Es war ein leiser Kontrapunkt im allgemeinen Hype um den Heilsbringer. Nein, es handle sich um keine neue Wahlpartei, mit der Sebastian Kurz antreten wird, stellte Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer nach der ÖVP-Vorstandssitzung am Sonntagabend auf Nachfrage von Medien klar: "Das ist Volkspartei – nur eben offener."

In den Bedingungen, die Kurz den Parteikollegen diktiert hat, klingt das nach größerer Unabhängigkeit. Von einer "eigenständigen Liste" ist dort die Rede, "unterstützt von der ÖVP". Die Interpretation, dass die Partei nun einfach unter dem Namen ihres populärsten Politikers antrete, sei falsch, versicherte Kurz' Sprecher am Rande des Vorstandstreffens: "Das ist etwas ganz Neues."

Ist das Label der "Eigenständigkeit" also mehr als ein Werbegag, um sich das frische Image einer "Bewegung" zu verpassen? "Natürlich handelt es sich um die Kandidatur der ÖVP", sagt der Politologe Hubert Sickinger: "Alles andere wäre widersinnig und würde die Partei Millionen kosten." Würde Kurz mit einer Liste antreten, die sich nicht mit der ÖVP identifiziert, fiele Letztere um die allgemeine Parteiförderung um. Diese bemisst sich am Wahlresultat – und kann nur an eine angemeldete Partei fließen. Die ÖVP erhält unter diesem Titel seit der letzten Nationalratswahl 7,35 Millionen pro Jahr, dazu kommen 2,4 Millionen für die Parteiakademie.

Absturz auf Wahlzettel

Weitere Folge von zu viel Unabhängigkeit: Kurz & Co würden auf dem Stimmzettel nicht auf jenem zweiten Platz aufscheinen, den die ÖVP bei der Nationalratswahl 2013 errungen hat, sondern nach hinten rutschen. Das gilt als Handicap, zumal so mancher Wähler die Liste übersehen könnte.

Ob eine wahlwerbende Liste einen angestammten Platz auf dem Wahlzettel verliert, hängt nicht in erster Linie vom Namen ab. Die SPÖ hat sich 1994 von "sozialistisch" auf "sozialdemokratisch" umbenannt und hielt dennoch die Poleposition in der Reihung. Im Zweifelsfall überprüfen die Wahlbehörden von Bund und Ländern, welche inhaltlichen und personellen Kontinuitäten bestehen, und holen verfassungsrechtliche Gutachten ein. So geschehen 2006, als FPÖ und BZÖ um den dritten Stimmzettelplatz ritterten – wobei die Blauen reüssierten.

Reißverschluss gilt bereits

Neu ist es nicht, dass die ÖVP bei Wahlen unter dem Namen des Spitzenkandidaten antritt. Landesparteien setzten ihre populären Volkstribunen schon öfter derart in Szene. Nun eben "Sebastian Kurz – die neue Volkspartei".

Auch das "Reißverschlusssystem", das künftig für ein gendermäßig ausgewogenes Kandidatenangebot sorgen soll, hat nicht erst der frischgewählte Parteichef durchgesetzt. Wie die Austria Presse Agentur herausfand, gilt in der ÖVP bereits seit zwei Jahren die Vorschrift, dass sich auf den Bundes- und Landeswahllisten Männer und Frauen abwechseln müssen. Eine weitere Forderung aus Kurz' Katalog ist ebenfalls bereits jetzt möglich: Das schwarze Statut verbietet nicht, dass Nichtmitglieder für die ÖVP kandidieren. Ein fremdes Parteibuch dürfen sie allerdings nicht haben.

Genützt hat diese Tür bisher allerdings kaum ein parteifreier Kandidat. Kurz verspricht, dies zu ändern – und da geben ihm die Beschlüsse vom Sonntagabend Instrumente in die Hand, die tatsächlich neu sind. Künftig darf der Obmann laut verkündeter Vereinbarung im Alleingang die Bundesliste der Wahlkandidaten bestimmen; bisher konnte dieser "nur" einen Vorschlag unterbreiten, die Entscheidung lag kollektiv beim Vorstand. Mehr Einfluss verspricht auch ein Vetorecht, dank dem der ÖVP-Chef nicht genehme Kandidaten auf den Landeslisten verhindern können soll.

Funktionäre müssen rennen

Doch da gibt es realpolitische Grenzen. Trotz Durchgriffsrechts ist Kurz gut beraten, nicht einfach über Landesparteien und ÖVP-Bünde drüberzufahren. Dank seiner Popularität mag es der schwarzen Nachwuchshoffnung gelingen, üppige Spenden von "außen" zu lukrieren, doch auf die Mittel der großen Landesparteien kann er im Wahlkampf dann doch schwerlich verzichten. Vor allem ist er darauf angewiesen, dass die Funktionäre zwischen Bregenz und Eisenstadt motiviert sind und für ihn unermüdlich "rennen".

Dass das dominante Auftreten von Kurz manchem Parteifreund bereits einen schalen Nachgeschmack beschert haben könnte, ließ sich nach der Kür am Sonntagabend erahnen. Sozialsprecher August Wöginger betonte, dass die ÖVP bei allen Rufen nach frischem Blut gut aufgestellt sei, und sagte: "Es ist wichtig, dass wir als Partei offen sind, wir verlangen aber auch, dass unsere Grundwerte eingehalten werden." (Gerald John, 16.5.2017)