Wien/Brüssel – Die Ideen sprudeln nur so aus Emmanuel Macron heraus. Der frischgewählte französische Staatspräsident will die Eurozone kräftig umbauen. Er möchte einen Eurofinanzminister installieren und ein gemeinsames Budget aufstellen, das sich aus Steuereinnahmen aller 19 Euroländer speist. Zudem soll die wirtschaftliche Koordination verstärkt werden. Macron will auch in Berlin für mehr Investitionen zugunsten Europas werben.
Das Kernziel des Franzosen ist es, das Wachstum anzufachen und damit die Ungleichgewichte in Europa abzubauen. Um die Schieflage zu erkennen, reicht ein Blick auf die Arbeitslosenstatistik.
Soziale Misere bleibt
Die Arbeitslosenquote ist in Deutschland, den Niederlanden und Österreich im Vergleich niedrig. Zugleich sind die Quoten in Europa nirgends so hoch wie im Süden, in Italien, Spanien, Griechenland und in Frankreich. Die wirtschaftliche Erholung hat überall eingesetzt. Aber in weiten Teilen Südeuropas und in Frankreich verläuft der Aufschwung so schleppend, dass sich an der sozialen Misere kaum etwas ändert.
Aber können die Reformideen Macrons die Probleme lösen? DER STANDARD hat eine Reihe von Ökonomen befragt. Einen Konsens gibt es nicht, aber ein Hindernis sehen fast alle: Deutschland. "Unter allen Ländern stellt Deutschland heute das größte Problem für die Eurozone dar", sagt Stefan Schiman vom Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo in Wien.
Das liegt für Schiman daran, dass Deutschland zu wenig Geld ausgibt. Die Investitionen des Staates in den Wohn- und Straßenbau liegen in Deutschland seit Jahren unter dem Schnitt der übrigen Euroländer. Auch deutsche Unternehmen investieren zurückhaltend. Eine Folge davon ist, dass die Bundesrepublik im Vergleich wenige Waren und Dienstleistungen importiert. Weil das Land viel exportiert, hat sich ein großer Leistungsbilanzüberschuss gebildet. Zuletzt lag er bei 260 Milliarden Euro.
Deutsche Nachfrage wichtig
Unter der deutschen "Importschwäche" leiden die wichtigen Handelspartner der Bundesrepublik, sagt Schiman, etwa Frankreich. Für französische Unternehmen ist Deutschland der mit Abstand wichtigste Exportmarkt. Aber auch italienische und spanische Firmen würden von höheren deutschen Ausgaben profitieren.
Eine höhere deutsche Nachfrage wäre also der entscheidende Baustein, um die schwächelnden Regionen Europas zu stärken, sagt der Wifo-Ökonom. Das Problem ist, dass sich dies weder politisch noch wirtschaftlich verordnen lässt. Unternehmen wie Siemens, VW, Thyssen-Krupp und BASF erzielen in den Schwellenländern wie China ein Rekordjahr nach dem anderen. Den Firmen geht es gut. Aus eigener Perspektive investieren sie ausreichend.
Staatliche Ausgaben zu erhöhen wäre möglich. Politisch ist das aber nur begrenzt durchsetzbar, die Wähler richten sich ja nicht nach den Bedürfnissen im Ausland. Und ob französische und italienische Firmen davon profitieren würden, wenn Deutschland seine Straßen wirklich erneuert und kräftig in Infrastruktur investiert, ist fraglich, so Schiman. Sein Fazit: Deutschlands "strukturelles Investitionsproblem" lasse sich nicht in naher Zukunft lösen.
Tief verwurzelte Probleme
Was ein Eurofinanzminister an dieser Schieflage ändern soll, sei nicht ersichtlich. Auch mit einem Eurobudget werde man die Probleme im Süden nicht lösen.
So sieht das auch Johannes Becker, der das Institut für Finanzwissenschaft an der Uni Münster leitet. Von einem gemeinsamen Budget der Eurozone werde am Ende des Tages wenig übrigbleiben, um die wirklichen Probleme anzugehen, sagt Becker, weil letztlich jedes der 19 Euroländer etwas Geld abhaben wolle. Aber sogar wenn das Budget groß wäre: Mit Transferzahlungen allein werde man den schwächelnden Ländern nicht helfen.
Als eines der zentralen Probleme nennt Becker die Altlasten aus der Bankenkrise. Viele Finanzinstitute, besonders in Italien, kämpfen noch immer mit faulen Krediten in ihren Büchern. Statt neue Darlehen zu vergeben, plagen sich die Banken mit alten Schuldnern herum. Viele Unternehmen haben sich in der Krise mit hohen Schulden die Finger verbrannt. Deshalb trauen sie sich nicht, neue Kredite aufzunehmen und zu investieren. Das ist die toxische Gemengelage in Europa, sagt Becker, und daran könne auch eine Reform der Eurozone, wie Macron sie vorschlägt, wenig ändern.
Doppelstrategie
Und wie sieht es damit aus, Deutschland zu Mehrausgaben zu bewegen? Becker winkt ab. Die Deutschen müssten mehr investieren, aber vor allem um ihrer selbst willen, um die veraltete Infrastruktur zu erneuern. Dem Rest der Eurozone würde das nur bedingt nützen. Von jedem zusätzlich investierten Euro würden nur ein paar Cent französischen oder italienischen Unternehmen zugutekommen, so Becker. Das wäre nicht spürbar.
Am optimistischsten ist Wladimir Gligorow. Der Ökonom vom Wiener Osteuropainstitut ist ein guter Bekannter von Jean Pisani-Ferry, dem wirtschaftlichen Chefberater Macrons. Der künftige französische Staatschef peile eine Doppelstrategie an, sagt Gligorow.
Macron will zunächst in Frankreich Reformen durchbringen, besonders im Arbeitsrecht. Der Kündigungsschutz soll gelockert werden, Abfindungen will Macron begrenzen. Unternehmen sollen bei Lohnverhandlungen mehr Spielraum erhalten, um flexibler zu werden. Die Maßnahmen sollen Frankreichs Arbeitsmarkt beleben. Parallel und gestärkt mit diesen inneren Reformen will Macron auf die Deutschen zugehen und sie zu höheren Investitionen bewegen. "Deutschland wird etwas tun, wenn Frankreich etwas tut. Das ist die Idee Macrons", sagt Gligorow. Ob die Strategie aufgeht, könne er nicht sagen. "Aber einen Versuch ist es wert." (András Szigetvari, 10.5.2017)