In Grisha Bruskins machtkritischer Biennale-Installation wacht der russische Doppeladler als übermächtige Maschine über sein Volk.


Foto: Herwig G. Höller

Es ist nicht allzu lang her, dass Russlands Superreiche vor allem mit protzigen Partys und Superyachten für Gesprächsstoff auf der Biennale sorgten. Doch das ist vorbei: 2017 steht die professionelle internationale Positionierung von Kunstinstitutionen im Vordergrund.

"Unsere Institutionen nehmen die Biennale ernster als zuletzt", erklärte vergangene Woche der prominente Moskauer Galerist Dmitri Chankin, der auch von deutlich mehr russischem Fachpublikum auf der diesjährigen Biennale als vor zwei Jahren spricht. Die Situation habe sich verbessert, Reisen nach Venedig seien wieder erschwinglich, sagte Chankin zum STANDARD.

Leonid Michelson steht auf dem Fondamenta delle Zattere und plaudert entspannt mit Bekannten. In Russland würde eine kleine Armee für die Sicherheit des derzeit reichsten Russen sorgen, dessen Vermögen von Forbes auf 18,4 Milliarden Dollar geschätzt wird. In Venedig steht ihm indes schützend vor allem die Kulturmanagerin Teresa Iarocci Mavica zur Seite. Die umtriebige Italienerin hat die 2009 gegründete V-A-C Foundation, die nach Michelsons Tochter Viktoria benannt ist und zeitgenössische Kunst aus Russland im Ausland promoten möchte, in einen internationalen Major Player verwandelt: V-A-C, das derzeit das stillgelegte Wasserkraftwerk "GES-2" in Kreml-Wurfweite von Stararchitekt Renzo Piano in ein riesiges Kunstzentrum verwandelt, tritt als einer der Hauptsponsoren der Biennale auf und verfügt mit dem Palazzo delle Zattere seit vergangener Woche auch über eine permanente Heimstätte in Venedig. "Wenn man hier nicht vertreten wird, kann man kein bedeutsames Glied in der internationalen Kunstszene werden", erklärt Michelson.

Wie sehr bei V-A-C der Export im Vordergrund steht, macht gerade aber auch die Eröffnungsausstellung deutlich. Anlässlich von 100 Jahren Oktoberrevolution feiert Space Force Construction einigermaßen unkritisch Ästhetiken der frühen Sowjetunion ab. Zu sehen sind knapp 100 Werke der damaligen Zeit, darunter Zeichnungen und Gemälde von Kasimir Malewitsch und Ljubow Popowa, oder die Rekonstruktion eines "Arbeiterklubs" von Aleksandr Rodtschenko. Hinzu kommen einige Positionen zeitgenössischer Kunst, etwa eine überdimensionale Installation der Russin Irina Korina oder eine raumgroße El-Lissitzky-Hommage des Österreichers Florian Pumhösl.

Die Ausstellungstexte geizen nicht mit Kapitalismuskritik, die jedoch nicht auf Russland oder gar Michelson selbst bezogen wird. Der vor allem im Gassektor tätige Multimilliardär hat enge Geschäftsbeziehungen zum nächsten Umfeld des russischen Präsidenten. In welchem Ausmaß seine internationalen Kunstaktivitäten, die nach der russischen Realverfassung jedenfalls vom Kreml abgesegnet sein müssen, auf ein positives Image im Ausland abzielen, bleibt ebenso unklar wie auch die Frage, ob derartige Aktivitäten vor etwaigen westlichen Sanktionen schützen können.

Zwei russische Sichtweisen

Ganz ohne Verweis auf totalitäre Ästhetiken kommt indes das staatliche Puschkin-Museum aus, das im Palazzo Soranzo Van Axel auf Medienkunst setzt. Der Russe Dmitri Bulnygin lässt hier in seiner Videoinstallation ein Aquarium ausrinnen und stresst die darin befindlichen Fische, der Niederländer Marnix de Nijs lässt den Ausstellungsbetrachter durch verfremdete Stadträume navigieren. "Venedig ist der allerbeste Ort, um zu demonstrieren, dass das Puschkin-Museum sich nunmehr auch mit zeitgenössischer Kunst beschäftigt", begründet Direktorin Marina Loschak ihr erstmaliges Engagement in der Lagunenstadt.

Als auffällig erweist sich 2017 in Venedig der inhaltliche Kontrast zwischen dem russischen Parallelprogramm und dem Giardini-Pavillon, in dem auf aktuelle Ideologeme Russlands angespielt wird. Der lateinische Ausstellungstitel Theatrum Orbis bezieht sich formal auf einen historischen Atlas, gleichzeitig unterstreicht er Russlands Faible für das Imperiale. In seiner Installation, die sich aus hunderten, archaisch wirkenden Skulpturen zusammensetzt, reflektiert Grischa Bruskin im ersten Stock des Pavillons über das Irrationale einer neuen Weltordnung, deren Errichtung von der russischen Politik durch die Annexion der Krim 2014 geradezu forciert wurde.

Das abschließende Video von Sascha Pirogowa im Erdgeschoß, das eine Gruppe sich langsam aufrichtender junger Menschen zeigt, lässt sich auch als Verweis auf eines der wichtigsten Motive von Wladimir Putins Russland verstehen. Das Land habe in seinen Amtszeiten – so die Darstellung – aufgehört zu knien und sei wieder mächtig geworden. (Herwig G. Höller aus Venedig, 19.5.2017)