalte, sondern immer nur um Fassaden geht, die ausgetauscht werden, das ist etwas, was einen nachdenklich stimmen muss.

Und wie weiter?

Vielleicht geht es auch nicht immer weiter so. Wie widerstandsfähig solche Demokratien auf Dauer sind, diese Frage stellt sich gerade angesichts derartiger Phänomene nur erneut. Solange man solche Heilige hat, lässt sich auch das Unheilige nur schwer aufhalten. Man mag sich jetzt einmal selbst feiern dafür, dass man Marine Le Pen niedergerungen hat. Nach dem gefeierten Obama kam allerdings erst recht Trump. Was nach Macron kommt, weiß man nicht. Solange aber die Demokratien ihrer eigenen inneren Widersprüche nicht gewahr werden, werden sie immer über dem Abgrund schweben. (Ortwin Rosner, 9.5.2017)