Bild nicht mehr verfügbar.

Gefälscht wird mittlerweile jedes Modell aller bekannten Marken, allen voran Rolex, der seit Jahrzehnten am meisten gefälschten Marke.

Foto: Getty Images / ronen

Nur keinen Wirbel. Wenn es um Diskretion geht, dann kann man den Schweizern nicht so schnell das Wasser reichen. Auch wenn es darum geht, Institutionen einzurichten, die diese Diskretion wahren sollen. So dürfte kaum einem Besucher der Baselworld das Wirken eines speziellen Panels aufgefallen sein: quasi ein internes Schnellgericht, eingesetzt für die Dauer der weltgrößten Uhren- und Schmuckmesse, dessen Mitglieder Fachleute und Juristen aus aller Welt sind.

Sie schreiten dann zur Tat, wenn einer der Aussteller sein geistiges Eigentum durch einen Konkurrenten verletzt sieht. Ohne Vorwarnung suchen sie den Stand der beschuldigten Partei auf und konfrontieren diese mit dem Vorwurf. Aber eben so diskret wie nur irgendwie möglich. Es wird ein Gespräch angesetzt, beide Seiten werden gehört, innerhalb von 24 Stunden wird ein Urteil gefällt. Der Entscheid gilt für die Dauer der Messe, danach können die Parteien vor ein ziviles Gericht gehen oder sich außergerichtlich einigen.

Ungewollte Aufmerksamkeit

"Das Wichtigste: eine Lösung finden", erklärt Christoph Lanz, Sekretär des Baselworld-Panels. Seit 1985 existiert das Schiedsgericht, davor habe es rund 50 Fälle pro Messe gegeben, jedes Mal sei die Polizei angerückt. Das erregte – ungewollte – Aufmerksamkeit. Heute sind es nur noch rund zehn Fälle pro Messe. Ein Erfolg dieser weltweit einzigartigen Institution, die auch von den Ausstellern in den höchsten Tönen gelobt wird.

Was sich in der kleinen Welt der Messe relativ leicht in den Griff bekommen lässt, stellt in der globalisierten Wirtschaftswelt ein eklatantes Problem dar: Verletzungen von geistigem Eigentum, sprich Fälschungen von Luxusuhren. Ein blühender Geschäftszweig, das legen die Zahlen des Verbandes der Schweizerischen Uhrenindustrie (FHS) nahe: Dort schätzt man den Schaden für die Branche auf 800 Millionen bis eine Milliarde Schweizer Franken (rd. 900 Millionen Euro) – jährlich.

Mittlerweile würden sogar mehr Fälschungen als Originale verkauft. Der FHS schätzt, dass es 30 Millionen sind, die 28 Millionen echten Uhren, die die Schweiz pro Jahr exportiert, gegenüberstehen. Zwischen hundert und 500 Euro kostet eine gefälschte Luxusuhr. Die meisten kommen aus Fernost.

Gefälscht wird mittlerweile jedes Modell aller bekannten Marken, allen voran Rolex, der seit Jahrzehnten am meisten gefälschten Marke. Und das so gut, dass man als Laie kaum mehr das Original vom Fake unterscheiden kann. Große Aufregung herrschte 2012 denn auch, als der eidgenössische Zoll zum ersten Mal eine nachgemachte Uhr mit Tourbillon aus chinesischer Produktion aus dem Verkehr zog. Um ein Tourbillon, eine sehr begehrte Komplikation, zu bauen, braucht es schon vertiefte uhrmacherische Kenntnisse. Umso größer der Schock, wie Michel Arnoux, oberster Fälscherjäger der FHS, berichtet: "Das war das erste Mal, dass ich eine solche Art von Fälschung in Händen hielt. Die Fälscher beherrschen nunmehr die Herstellung von ultrakomplizierten Uhrwerken."

Internet als Turbo

Diese zunehmende handwerkliche Professionalisierung konnte auch der deutsche Uhrenjournalist und Sachverständige Thomas Gronenthal beobachten. Er erzählt in einem Interview mit der Fachpublikation "GZ" von seinem Besuch in einer chinesischen Fälscherwerkstatt: "Ich war überrascht, dass es vor Ort sehr ähnlich aussah wie in den Schweizer Fabriken. Die arbeiten auf den gleichen Maschinen. Auch die Organisation ist ähnlich, mit spezialisierten Zulieferern etc."

Für Michel Arnoux besteht ein eindeutiger Zusammenhang mit dem jahrelangen Boom der Luxusuhrenindustrie und dem Interesse des organisierten Verbrechens, neue Absatzmärkte und Wege der Geldwäsche zu finden. Ein Statement der Swatch Group schlägt in dieselbe Kerbe. Der größte Uhrenhersteller der Welt hält, und damit steht er nicht allein da, das Internet für einen "Turbo", was den Verkauf und Vertrieb von gefälschten Zeitmessern betrifft: "Hier werden den Kunden Fälschungen unter dem Deckmantel der Anonymität und ohne einen physischen Vermittler angeboten." Tatsächlich ist es leicht, an Plagiate zu kommen. Unter den Suchbegriffen "replica" und "watch" findet man unzählige einschlägige Seiten, die ihre illegalen Produkte anpreisen. Produktpiraten nutzen aber auch immer öfter soziale Netzwerke, um den Handel mit "Fake"-Waren voranzutreiben. Oft würden etwa auf Facebook oder Instagram Werbeanzeigen geschaltet, die sich sehr schnell verbreiten, wie Gerhard Marosi, Produktpiraterie-Experte im österreichischen Finanzministerium, erklärt.

Chinesische Fahnder

Um dessen Herr zu werden, setzen der FHS, aber auch Swatch auf eine Mischung aus Aufklärung, rechtlichen Schritten und Lobbyarbeit. Internetwerbung wird zur Anzeige gebracht. 2015 wurden mehr als 560.000 solcher Annoncen auf verschiedenen Plattformen gestoppt. Die Drahtzieher sind aber nur schwer zu fassen. Der Uhrenindustrieverband setzt sogar chinesische Fahnder ein, die vor Ort unterwegs sind, um den Druck auf die Produzenten zu erhöhen. Auch die Swatch Group setzt private Ermittler ein, um Produktions-, Lager- und Verkaufsstätten von Plagiaten zu enthüllen. "Immer wenn wir sie lokalisieren können, klagen wir", heißt es. Die Durchsetzung stelle aber eine Herausforderung dar, weil das System korrupt sei und es fast nie zu strafrechtlichen Maßnahmen komme.

Indes glaubt niemand in der Branche, dass man Fälschungen verhindern können wird. Da helfen auch aufwendige Sicherheitsmerkmale wie Wasserzeichen oder Hologramme, mit denen manche Hersteller experimentieren, nichts. Denn auch die Fälscher rüsten auf. Anstatt eine Uhr mühevoll nachzubauen, hacken Kriminelle gleich die Datenbanken der Hersteller und stehlen die Originalbaupläne. Damit hat der Kampf eine neue Dimension erreicht. (Markus Böhm, RONDO, 29.5.2017)

Weiterlesen:

Neue "Swiss made"-Regel: Mehr Schweiz muss in die Uhr

Uhrentrends: Die großen fünf