Existiert die Koalition eigentlich noch? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Erst beißen sich Rote und Schwarze gegenseitig ins Wadl, als fände die Nationalratswahl bereits am kommenden Sonntag statt, dann einigen sie sich plötzlich auf Vorhaben, die wochenlang umstritten waren. Da ruft die Kanzlerpartei das "freie Spiel der Kräfte" im Parlament aus – und beschwört ein paar Stunden später die Koalitionstreue.

Ein Verwirrspiel boten die Sozialdemokraten in einer gesellschaftspolitischen Fahnenfrage. Seit langem fordern sie, die Ehe inklusive aller damit verbundenen Rechte für Homosexuelle zu öffnen. Doch als die Grünen nun einen Antrag stellten, um genau darüber eine parlamentarische Debatte noch vor dem Sommer anzuzetteln, stimmte die SPÖ dagegen – weil sie sich, wie der Justizsprecher sagte, an den Regierungspakt gebunden fühlte.

Watschen für SPÖ

Es hätte sich eh nur um Symbolpolitik gehandelt, da keine Mehrheit absehbar ist, argumentiert man im SP-Klub. Doch gerade dann müssten die roten Mandatare umso weniger auf die ÖVP Rücksicht nehmen. Statt Flagge zu zeigen, bieten sie eine Angriffsfläche auf einem Terrain, auf dem die Rollen eigentlich klar verteilt sind: Es ist die ÖVP, welche die überfällige Gleichstellung verhindert, was sie bei urban-liberalen Wählern nicht unbedingt sympathisch macht. Die Watschen der Opposition aber holten sich die Sozialdemokraten ab.

Die Episode wird die Wahl nicht entscheiden, zeigt aber das Dilemma der Kanzlerpartei. Gerne würde sich Christian Kern als Macher über die Parteigrenzen hinweg präsentieren, der sich mit handfesten Projekten schmücken kann, ehe Rivale Sebastian Kurz überhaupt sein Wahlprogramm zusammengeschustert hat. Doch offenbar sind die Achsen zur Opposition, speziell zur FPÖ, nicht tragfähig genug dafür, dass sich der SP-Chef auf Erfolge im freien Spiel der Kräfte verlassen kann. Nimmt man Signale von Blau bis Grün ernst, dann könnte sich abseits der bremsenden ÖVP eine Mehrheit für eine Reform der Gewerbeordnung ergeben, die über den ursprünglich geplanten und von der SPÖ nun wegen Nichtigkeit aufgekündigten Kompromiss hinausgeht. Doch wirklich viele Projekte, für die Kern eine bunte Allianz zustande bringen könnte, zeichnen sich nicht ab.

SPÖ auf ÖVP angewiesen

Die SPÖ muss sich die ÖVP deshalb zwangsläufig warmhalten. Ein Regierungschef ist am meisten darauf angewiesen, konkrete Ergebnisse zu liefern. Für die Reputation Kerns wäre es fatal, würde er vor lauter Taktiererei am Ende gar nichts auf die Beine stellen: weder mit der ÖVP noch im freien Spiel der Kräfte.

Kurz tut sich da als frischer Herausforderer leichter, doch Interesse an einer Blockade hat er ebenso wenig – schließlich versprach auch der VP-Chef konstruktive Arbeit. Die jüngsten Beschlüsse im Parlament deuten darauf hin, dass die Koalitionäre trotz tiefer gegenseitiger Abneigung diesbezüglich zur Besinnung gefunden haben. Alles andere würde nur Heinz-Christian Strache nützen, der von manchen Kommentatoren voreilig zum Auslaufmodell gestempelt wurde.

Für den Fall, dass die letzten Tage der Koalition doch im Chaos versinken, hat Kurz vorgesorgt: Der Mann, der in der ÖVP alles alleine bestimmen möchte, verweigert sich dem Vizekanzlerposten, um irgendwie doch nicht dabei gewesen zu sein. Aus taktischer Sicht ist das vielleicht superschlau – in der Sache aber inkonsequent und einigermaßen feig. (Gerald John, 17.5.2017)