Den österreichischen Teilnehmer Nathan Trent erwarten im zweiten Song-Contest-Semifinale am Donnerstag 17 Konkurrenten. Es hätten eigentlich 18 sein sollen, doch Russland zog aus bekannten Gründen die Teilnahme zurück, nachdem Julia Samoilowa aufgrund ihrer Krim-Reise, die der ukrainischen Rechtslage widersprach, nicht einreisen durfte und Russland weder per Satellit dabei sein noch einen anderen Künstler nominieren wollte. Aber diese Geschichte wurde bereits oft genug erzählt.

Die Show beginnt mit ukrainisch instrumentierten Versionen berühmter Song-Contest-Gewinnersongs. Freilich darf da auch "Rise Like a Phoenix" nicht fehlen. Gesungen wird mit Chor und von den Moderatoren, die nicht unbedingt die besten der neueren ESC-Geschichte sind. Drei weiße Männer, die ein Motto namens "Celebrate Diversity" repräsentieren, sind schon eine etwas merkwürdige Interpretation.

1. Serbien: Tijana Bogićević – In Too Deep

Womit fängt das zweite Semifinale an? Wovon gab es bereits genug im ersten? Genau: weiße Braut- und Abendkleider. Und welche Animationen sah man auf der LED-Wand im ersten Semifinale am häufigsten? Genau: Wasser. Serbien ist eine Fortsetzung des 2017-Mainstreams. Der Uptempo-Popsong ist eher Durchschnittsware. Womit wir beim Kernproblem dieses Semifinales sind: Es zeichnet sich durch viel dieser Durchschnittsware aus, was den Ausgang unberechenbar macht. Das serbische Lied jedenfalls hat man nach einmal Hören gleich wieder vergessen. Höchstens der Tänzer mit nacktem Oberkörper bleibt manchem in Erinnerung.

Tipp: raus

2. Österreich: Nathan Trent – Running on Air

Eurovision Song Contest

Nathan Trent hat so einen Feelgood-Song im Angebot. Der will gar nicht dramatisch und bedeutungsschwanger sein. Und genau das hat der Tiroler hier in Kiew auch ausgestrahlt. Ob das nun Strategie war oder nicht: Gutes Marketing bedeutet, eine unverwechselbare Marke zu kreieren. Sein immer strahlendes Lächeln und seine positive Energie (viel davon!) passen perfekt zu diesem Lied. Für die Bühnenshow hat der ORF das Beste herausgeholt, was aus diesem Song herausholbar war. Der Mond und viel Nebel und Wolken sind sehr stimmig.

Tipp: hoffentlich weiter

3. Mazedonien: Jana Burčeska – Dance Alone

Der mazedonische Beitrag ist durchaus ein interessanter. Er verbindet 80er-Jahre-New-Wave mit modernem Elektropop. Das macht dieses Lied anders als die üblicherweise servierte Kost, aber "Dance Alone" vermag nicht wirklich zu überzeugen. Sich selbst auf die LED-Wand zu projizieren scheint 2017 schick geworden zu sein. Wir haben das bereits beim australischen Beitrag gesehen, und Mazedonien macht es ebenso. Ich finde das keine so gute Idee, es wirkt sehr selbstverliebt.

Tipp: Wackelkandidatin, eher raus

4. Malta: Claudia Faniello – Breathlessly

Malta liefert den Prototyp eines Songs, den man nicht mehr hören mag. Typische Ballade, die seit den 80er-Jahren immer wieder auftaucht und immer gleich klingt. Nicht die Balladen an sich sind überholt – es gibt wahrlich genug herausragende Beispiele –, aber diese Art von Ballade ist wirklich vorbei und sollte endgültig auf der Müllhalde der ESC-Geschichte verschwinden. Keine Ahnung, warum Teilnehmerländer es immer wieder damit versuchen. Das bringt nichts.

Tipp: raus

5. Rumänien: Ilinca feat. Alex Florea – Yodel It!

Auch Rumänien kann jodeln. Und wie!
Foto: Andres Putting (EBU)

Nein, es wird wirklich nicht nur in den Alpen gejodelt, auch wenn man das in Österreich gerne glaubt. Gejodelt wurde und wird von Georgien bis zu den Cowboys Nordamerikas eigentlich überall auf der Welt, wo es Berge gibt. Die Rumänen haben auch Berge, und für den Song Contest haben sie das Jodeln zu einer Spaßform perfektioniert. Bunt, lustig und stimmakrobatisch höchst beeindruckend, was dieses Duo in Kiew darbietet. Der Song ist ein sehr polarisierender Beitrag. Man hasst oder liebt so was. Solche Beiträge reüssieren dann meist sehr gut, weil man erst recht dafür anruft. Ich finde das jedenfalls großartig!

Tipp: weiter

6. Niederlande: OG3NE – Lights and Shadows

Stimmharmonie aus den Niederlanden.
Foto: Thomas Hanses (EBU)

Die drei Stimmen harmonieren auf eine ganz magische Weise. Natürlich ist das Wilson Phillips auf Niederländisch, aber auf eine gute Art und Weise. Das Trio hat eine Stimmgewalt, ohne je einen Patzer in einer der Proben zu machen. Das muss man erst einmal schaffen, da die Übergänge und der Gleichklang wirklich keine leichte Aufgabe sind. Das Lied ist kompositorisch sehr klug aufgebaut, die Inszenierung ohne Schnickschnack.

Tipp: weiter

7. Ungarn: Joci Pápai – Origo

Roma-Kultur aus Ungarn.
Foto: Andres Putting (EBU)

Joci Pápai repräsentiert nicht nur Ungarn, sondern die Roma-Kultur. Das gefällt manchen aus dem Orbán- und Jobbik-Land gar nicht, so hört man. "Origo" ist sehr eindringliche Musik, in Romanes und Ungarisch vorgetragen. Das ist einer dieser Beiträge, die beim Zuhören richtig packen können. Unser Nachbarland hat seit Jahren musikalisch ganz ausgezeichnete Vorentscheide, in denen gleich mehrere Songs geeignet sind, beim ESC zu reüssieren. Ungarn sollte wirklich bald einmal gewinnen. Große Klasse!

Tipp: weiter

8. Dänemark: Anja – Where I Am

Nach dem ungarischen Beitrag wirkt der dänische richtig hohl. Dominieren normalerweise die nordischen Länder den ESC, sieht das für 2017 nicht so aus. In Australien ist Anja Nissen sehr populär, war sie dort doch Siegerin der dritten Staffel von "The Voice Australia". Die Australier sind allerdings in diesem Semifinale nicht stimmberechtigt.

Tipp: Wackelkandidatin

9. Irland: Brendan Murray – Dying to Try

Irland schickt eine gesäuselte Ballade nach Kiew, aber eine durchaus nette und weniger klischeehafte, zu überzeugen vermag sie allerdings nicht. Brendan darf während seines Auftritts mit einem Ballon fahren. Irland, der Rekordsieger, steckt seit einiger Zeit in einer ESC-Krise. Das wird sich 2017 leider nicht ändern. Der Song ist zwar lieb, aber man hat ihn einfach gleich danach wieder vergessen.

Tipp: raus

10. San Marino: Valentina Monetta & Jimmie Wilson – Spirit of the Night

Pia Zadora und Jermaine Jackson haben eine Zeitreise aus den 80er-Jahren gemacht, ihren Song "When the Rain Begins to Fall" neu abgemischt, sich als Valentina Monetta und Jimmie Wilson verkleidet und machen einen auf Song Contest. Das zweite Semifinale hat einiges an Trash zu bieten, und Trash ist ja nicht unbedingt etwas Schlechtes (nein, wir lieben ihn!), dieser Beitrag ist aber eine ganz schlimme Version davon. Valentina hat San Marino schon gefühlte fünfzig Mal vertreten, und Ralph Siegel hat bereits gefühlte hundert Mal einen Song-Contest-Song komponiert. Es wäre an der Zeit, dass beide mal was anderes machen.

Tipp: raus

11. Kroatien: Jacques Houdek – My Friend

Die gespaltene Persönlichkeit aus Kroatien, die mit sich selbst ein Duett singt.
Foto: Thomas Hanses (EBU)

Trash always comes twice. Das hier ist aber so was Schreckliches, das ist so daneben, so absurd, dass es schon wieder richtig gut ist. Ein Duett mit sich selbst singen! Das muss einem erst einmal einfallen. Mit zwei unterschiedlichen Stimmen singt Jacques Houdek mit sich selbst. Eine gewisse Schizophrenie ist einem ESC-Fan wie mir ja durchaus bekannt. Zu Hause hört man Indie und Alternative, und einmal im Jahr will man Schlager, Glitzer und Eurotrash, weil ESC-Zeit ist. Angeblich hat Jacques Houdek ganze zehn Monate an diesem Machwerk getüftelt. Fragen Sie mich nicht, was er da genau gemacht hat.

Tipp: völlig unberechenbar, vermutlich aufgrund des Trashfaktors weiter

12. Norwegen: JOWST – Grab the Moment

Dass die EBU mit ihren eigenen strikten Regeln auch mal großzügig umgehen kann, bewies sie beim Angebot an Russland, sich per Satellit zuzuschalten. Beim norwegischen Beitrag drückte sie auch mehrere Augen zu, denn die in diesem Beitrag gesampelten Stimmen wurden als Instrumente gewertet. Eigentlich ist es strikt untersagt, Gesang und Stimmen vom Band einzuspielen. Aber im Elektropop 2017 hat sich dieses Stilelement durchgesetzt, und da geht man lieber mit der Zeit. Feiner Pop ist das, was Norwegen liefert. Haut zwar nicht vom Hocker, aber wenn FM4 sich trauen würde, könnte man das dort locker öfter spielen.

Tipp: eher weiter

13. Schweiz: Timebelle – Apollo

Was für die Schweiz spricht: zwölf Punkte aus Rumänien, da die Sängerin Miruna Manescu ist. Was gegen die Schweiz spricht: so ziemlich alles andere. Die gelbe Treppe, das gelbe Kleid, die rosa Projektionen: Das ist alles etwas zu viel und zu unmotiviert hässlich. Ich kann jedenfalls gar nichts damit anfangen, aber hier im Kiewer Pressezentrum gibt es erstaunlich viele, die das gut finden. I don't get it.

Tipp: raus

14. Weißrussland: Naviband – Story of My Life

Hippies sind nicht tot. Sie sind nur nach Weißrussland ausgewandert. Das erste Mal, dass die Sprache Weißrussisch ihren Weg auf die Bühne des Song Contest gefunden hat. Bislang waren alle Beiträge aus dem Land englischsprachig. Leider hat Naviband entschieden, die üblichen lustigen Hippie-Klamotten durch eurovisionstypische weiße Kostüme zu ersetzen. "Story of My Life", oder eigentlich "Historyja majho žyccia", ist sehr fröhlicher Pop. Die machen in ihrem Boot einfach Spaß!

Tipp: weiter

15. Bulgarien: Kristian Kostov – Beautiful Mess

Der Favorit des zweiten Semifinales: der Bulgare Kristian Kostov, geboren im Jahr 2000.
Foto: Andres Putting (EBU)

Neben den Topfavoriten auf den Sieg am Samstag, Italien und Portugal, gilt Bulgarien allgemein als der der dritte Favorit. Mir erschließt sich diese Stellung nicht, aber ich beuge mich hier einmal der Mehrheitsmeinung. Für Russland kann man ja aus bekannten Gründen nicht anrufen, dafür singt ein Russe für Bulgarien. Dort ist er erst 2015 hingezogen. Zuvor war er in der russischen Ausgabe von "The Voice Kids", sein Mentor dort war der ESC-Sieger von 2008, Dima Bilan. Der österreichische Komponist und Songwriter Sebastian Arman hat an "Beautiful Miss" mitgearbeitet. Das tat er auch schon für den bulgarischen Beitrag 2016 in Stockholm und wurde Dritter. Kristian Kostov ist der erste Teilnehmer der Eurovisionsgeschichte, der bei seinem Geburtsjahr einen Zweier vorne stehen hat.

Tipp: weiter

16. Litauen: Fusedmarc – Rain of Revolution

Litauen schickt Elektropop nach Kiew, diesmal einen der etwas sperrigen Art. Nachbarland Lettland scheiterte an diesem Genre (leider!) im ersten Semifinale, das wird Litauen mit dem noch schwierigeren Song wohl ebenso passieren. In Insiderkreisen ist die Band schon länger bekannt, denn sie macht wirklich großartige Live-Gigs, aber die Eurovisionsbühne ist vermutlich nicht so ganz das richtige Metier. Fusedmarc wirken etwas deplatziert.

Tipp: raus

17. Estland: Koit Toome & Laura – Verona

Weiße Abendkleider gibt es auch im zweiten Semifinale zuhauf. Wie hier beim estnischen Beitrag.
Foto: Andres Putting (EBU)

Koit Toome war bereits eher erfolgloser estnischer Vertreter bei den Contests 1998 in Birmingham und 2005 in Kiew. 2017 kehrt er mit einem Schlager zurück. Ja, es ist Schlagertime! "Verona" ist eigentlich Modern Talking, und man fragt sich, ob das ein damals nicht veröffentlichter Song sein könnte, den man aus irgendeiner verstaubten Schublade gezogen hat. Dieser Beitrag wird aber wohl deshalb weiterkommen, weil er nicht nur zugänglich ist, sondern weil auch klassische Schlagerfans den Song Contest mögen und dafür anrufen werden.

Tipp: weiter

18. Israel: IMRI – I Feel Alive

Israel mit Dancefloor und Muckis in Kiew.
Foto: Andres Putting (EBU)

Ein Strand in Tel Aviv, Meeresrauschen, ein Drink in der Hand und eine Beachparty. Genau dieses Lebensgefühl vermag IMRI nach Kiew zu bringen. Die Israelis sprechen in den letzten Jahren ja ganz gerne eine gewisse Zielgruppe an. So darf bei "I Feel Alive" IMRI seine Muckis zeigen, und hübsche Tänzer begleiten ihn dabei. Der Song selbst ist aber sehr generisch und etwas zu glatt. Trotz Perfektion mag der Funke nicht so recht überspringen.

Tipp: Wackelkandidat, eher weiter. (Marco Schreuder, 11.5.2017)