Wer online surft, shoppt und streamt, gibt nicht nur Daten an die Werbeindustrie weiter, im Hintergrund fallen unbemerkt Energie und Ressourcen an.

Foto: Imago/Peter Hartenfelser

Santarius erforscht den Zusammenhang zwischen Digitalisierung und nachhaltigem Konsum.

Foto: Privat

Wien – Bücher werden auf Tablets gelesen, Apps helfen, Energie zu sparen – durch Digitalisierung könnten Ressourcen eingespart werden. Sie führt aber auch dazu, dass wir mehr und in größeren Mengen konsumieren. Der Soziologe und Ökonom Tilman Santarius setzt sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Umwelt, die Arbeit und den Konsum auseinander. Dabei sieht er Chancen wie Risiken.

STANDARD: Leben wir durch Digitalisierung nachhaltiger?

Santarius: Das kommt darauf an, wofür wir sie einsetzen. Wenn wir E-Reader statt Bücher verwenden, stellt sich die Frage, wie nachhaltig unser Leseverhalten ist. Wenn wir viele Bücher darauf lesen, können wir Energie und Ressourcen einsparen. Wer aber jedes Jahr das neueste E-Reader-Modell braucht, liest nicht nachhaltiger.

STANDARD: Ab wann rechnet sich zum Beispiel ein E-Reader?

Santarius: Für die Herstellung eines E-Readers benötigt man 15 Kilogramm unterschiedlichster Materialien, 300 Liter Wasser und 170 Kilogramm Kohlendioxid. Ein E-Reader kann es erst nach 30 bis 50 Büchern mit einem Taschenbuch aufnehmen. Erst dann fängt er an, Ressourcen einzusparen.

STANDARD: Verändert Digitalisierung unser Konsumverhalten?

Santarius: Ja, auf verschiedenste Weisen. Zum einen shoppen wir durch Smartphones zu jeder Tageszeit und an jedem beliebigen Ort. Wir können uns die billigsten und auf uns zugeschnittene Produkte heraussuchen. Durch den Dauerzugang bestellen wir mehr und größere Mengen – nicht erwünschte Produkte können wir zur Not einfach zurückschicken.

STANDARD: Sie sprechen in diesem Zusammenhang immer wieder vom Rebound-Effekt. Was ist das?

Santarius: Der Rebound-Effekt erfordert, dass man in der Umweltpolitik einmal um die Ecke denkt. Es macht zum Beispiel durchaus Sinn, Energiesparlampen einzusetzen. Wenn ich aber die dadurch eingesparte Energie – und letztendlich das Geld – dazu einsetze, mehr Energiesparlampen zu verwenden, dann wird das Einsparpotenzial wieder aufgefressen.

STANDARD: Ist digitaler Konsum ressourcenschonender?

Santarius: Auch Onlinedienstleistungen und Serviceangebote haben eine dahinterliegende physische Struktur. Sie wirken nur immateriell, weil wir den Strom- und Ressourcenverbrauch der Cloud und der Datenzentren in der Regel nicht sehen. Der muss aber eingerechnet werden.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Santarius: Nehmen wir das Beispiel Streaming. Ein gestreamter Film hat exakt die gleiche Energiebilanz wie eine DVD, die ich mir zuschicken lasse. Hier wird gar nichts eingespart, obwohl ich den Eindruck habe, dass weniger Material und Ressourcen anfallen. Die werden aber im Rechenzentrum und bei der Übertragung der hohen Datenintensität erzeugt.

STANDARD: Wie werden dadurch entstehende Kosten gedeckt?

Santarius: Der Strom wird von den Serverparks und von den Firmen, die Onlinestreaming anbieten, bezahlt. Diese refinanzieren die Ausgaben wieder über Werbung. Wenn wir streamen, geben wir Informationen über uns selbst und auch darüber, für welche Themen wir uns interessieren, weiter. Firmen verkaufen diese Informationen an die werbetreibende Industrie und generieren so Einnahmen. Flatrates, wie zum Beispiel bei Netflix, sind nur ein Teil von dem, was wir bezahlen. Den Rest bezahlen wir mit unseren persönlichen Informationen und Daten.

STANDARD: Welche Rolle spielt Datenschutz dabei?

Santarius: Im Moment gibt es im Internet kaum Datenschutz. Firmen wie Facebook oder Google werten Nutzerdaten aus und verwenden sie für profitorientierte Zwecke. Hier muss künftig die Politik tätig werden, damit persönliche Daten nicht zu Profitzwecken ausgenutzt werden.

STANDARD: Ist es eigentlich nachhaltig, online einzukaufen?

Santarius: Lieferdienste und Onlineshopping eröffnen durchaus ökologische Einsparpotenziale. Besonders im ländlichen Raum, wo Menschen mit dem Privat-Pkw in die nächste Stadt zum Einkaufen fahren müssen. Hier kann man durch die Bündelung von Lieferdiensten Verkehr vermeiden.

STANDARD: Wie sieht es mit Smart-Living-Technologie aus?

Santarius: Die intelligente Steuerung von Heizungssystemen hat Energiesparpotenzial. Viele Menschen heizen alle Räume ihrer Wohnung, egal ob sie zu Hause sind oder nicht. Hier kann eine smarte Heizungsanlage etwas bewirken. Leider aber ist die Smart-Home-Diskussion auf die Vernetzung von allen möglichen Geräten im Haushalt aus. Das ist in erster Linie Spielerei, die nur zu einem höheren Stromverbrauch führt.

STANDARD: Sind solche "grünen" Anwendungen nicht ein Paradoxon?

Santarius: Ja, das kann man als paradox bezeichnen. Auch wenn zum Beispiel nur noch ökologische Produkte, Elektroautos, Biolebensmittel und fair hergestellte Kleidung gekauft werden, steigt der Ressourcen- und Energieverbrauch. Wir haben einerseits eine Effizienzsteigerung durch grünes Wachstum, aber in der Summe wird es wieder aufgefressen.

STANDARD: Wie wirkt sich die Digitalisierung wirtschaftlich aus?

Santarius: Zum einen gibt es eine große Debatte über Arbeitsplatzverluste. Also darüber, ob künstliche Intelligenz und Roboter künftig auch Tätigkeiten im mittleren Bildungsniveau ersetzen können. Offen ist auch, welche Entwicklung Digitalisierung auf Einkommensunterschiede haben wird. Es dürfte eine Verlagerung vom Arbeitseinkommen hin zum Kapitaleinkommen geben. Also zu jenen, die das Kapital haben, um die Technologien zu entwickeln.

STANDARD: Verändert sich dadurch der Arbeitsmarkt?

Santarius: Es entstehen neue Jobs, und manch klassischer Job wird durch neue Berufsfelder ersetzt werden. Aus ökologischer Sicht kann man sich nur wünschen, dass Digitalisierung keinen starken Wachstumsschub auslöst. Im Idealfall führt sie zu einer Umverteilung der Arbeitszeit statt zu mehr Arbeitslosigkeit.

STANDARD: Wirkt sich Digitalisierung auch auf regionale Strukturen aus?

Santarius: Ja, das kann sie. Ich wohne zum Beispiel in einer recht kleinen Gemeinde. Da gibt es zwar Supermärkte, aber keine Möglichkeit, lokale Produkte irgendwo zu vermarkten. Hier sehe ich ein großes Potenzial, um zum Beispiel eine digitale Tauschplattform aufzubauen. Dann könnten Leute eigenen Apfelsaft gegen Tomaten aus anderen Schrebergärten tauschen.

STANDARD: Digitalisierung kann also durchaus Nachhaltigkeit fördern. Mitunter haben wir aber heute auch mehr Elektrogeräte, um Online-Services benützen zu können.

Santarius: Elektroschrott ist ein extremes Problem. Letztes Jahr waren es über 42 Millionen Tonnen weltweit. Einerseits müssten Materialien recycelt werden, da sie zum Beispiel viele seltene Metalle enthalten. Andererseits sind es gar nicht wir, die das Zeug recyceln. Das passiert in asiatischen und afrikanischen Ländern, wo mit den toxischen Stoffen nicht anständig umgegangen wird. So ist ein ganzes Feld an menschenunwürdiger Arbeit entstanden. Das ist ein Riesenproblem, das nicht nur als unwesentlicher Kollateralschaden der Digitalisierung beiseitegeschoben werden darf.

STANDARD: Können Länder des globalen Südens durch Digitalisierung auch profitieren?

Santarius: Es gibt einige gute Beispiele, wie Länder des Südens sich mithilfe von Digitalisierung in Richtung Nachhaltigkeit bewegen können. Zum Beispiel, wenn man anstatt Telefonkabel zu verlegen gleich auf Mobiltelefonie umsteigt. Dabei wird ein ressourcenintensiver Schritt einfach übersprungen. Das Gleiche gilt für die Energieversorgung. Lokale Lösungen und intelligente Vernetzung von erneuerbaren Energieträgern können Geld sparen und vermeiden, dass Strom aus zentralen und dreckigen Kohlekraftwerken hergeleitet werden muss. (Nora Laufer, 14.5.2017)