Das Europäische Parlament wird am Mittwoch im Plenum in Straßburg voraussichtlich den ersten konkreten Schritt zu einem Prüfverfahren setzen, das eine systematische Verletzung von rechtstaatlichen Prinzipien und Grundrechten durch die ungarische Regierung von Viktor Orbán zum Gegenstand hat. An dessen Ende könnte gemäß Artikel 7 EU-Vertrag ein Stimmrechtsentzug für das Land stehen, der Ausschluss von allen wichtigen Entscheidungen im EU-Ministerrat.

Wie berichtet, steht Orbán seit Jahren heftig in der Kritik, weil er mit nationalen Gesetzgebungen immer wieder EU-Recht brach beziehungsweise gezielt unterlief. Jüngster Fall war sein Hochschulgesetz, das im Kern darauf hinausläuft, die vom US-Investor George Soros gestiftete Central European University in Budapest in die Knie zu zwingen. Unter anderem deswegen hat die EU-Kommission bereits mehrere Verfahren laufen. Sie versucht die Unstimmigkeiten mit Budapest in einem umfassenden Dialog aus dem Weg zu räumen und will erst dann entscheiden, ob ein Stimmrechtsentzugsverfahren kommen soll.

Wiederholungstäter Orbán

Der Mehrheit der EU-Abgeordneten ist das aber nicht genug. Sie beklagen, dass Orbán die EU-Partner seit Jahren an der Nase herumführe und als Wiederholungstäter ständig neue Brüche von EU-Grundlagen vorantreibe. "Wir wollen daher, dass jetzt gleich gehandelt wird", sagte der EU-Abgeordnete Josef Weidenholzer dem Standard. Es brauche keine weiteren Feldstudien. Auf Antrag aller wichtigen Fraktionen mit Ausnahme der Europäischen Volkspartei (EVP) wird dieses Verhalten nun in einer Resolution zusammengefasst. Sie mündet in einen Auftrag an den zuständigen Rechtsausschuss (Libe) des Parlaments, einen Ungarn-Bericht zu erstellen, noch vor dem Sommer.

Unklar ist noch, ob in der Resolution dieser klare Auftrag nach einem Artikel-7-Verfahren eine Mehrheit bekommt. Die EVP brachte einen Änderungsantrag ein, wonach man vor dieser Entscheidung noch den Bericht der EU-Kommission zu Ungarn abwarten solle. "Was aber nichts daran ändert, dass auch die meisten EVP-Abgeordneten die Verurteilung des Verhaltens von Orbán mittragen", wie der Abgeordnete Othmar Karas erklärt. Wahrscheinlich ist eine Mehrheit für ein rasches eigenständiges Vorgehen des Parlaments.

Hohe Hürden für Sanktion

Bis das eigentliche Ausschlussverfahren beginnt, gäbe es aber noch sehr hohe, kaum überwindbare Hürden. Selbst wenn der Libe-Ausschuss den Stimmrechtsentzug für Ungarn empfehlen würde, müsste das im Plenum mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossen werden.

Und die Staats- und Regierungschefs müssten das bei einem EU-Gipfel mit Vierfünftelmehrheit bestätigen – schwierig angesichts der Schwere dieses Schritts. Orbáns Regierung darf sich also formal noch einigermaßen sicher fühlen, aber imagemäßig hat er bereits den Schaden. "Auch in seiner Fraktion, der EVP, haben viele inzwischen die Nase voll", berichtet die grüne Vizepräsidentin Ulrike Lunacek. (Thomas Mayer aus Straßburg, 17.5.2017)