Kurz und Neuwahl: Derart verkürzt hätten es die Anhänger des Außenministers gern, der als 30-Jähriger der 17. Chef der Österreichischen Volkspartei werden soll und will. Seit Jahren reden sie über ihn als "der Sebastian", um mit dieser angedeuteten Nähe zum letzten Hoffnungsträger die eigene Bedeutung innerhalb der ÖVP zu überhöhen. Vier Tage vor seiner präsumtiven Kür klingt es allerdings unangebracht paternalistisch, wenn ein Noch-Minister ihn vor versammelter Parteikonkurrenz am runden Tisch des ORF beim Vornamen nennt. Da wirkt einen Abend später sogar Andrä Rupprechters Land(e)s(haupt)mann Günther Platter vorsichtiger. Doch spätestens seit dem ZiB 2-Interview mit dem mittlerweile längstdienenden ÖVP-Regionalherrn ist klar: Selbst ein Messias der Bürgerlichen erhält fürs Reich der vielen schwarzen Fürsten keine Carte blanche.

In dieser Runde kann die wahre Macht sich noch getrost, unterschätzt und wohlwollend im Hintergrund halten: "Unsere Hanni" Mikl-Leitner lacht stattdessen schon von Plakaten im eigenen Land. Es wählt 2018 – und ist nicht nur für die neue Landeshauptfrau am wichtigsten. Mehr als jede vierte ÖVP-Stimme der Nationalratswahl 2013 kam aus Niederösterreich, wo auch SPÖ und FPÖ die meisten Wähler fanden. Hier sitzen die Taktgeber – auch pro Kurz und zur Neuwahl im Bund. Tirol und Salzburg betonen zwar ihre Kraft der Westachse, doch sie brachten es sogar zusammen mit Kärnten auf nur drei Viertel der Stimmen von Niederösterreich für die Volkspartei. Dieses Länderquartett wählt spätestens im Frühjahr 2018. Einzig das rote Kärnten hat sich bereits auf 4. März festgelegt. Das könnte auch ein regionaler Superwahlsonntag werden. Doch sicher ohne Nationalrat. Denn dieser Abstimmung wollen nicht nur ÖVP-Landeshauptleute ausweichen.

Als Alternative zum regulären Ablauf der parlamentarischen Legislaturperiode bliebe neben dem vielfach favorisierten Herbst 2017 der Frühsommer 2018 – deutlich nach den Landtagswahlen und knapp vor dem österreichischen EU-Vorsitz. Jede Terminentscheidung ist für alle Parteien eine pure Spekulation mit dem Momentum. Die ÖVP muss fürchten, dass die Zugkraft von Sebastian Kurz deutlich schwindet, sobald er sich täglich an ihr und der Koalition reiben muss. Konkurrent Christian Kern und die SPÖ zeigen durch ihr – laut Umfragen – kontinuierliches Aufholen gegenüber der FPÖ, dass dies nicht zwingend so ist. Auch wegen ihrer aktuellen Wien-Schwäche spielen die Sozialdemokraten auf Zeit. Außer in Kärnten haben sie bei den vier Landtagswahlen kaum etwas zu verteidigen oder zu gewinnen. Der Kanzlerbonus kann sich jedoch unterdessen verfestigen. Außerdem gilt die Regel, dass der Wähler denjenigen bestraft, der einen Urnengang vom Zaun bricht.

Gegen eine vorzeitige Neuwahl aus roter wie schwarzer Sicht spricht die Mög-lichkeit, in koalitionärer Mesalliance am besten ein Duell ihrer neuen Heroen zelebrieren zu können. Durch diese Zuspitzung gerieten nicht nur Grüne und Neos noch mehr ins Abseits, sondern verlöre vor allem Heinz-Christian Strache Popularität. Voraussetzung dafür ist, dass ein scheinbarer Zweikampf Kern – Kurz, auch aus Sicht möglicher Wählerwanderungen, in Wirklichkeit immer gegen den Hauptkontrahenten von SPÖ und ÖVP gerichtet bleibt: die FPÖ. Doch diese Gegnerdefinition weicht bei Sozialdemokraten wie Volkspartei zusehends der Spekulation mit einem künftig blauen Regierungspartner.

Wie sehr die freiheitlichen Befürchtungen in Richtung eines solchen Duells gehen, dafür ist Straches Neuwahlforderung ein gutes Indiz. Er bekommt aus keinem Land Druck in diese Richtung. Denn die FPÖ wird in Niederösterreich, Tirol, Salzburg und Kärnten zulegen. 2013 hat sie dort jeweils weit unter Potenzial abgeschnitten. Das gilt für die Grünen nur in Niederösterreich. Ansonsten sind sie regierender Juniorpartner. Ihnen droht zwar auch, durch Kern/Kurz komplett in den Schatten gestellt zu werden. Doch vorgezogene Nationalratswahlen träfen sie im aktuellen Selbstfindungsprozess auf dem falschen Fuß. Unabhängig vom Wahltermin existenzgefährdend ist das Kanzlerduell für Matthias Strolz und die Neos. Kern wie Kurz wirken stark in pinke Wählerschichten hinein. Indessen wollen Stronach-Reste und wilde Abgeordnete bloß möglichst lang im Parlament bleiben: Rot fände also bis Herbst 2018 vielleicht sogar eine kunterbunte Mehrheit gegen Schwarz-Blau.

Schwarze Fehlinterpretation

Die Volkspartei hingegen wird sich Sonntag auch einer Politik der internationalen Gefühle hingeben. Wenn es der CDU wirklich gelingt, die SPD in Nordrhein-Westfalen zu überholen, dann will die ÖVP sicher mitziehen beim vermuteten schwarzen Wahljahr 2017. Auch deshalb versucht sie Frankreichs Emmanuel Macron als Signal gegen links fehlzuinterpretieren. Der liberale Selbstdarsteller passt nicht ins Konzept eines Mitte-rechts-Durchmarschs von Theresa May über Angela Merkel bis zu – Kurz?

Der Schulz-Effekt scheint dahin, doch die Macron-Rolle liegt Kern ohnehin besser – proeuropäisch gegen ein dämonisiertes Schwarz-Blau. Solch ein Lagerwahlkampf hat schon 2016 für die Hofburg funktioniert. Doch er bedingt eine klare Vorabentscheidung in der SPÖ – gegen die FPÖ. Dadurch aber könnte die SPÖ auch bei einem Wahlsieg in der Opposition enden. Nur dort wäre die ÖVP zu wirklicher Selbsterneuerung imstande, Carte blanche für Kurz ist dafür zu wenig. (Peter Plaikner, 12.5.2017)