Der Österreich-Pavillon beleuchtet das Internet und reflektiert Reise- und Migrationsströme: Brigitte Kowanz' Lichtarchitektur ...

Foto: Anna Blau

... und Erwin Wurms Caravan mit Vorturnerin.

Foto: Anna Blau

Brigitte Kowanz und Erwin Wurm? Sicher, beide sind Träger des Großen Österreichischen Staatspreises. Und seit ihrer Studienzeit miteinander befreundet. Aber wie passen die beiden künstlerisch zusammen? Noch selten war im Vorfeld Österreichs Biennale-Beitrag so heiß diskutiert worden, befeuert zudem durch die Tatsache, dass die beiden keine gemeinsamen Interviews gaben.

Und jetzt? Passt. Bestens. Kuratorin Christa Steinle hatte recht. Die Lichtpoetin und der One-Minute-Skulpteur sind als Biennale-Duo in der Tat stimmig. Das zeigt sich auch am Interesse während der Voreröffnungstage. Eigentlich ist die Eröffnung erst am Freitag. Doch der am äußersten Ende der Giardini gelegene Österreich-Pavillon ist rege besucht. Interviews im Halbstundentakt, New York Times, ARD, ZDF, japanisches Fernsehen, alle da. Grund dafür ist zunächst ein auf die Schnauze gefallener Lkw – neun Meter hoch, überragt er als Aussichtssturm den Hoffmann-Pavillon. Und das ist auf der Biennale, wo 88 Länder um das rare Gut Aufmerksamkeit buhlen, schon einmal nicht schlecht.

Auch die zweite Sensation des österreichischen Beitrags ist weithin schon von außen sichtbar, leuchtet aus dem Inneren des Pavillons. Geradezu zwingend saugt einen Kowanz' riesige, wandfüllende Lichtinstallation in den hölzernen, hundert Quadratmeter großen White Cube.

So harmonisch, so selbstverständlich ist der Übergang vom Hoffmann-Pavillon zu dem von Architekt Hermann Eisenköck erbauten hölzernen Light Space, dass man unweigerlich den Eindruck bekommt, es sei immer schon so gewesen. Und hofft, es möge immer so bleiben.

Überwindung begrenzter und begrenzender Architektur: Darum geht es in Kowanz' ebenso sinnlichem wie buchstäblich vielschichtigem Biennale-Beitrag Infinity and beyond. Mit einer viereinhalb mal neun Meter riesigen Neoninstallation reißt sie quasi die Wand nieder, multipliziert den Raum in die Unendlichkeit. Zwischen zwei Spiegelwänden beschreibt sie das Datum, an dem 1989 das Internet erstmals in Cern präsentiert wurde, sowie jenen Zeitpunkt, an dem es erstmals öffentlich zugänglich wurde.

Drei kleinere Arbeiten an einer Seitenwand ordnen sich zu einem Lichtschlitz: Wieder agiert sie an der Schnittstelle zwischen begrenztem und unendlichem Raum, indem sie Schlüsseldaten von Google, iPhone und Wikipedia in Morsecodes übersetzt und mit Kabeln und Neonschnüren sichtbar macht.

"Die Arbeit greift eine technische Errungenschaft auf, die unser Leben komplett verändert hat: die Digitalisierung. Sie ist für uns ebenso wenig fassbar wie die Unendlichkeit oder der Urknall." Dieser Konflikt ist unsere Realität: "Mit zunehmender Information steigt die Ungewissheit."

Grenzüberschreitungsverkehr

Erweiterung des Skulpturenbegriffes, kleiner Grenzüberschreitungsverkehr zwischen Publikum und Kunst: "Stand quiet and look over the mediterranean sea", steht als Handlungsanleitung auf der Plattform, die – aus Sicherheitsgründen – immer nur fünf Personen gleichzeitig erklimmen dürfen. (Die Warteschlange davor erhöht die Neugier!)

Kein Mittelmeer in Sicht

Man sieht viel da oben, herbeiströmende Menschen, die Biennale-Nachbarn Serbien und Ägypten und, ganz hinten, das Dach der Griechen. Man sieht Baumwipfel und Zubringerboote. Nur das Mittelmeer sieht man nicht. Aber eine Vorstellung davon, sagt Wurm, habe ja jeder im Kopf. In Kombination mit dem Lkw ist es für viele sicherlich Hoffnungs- und Todeszone tausender Flüchtlinge.

Migration als hochpolitische Klammer für Wurms Außen- und Innenraumgestaltung: Drinnen steht ein Wohnwagen aus den 1970er-Jahren, Sinnbild für das Aufkommen des Massentourismus, einer Art Völkerwanderung auf Zeit: "Österreicher, Deutsche, Holländer sind mit ihren Wohnwagen in den Süden getingelt; gleichzeitig sind tausende Italiener in den Norden, nach Österreich, Deutschland, die Schweiz gegangen, auf der Suche nach Arbeit", sagt Wurm. "Den Caravan finde ich auch deshalb so interessant, weil man da sein Zuhause mitnimmt. Man isoliert sich in der Fremde, integriert sich nicht."

Das Innenleben des alten Caravans – Waschbecken, WC, Herd, Sessel, Koffer, Lampen – steht und hängt, teils in Aluminium gegossen, in den beiden Hoffmann-Räumen. Und für alle, die Wurms Publikumsbeteiligungsmodell nicht wirklich kennen, zeigen Vorturner die One-Minute-Sculptures auch vor. (Andrea Schurian, 11.5.2017)