Ist das Immer-in-Eile-Syndrom weiblich? Ernährungswissenschafterin und Biochemikerin Libby Weaver verspricht dauergestressten Frauen Auswege.

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Libby Weaver
Das Rushing-Woman-Syndrom

Was Dauerstress unserer Gesundheit antut
Trias-Verlag 2017
277 Seiten, 20,60 Euro

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Anti-Stress-Ratgeber gibt es viele. In unzähligen Büchern wird vermittelt, wie man trotz kräftezehrender Zeiten abschalten, eingefahrene Muster hinter sich lassen und aus dem Hamsterrad rauskommen kann. Dass sich eine hohe und permanente Stressbelastung negativ auf die Gesundheit auswirkt, ist nicht neu und bedarf keiner weiteren wissenschaftlichen Prüfung.

Libby Weaver hat ein weiteres Buch über Stress geschrieben. In "Das Rushing-Woman-Syndrom" legt sie den Fokus auf die gesundheitlichen Schäden, die Dauerstress bei Frauen bewirkt. Von Berufs wegen kennt sie sich mit biochemischen und hormonellen Prozessen im weiblichen Körper aus, in Australien arbeitet sie als Ernährungswissenschafterin und Biochemikerin.

Geländer für den Abstieg vom Stressberg

Was eine "Rushing Woman", also eine Frau im Dauerstress, ausmacht, legt sie in einer dem Buch vorangestellten Checkliste dar. Unbewusst ablaufende Gewohnheiten in Bezug auf das eigene Lebenstempo werden dabei abgefragt. Etwa ob man sich schuldig fühle, wenn man mal ruhig sitze. Ob man manchmal auf Schlaf verzichte, damit man spätnachts noch etwas erledigen könne. Ob man ab und zu an der Ampel oder auf der Toilette E-Mails checke. Oder ob man Verdauungsprobleme wie Blähungen oder typische Reizdarmsymptome habe. Diejenigen, die in diesem Selbsttest eine bestimmte Punktezahl erreicht haben, heißt die Autorin willkommen im Club – und meint: "Beim Abstieg vom Stressberg bilden die hier empfohlenen Maßnahmen das perfekte Geländer."

Das Gefühl, permanent unter Strom zu stehen, und der Anspruch, alles schaffen zu müssen, sind für Weaver typisch weiblich. Zwischen persönlichen Beobachtungen und aktuellen Studienergebnissen erläutert sie, warum Frauen für Dauerstress prädestiniert sind. "Häufig steckt der Wunsch dahinter, es allen recht zu machen und rundum 'nett' zu sein – ein Verhalten, das von klein auf belohnt wurde", schreibt sie.

Angst, Schlafstörungen und Zyklusprobleme

Von Menopause und Libido über Appetit bis Schlaf erforscht sie die Auswirkungen von ständiger Eile und Zeitdruck auf Körper und Psyche von Frauen. Ihren Alltagsbeschreibungen fügt die Autorin handfest Hormonelles hinzu. So widmet sie ein Kapitel dem Zusammenhang weiblicher Sexual- und Stresshormone, schreibt über Östrogendominanz und Erkrankungen des weiblichen Sexualsystems. Anschaulich erklärt sie, wie permanenter Stress auf Stoffwechselprozesse und Verdauung wirkt, Nervensystem und Emotionen beeinflusst – und auch vor einzelnen Organen nicht haltmacht. Aus Sicht der Biochemie erklärt sie die schädigenden Effekte auf Leber, Nebennieren, Schilddrüse, Eierstöcke und Darm.

"Wussten Sie, dass die körpereigene Serotoninproduktion zu 80 Prozent im Darm abläuft? Serotonin zählt zu den wichtigsten Hormonen, die Glück, Zufriedenheit und Gelassenheit hervorrufen. Damit kann eine Darmstörung erheblich aufs Gemüt schlagen", heißt es an einer Stelle.

Heilsame Ernährung und Digital Detox

Libby Weaver gibt Tipps, wie Frauen aus dem Hamsterrad Stress rauskommen können. Um zu mehr Achtsamkeit zu gelangen, empfiehlt sie Dinge, die einmal "ursprünglich" waren, heutzutage aber als "Ökokram" abgetan werden: "essen, was gerade reif wird, hin und wieder barfuß laufen und die Erde unter den Füßen spüren, abends ab einer bestimmten Zeit das Smartphone ausschalten, nicht innerhalb von drei Minuten auf eine E-Mail antworten und jede Woche einen echten Ruhetag einlegen".

Bisweilen kommt das Buch im typischen Ratgeber-Plauderton daher und plätschert so vor sich hin. Wohlmeinende Ratschläge sollen helfen, zu mehr Gelassenheit und einem gesünderen Lebensstil zu finden. Stets wird betont, dass irgendwo zwischen diesen Ansätzen die jeweilige persönliche Antwort liegt, die jede für sich selbst herausfinden muss.

Wer feministische Gesellschaftskritik erwartet oder Lösungen für strukturelle Probleme erhofft, ist bei Libby Weaver aber an der falschen Stelle. Als Ernährungswissenschafterin und Biochemikerin gehe es ihr vielmehr darum, Frauen zu "verstärkter Eigenverantwortung für Gesundheit und Glück" zu animieren, so die Autorin. (Christine Tragler, 15.5.2017)