Der österreichische Designer Julian Hönig ist seit 2010 bei Apple unter Vertrag.

Foto: Julian Hönig

STANDARD: Was ist die beste Musik beim Autofahren?

Julian Hönig: Eindeutig Reggae. Damit lassen sich Strafzettel am ehesten vermeiden.

STANDARD: Wann haben Sie denn den letzten kassiert?

Hönig: Ich kann mich nicht erinnern. Ich höre ja immer nur Reggae. Oder das Geräusch der Motoren, solange Motoren noch klingen.

STANDARD: Sie fahren also eher langsam?

Hönig: Nicht immer, aber die Polizei findet mein Auto so cool.

STANDARD: Was steht denn bei Ihnen in der Garage?

Hönig: Ein VW Touareg Hybrid, mit dem ich zum Surfen fahre, ein Ford Bronco Baujahr 1972 und ein Porsche 550 Spyder Replica. Das ist der James-Dean-Porsche.

STANDARD: Und das Auto, das die Polizisten cool finden?

Hönig: Richtig.

STANDARD: Das Auto wurde im 20. Jahrhundert zum bedeutendsten Objekt des Alltags, zum Symbol für Freiheit, Prestige und noch mehr. Die Bedeutung beginnt sich zu wandeln, oder?

Hönig: Ja. Ich besitze zwar, wie gesagt, mehrere Autos, aber meistens nehme ich hier in San Francisco Fahrservices wie Uber oder Lyft in Anspruch. Da kann ich in Ruhe telefonieren oder einfach nur zum Fenster rausschauen. Auch einen Stau erlebt man als Fahrgast anders. Und Parkplatz muss ich auch keinen suchen. Autofahren ist vor allem in den Städten kein Spaß mehr. So viel zum Thema Freiheit. Ich fühle mich im Uber freier.

STANDARD: Schrumpft dadurch auch die emotionale Aufladung im Verhältnis von Mensch und Auto?

Hönig: Bestimmt. Ich glaube zwar, dass das Verhältnis zum Auto ein emotionales bleiben wird, aber wir werden das Auto weniger als Alltagsgegenstand wahrnehmen. Ich denke, die Entwicklung verläuft ähnlich wie bei Schallplatten. Das klassische Auto wird zu einem Liebhaberstück. Vielleicht werden junge Leute verstärkt auf Vintage-Autos abfahren. Viele von ihnen stehen auf Vinylplatten, ohne damit aufgewachsen zu sein.

STANDARD: Apropos Emotion: Die Stadt ist voll von SUVs. Kaum einer davon hat je eine Wiese oder sonst ein Gelände gesehen. Können Sie mir das Phänomen SUV erklären?

Hönig: Es geht um Platz. Und natürlich um irrationale Gründe, die beim Autokauf immer eine Rolle spielen. Die Leute sagen sich: "Mit einem solchen Auto kann man einen schönen Familienausflug in die Berge machen." Und dann tun sie das genau einmal. Der SUV ist deshalb so erfolgreich, weil er als neu verpackter, cooler Van daherkommt. In den Staaten sagt man auch Soccer Mom Car. So werden Autos genannt, mit denen Mütter ihre Kinder zum Football-Training fahren.

STANDARD: Böse Zungen sprechen im Zusammenhang mit SUVs von einer Verlängerung des ... Sie wissen schon ...

Hönig: Dafür eignen sich andere Autos besser.

STANDARD: Zum Beispiel?

Hönig: Dafür würde ich einen richtigen Sportwagen empfehlen.

STANDARD: Was denn für einen?

Hönig: Einen Ferrari oder einen Lamborghini, allerdings ein neueres Modell.

STANDARD: Der französische Philosoph Roland Barthes schrieb in seinen "Mythen des Alltags": "Ich glaube, dass das Auto heute das genaue Äquivalent der großen gotischen Kathedralen ist." Das war 1957. Was wird in Zukunft das Zeug zu diesem Äquivalent haben?

Hönig: Die Frage lautet eher, ob es so ein Äquivalent im monumentalen Sinn überhaupt noch geben wird. Ich denke, diese Rolle hat das Internet übernommen.

STANDARD: Darum ist es heute auch nicht mehr so ein großer Traum für 18-Jährige, ein Auto zu besitzen. Das war früher anders. Heute legen die Jungen mehr Wert darauf, das neueste Smartphone zu haben, als möglichst schnell den Führerschein zu machen. Wie denken Sie darüber?

Hönig: Beim Smartphone geht es ja nicht nur um ein Objekt, sondern um Kommunikation. Früher haben sich junge Leute vor irgendeinem Einkaufszentrum oder einem Kino getroffen. Heute treffen sie sich über Whatsapp, Facetime etc. Man muss nicht mehr herumfahren, um seine Freunde zu treffen, man hat sie eh immer dabei. Das ist natürlich auch schade. Andererseits kostet ein Auto sehr viel Geld, nicht nur von der Anschaffung her. Man muss es in die Werkstatt bringen, fürs Parken bezahlen, sich darum kümmern etc.

STANDARD: Das war früher auch so, und die Leute haben das in Kauf genommen, sofern sie es sich leisten konnten.

Hönig: Ja, aber da gab es auch noch keine Fahrservices. Hier in San Francisco teilen sich die Leute Fahrtstrecken und die damit verbundenen Kosten, das nennt sich zum Beispiel Uberpool. Das ist so günstig, dass man sich fragen muss: Wozu brauch ich ein Auto? Außerdem gab es früher mehr Parkplätze. Und keine Smartphones.

STANDARD: Sprechen wir über Design: Viele Menschen sind der Meinung, dass heutzutage alle Autos mehr oder weniger gleich aussehen. Stimmen Sie dem zu?

Hönig: Ich kann das verstehen. Wenn man die Sache allerdings genauer betrachtet, sahen sich die Autos in anderen Epochen auch ähnlich.

STANDARD: Aber das Autodesign war früher schon aufregender, oder?

Hönig: Vieles im Design ist aufgrund diverser strenger Vorschriften einfach nicht mehr möglich. Man denke an die Heckflossen eines alten Cadillac.

STANDARD: Fehlt es den Konzernen an Mut? Sind Autodesigner, überspitzt formuliert, Sklaven der Marken geworden?

Hönig: Das größte Problem liegt darin, dass ein Auto mehr oder weniger seit 100 Jahren das gleiche Objekt ist. Es gibt vier Räder, vorn einen Motor und ein Lenkrad, hinter dem der Fahrer sitzt. Eigentlich gab es nie wirkliche Innovation am Objekt an sich. Klar liegt es auch an den Konzernen, dass sich das Auto nicht fundamental verändert hat. Wenn man ein Produkt nicht fundamental ändert, wird es auch schwierig, etwas wirklich Neues zu bringen.

STANDARD: Ist es heute für einen Autodesigner noch möglich, eine Ikone zu schaffen?

Hönig: Wie gesagt, ich glaube, es geht darum, mehr zu verändern als nur Linien und Proportionen. Es geht um neue Technologien. Nehmen Sie den Tesla her. Der ist zwar vom Design nicht wirklich etwas ganz anderes, aber in seinem Fall wurde eine Ikone durch Technologie geschaffen. Das haben die gut hingekriegt.

STANDARD: Bleiben wir beim Design und nehmen den Porsche 911. Diese Ikone funktioniert seit Jahrzehnten.

Hönig: Viele Designer versuchen durch immer mehr Linien etwas Neues zu schaffen und werden dadurch immer komplizierter und driften in ein Styling ab. Dadurch kann eine große Idee verschwinden. Wenn man den 911er rein stilistisch betrachtet, sieht man dieses sprichwörtliche Weniger-ist-mehr.

STANDARD: Welche Ikone fällt Ihnen noch ein?

Hönig: Der Alfa GTV von Pininfarina. Mit ihm unternahm ich meine erste Ausfahrt in die Berge hinter Graz. Wunderbar.

STANDARD: Welches Auto ist für Sie der bedeutendste Entwurf?

Hönig: Mich beeindruckt am Porsche 911, dass es gelungen ist, jede Generation dieses Autos besser zu machen. Die waren einfach konsequent und haben sich nicht dem Stress ausgesetzt, die Leute um jeden Preis überraschen zu müssen. Für mich ist der aktuelle 911er eines der schönsten Autos.

STANDARD: Wenn Sie nur mehr ein Auto in Ihrem Leben fahren dürften, welches wäre es?

Hönig: Das wäre der VW Microbus, ein Konzeptfahrzeug aus dem Jahr 2002. Er sieht aus wie der alte VW-Bus aus den 1960er-Jahren, nur halt auf neu designt. Supercool.

STANDARD: Lassen wir einen Kollegen von Ihnen zu Wort kommen: Der ehemalige Designchef von BMW, Chris Bangle, sagte mir in einem Interview, die Zukunft des Autodesigns sei 1968 gestorben. Von da an sei es nicht mehr um fahrende Skulpturen, sondern um die Erhaltung von Wert und Sicherheit gegangen. Stimmt das?

Hönig: Wenn man das Auto als Skulptur sieht, hat er recht. Ich habe eine große Affinität zu Autos aus den 1960er-Jahren und zu anderen Vintage-Modellen. Aber wie bereits erwähnt, die "Skulptur auf Rädern", also der künstlerische Entwurf eines Designers, ist nur ein Ansatz in Sachen Auto. Und dieser muss, wenn wir von Zukunft sprechen, nicht unbedingt der richtige sein.

STANDARD: Es heißt, wir seien eine mobile Gesellschaft, andererseits lassen sich immer mehr Leute ihre Einkäufe und das Essen nach Hause liefern, sie haben Netflix statt Kino, und ins Buch- oder Plattengeschäft müssen sie auch nicht mehr. Wie wirkt sich dieses Verhalten auf die Welt des Autos aus?

Hönig: Viele Menschen arbeiten fünf oder sechs Tage die Woche. Sie haben vielleicht keine Lust mehr, am Samstag in den Supermarkt zu fahren oder einen Parkplatz in der Stadt zu suchen. Sie wollen die Zeit für etwas anderes nutzen. Dem Auto kommt auch in diesem Bereich eine andere Rolle zu. Man fährt vielleicht lieber an den Strand damit oder ins Grüne. Das Auto wird mehr zur Freizeitangelegenheit. Das ist auch für mich der Grund, warum ich noch Autos habe.

STANDARD: In einem Taxi oder Wagen von Uber erlebe ich kaum das Gefühl, dass der Raum um mich herum der meine ist. Laut dem zitierten Chris Bangle ist aber auch dieser Besitz von Raum ein wichtiger Aspekt in Sachen Auto. Dieses Bewusstsein sieht er auch als Grund, warum die Leute an der Kreuzung so ungeniert in der Nase bohren. Geben Sie ihm recht?

Hönig: Das ist absolut ein Thema. Für viele Menschen ist die Fahrt im Auto oft die einzige Zeit, die sie für sich allein haben. Das verliert man, wenn man chauffiert wird. Darum ist ja auch das Thema selbstfahrendes Auto so interessant. In einem solchen wird man diesen Raum wieder für sich gewinnen. Und man wird noch mehr gewinnen, weil man ja nicht mehr fahren muss.

STANDARD: Und was ist mit dem Cool-Faktor? Wenn man an Steve McQueen in seinem Ford Mustang GT im Film "Bullitt" denkt: Wie cool kann ein selbstfahrendes Auto sein?

Hönig: Die Frage lautet: Was macht man in dem Auto? Das wird das Coole sein. Das Äußere wird nicht mehr so im Vordergrund stehen, sondern das, was ich darin machen kann, wie ich die Zeit darin nutze. Vielleicht veranstalte ich eine Party darin.

STANDARD: Trotzdem: Harte Zeiten für sogenannte Benzinbrüder.

Hönig: Liebhaber von Vintage-Autos werden nicht aussterben. Und das ist auch schön so. Wenn man mit einem Oldtimer durch die Gegend fährt, reagieren die Menschen sehr positiv und lächeln dir zu. Auch ohne röhrende Motoren.

STANDARD: Wie sieht es mit der Zukunft von Autorennen aus?

Hönig: Die werden bleiben, allein deshalb, weil der Kontrast zwischen Rennwagen und Elektroautos so stark ausgeprägt ist. Ich glaube, Autorennen werden sogar beliebter werden.

STANDARD: Bleibt sie also doch, die Sehnsucht nach quietschenden Reifen?

Hönig: Ja, aber nicht im Alltag.

STANDARD: Die Welt der Autorennen ist eine Männerwelt. Auch das Autodesign ist eine Männerdomäne. Warum?

Hönig: Es gibt schon Frauen, aber die meisten arbeiten im Bereich Interieur und Farbe. Aber es stimmt schon, es ist eine Männerdomäne.

STANDARD: Noch einmal: warum?

Hönig: Schauen Sie sich in einem Kindergarten um. Ohne dass man das fördern würde, ist es doch so, dass Buben einfach lieber mit Autos spielen. Mein kleiner Sohn interessiert sich für Autos, Piraten, Ritter und Polizei. Wir haben ihn nie dazu angestupst. Nicht, dass man mich falsch versteht. Ich würde mich freuen, wenn mehr Frauen in diesem Bereich arbeiten würden. Ich glaube, es täte dem Design auch gut, wenn in Zukunft andere Perspektiven einfließen würden.

STANDARD: Freuen Sie sich auf diese Zukunft?

Hönig: Oh ja. Wir stehen vor großen Veränderungen, und ich freue mich sehr darauf. Wenn man sich von der jetzigen Architektur der Autos verabschiedet, werden wir einen ganzen Schwung von neuen Designs und Konzepten erleben.

STANDARD: Bedingung für dieses Interview war, dass ich nichts zu Ihrer Tätigkeit im Designteam von Apple frage. Ich frage dennoch, welchen Platz das Auto in Ihrem Job hat.

Hönig: Lassen Sie es mich so sagen: Das Thema Auto ist und bleibt ein faszinierendes Gebiet, und es gehört zum Job eines Designers, sich für verschiedenste Gebiete zu interessieren. (Michael Hausenblas, RONDO, 11.5.2017)