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Banger Blick in Richtung Wahlsonntag: Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) will nach der Wahl ihr Amt behalten. Doch ausgemacht ist das nicht, die CDU holt kontinuierlich auf.

Foto: Reuters / Thilo Schmülgen

Nach dem Saarland und Schleswig-Holstein könnte die Wahl am Sonntag in Nordrhein-Westfalen für die SPD als dritte in Serie danebengehen. Kurz vor der Wahl sehen zwei Umfragen die oppositionelle CDU einen Punkt vor der SPD, die derzeit unter der Führung von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft mit den Grünen regiert. Eine dritte Umfrage hingegen sieht die SPD knapp vor der CDU. Kraft wehrt sich im STANDARD-Interview gegen das "Schlechtreden" ihres Landes. Nordrhein-Westfalen habe einen tiefen Strukturwandel hinter sich, aber schon einiges geschafft. Mit der Politik von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ist Kraft zufrieden, sie hofft auf seinen Sieg im Herbst bei der Bundestagswahl.

STANDARD: Im Saarland und in Schleswig-Holstein hat die SPD die Wahlen verloren. Beunruhigt Sie das mit Blick auf Ihre Wahl in Nordrhein-Westfalen morgen?

Kraft: Das Saarland hat ungefähr so viele Einwohner wie Köln, das kann man nicht vergleichen. Und in Schleswig-Holstein war sicher manches hausgemacht. Die SPD in Nordrhein-Westfalen kann Wahlkampf, und wir haben einen klaren Plan für dieses Land.

STANDARD: Hat die SPD-Schlappe in Schleswig-Holstein Ihre letzte Wahlkampfwoche verändert?

Kraft: Das Ergebnis hat die Motivation gesteigert, mit noch mehr Bürgern ins Gespräch zu kommen, um für unsere Anliegen, etwa die gebührenfreie Kita (Kindergarten Anm.) für 30 Stunden, zu werben. Das ist für Familien wichtiger als alle Steuersenkungen der vergangenen zwanzig Jahre.

STANDARD: Nordrhein-Westfalen musste – Stichwort Bergbau – einen tiefgreifenden Strukturwandel durchmachen. Nervt es Sie, dass Ihrem Land das "Schlusslicht-Image" anhaftet – mit maroden Brücken und Autobahnen?

Kraft: Ja, dieses falsche Schlusslicht-Bild, das die Opposition konstruiert, nervt. Denn es stimmt nicht. Natürlich müssen wir in einigen Bereichen noch aufholen, aber es wurde schon unglaublich viel geschafft. Über Jahrzehnte haben wir die Infrastruktur im Osten Deutschlands aufgebaut. Aber jetzt ist der Westen dran, wir haben jetzt endlich Geld für Nordrhein-Westfalen zur Verfügung.

STANDARD: Fallen Staus bald weg?

Kraft: Solche Fantasieversprechen kann nur die Opposition machen. Wenn wir viele Baustellen haben, haben wir auch Staus. In NRW fährt jedes fünfte deutsche Auto, und das auf einer Fläche, die halb so groß ist wie Bayern.

STANDARD: Ihr Land hat die höchste Verschuldung und höhere Arbeitslosigkeit als andere Länder.

Kraft: In absoluten Zahlen hat NRW eine hohe Verschuldung, auch weil wir das größte Bundesland sind. Deutschland hat absolut auch mehr Schulden als Griechenland. Bei der Pro-Kopf-Verschuldung liegt NRW im Mittelfeld der Bundesländer, und wir haben 2016 erstmals seit 1973 mit einem Plus abgeschlossen. Was die Arbeitslosigkeit betrifft: Sie ist die niedrigste seit 24 Jahren.

STANDARD: Wie sehr belastete Sie die Silvesternacht von Köln 2015 und der Fall Anis Amri? Amri war ja in Nordrhein-Westfalen untergebracht. Die Opposition nennt Ihren Innenminister "Sicherheitsrisiko".

Kraft: Das waren beides schreckliche Ereignisse. Die Silvesternacht war nicht nur in Köln katastrophal, sondern auch in anderen Städten. Fest steht, dass es Fehler im Polizeieinsatz gab, wofür der damalige Polizeipräsident von Köln seinen Hut nehmen musste. Auch im Fall Amri sind Fehler gemacht worden. Einer war sicher, dass Amri trotz der Warnungen der NRW-Behörden als nicht mehr so gefährlich eingestuft wurde, weil er in Berlin in Drogenkriminalität geriet. Da die rechtlichen Möglichkeiten nicht ausreichten, um Amri in Abschiebehaft zu nehmen, ändert die Bundesregierung jetzt die gesetzliche Grundlage. Die Bürger erwarten zu Recht, dass der Staat ein lernendes System ist.

STANDARD: Erwarten Sie von Kanzlerkandidat Schulz mehr Inhalte?

Kraft: Er hat jetzt gerade ein wichtiges Thema gesetzt: Wir müssen wieder dazu kommen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer den gleichen Beitrag in die Krankenversicherung einzahlen, also zurück zur früheren Parität. Die CDU macht dagegen große Versprechungen für Steuersenkungen. Die Bürger wissen aber einzuschätzen, dass das Geld dann dem Land oder den Städten fehlt.

STANDARD: Ist es richtig, dass Schulz die Sozialreformen von Gerhard Schröder korrigiert?

Kraft: Das ist ein völlig normaler Vorgang. Bei einem so umfassenden Reformkonzept muss man immer wieder nachsteuern.

STANDARD: Mehr Arbeitslose für Ältere ist aber ein zentraler Punkt.

Kraft: Der entscheidende Punkt ist ein Recht auf Qualifizierung. Wenn jemand arbeitslos wird und eine Qualifizierungsmaßnahme macht, soll er für diese Zeit länger Arbeitslosengeld I erhalten. Der Fachkräftemangel wächst, da ist es sinnvoll, Arbeitssuchende weiterzubilden. Die SPD tritt an, um dieses Land gerechter zu machen.

STANDARD: Gelingt das in der großen Koalition nicht?

Kraft: Wir haben es in Teilen geschafft, etwa mit der Rente mit 63 oder der Mütterrente, auch Auswüchse bei Leih- und Zeitarbeit wurden eingedämmt, aber wir müssen ja immer Kompromisse mit der CDU schließen. Deshalb kämpfen wir dafür, bei der Bundestagswahl vorne zu liegen, dann können wir noch mehr Gerechtigkeit schaffen. Wichtig ist uns, die Befristung von Arbeitsverträgen ohne sachliche Begründung zu beenden. (Birgit Baumann, 13.5.2017)