Wien – Damit man gleich einmal die Spannung rausnimmt und wir uns wieder etwas lockermachen können: Ein wenig klingt die Musik Helene Fischers zielgruppengerecht für Leute gemacht, die in ihrer Freizeit gern das Auto waschen, Staub saugen, ihren Kindern den Mund mit Spucke und Taschentuch sauber machen und überhaupt nach dem Sex (oder heißt es Ehehygiene?) gleich einmal duschen rennen, weil ... oh, mein Gott, ich fühle mich irgendwie total schmutzig!

Helene Fischer, hier bei ihrem letzten Österreichauftritt bei den Special-Olympics-Winterspielen in Graz im März dieses Jahres.
Foto: APA / Erwin Scherau

Normalerweise antwortet man auf Letzteres: Na, hoffentlich! Aber in unserer Gesellschaft nehmen die Prüderie, der Waschzwang und die selbsternannten Saubermänner traditionell breiten Raum ein. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass es im deutschen Sprachraum die CD sowohl als Seife als auch als Tonträger gibt.

Erstere steht für "clear and distinct / klar und durchsichtig" und wirbt mit dem Spruch "An meine Haut lasse ich nur Wasser und CD". Die Letztere wird, wenn man Zeit hat, als "Compact Disc / Kompakte Scheibe" ausgesprochen und liegt nach vier Jahrzehnten digitaler Kompression (ein Synonym auch für den Druck in unserer Gesellschaft!) endlich im Sterben. Wie lang es das Nachfolgeformat MP3 noch geben mag, kommt auf die Zuwächse der Streamingdienste an. Dieser Tage wurde die Weiterentwicklung des Formats MP3 jedenfalls eingestellt. Helene Fischer verzichtet einstweilen mit ihrem neuen Material auf Streamingdienste.

Universal Music Austria

Helene Fischer macht zwar in Deutschland eigentlich Werbung für Butter und fade Mittelklassewagen aus Wolfsburg, die gerade international wegen gefälschter Abgaswerte für Dieselautos und einer Milliardenstrafe ein wenig in den Blickpunkt gerückt sind. Sie passt als Testimonial aber wie die Faust aufs Auge für die CDs. Die Begriffe keimfrei, steril, aseptisch und künstlich stehen im Zusammenhang mit Helene Fischer nicht erst seit heute im Raum.

Nach dreieinhalb Jahren Siegeszug mit ihrem dreimillionenfach verkauften Album Farbenspiel und dem als Endlosschlaufe in der deutschsprachigen Festkultur zwischen Karneval, Kirtag, Gleichen- und Leichenfeier umgehenden, mittlerweile in der kulturellen DNA Mitteleuropas eingeschriebenen, übergriffigen Hit Atemlos durch die Nacht hat es Helene Fischer nun wieder getan.

Lyrisches Bullshit-Bingo

Helene Fischer hat mit ihrem konsequenterweise Helene Fischer betitelten Album die Aufgabe, abseits des Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker, dem Craft-Beer-Konzeptalbum der Toten Hosen oder den fünfzehn größten Scheidungshits von Andrea Berg die Musikindustrie zwischen der Uckermark und dem Eisacktal für mindestens ein weiteres Jahr umsatzmäßig zu retten.

Für Helenes bisher "persönlichstes Album" wurde zur Sicherheit ein Komponisten- und Plattitüden-Texterteam aufgefahren, das gerade noch in einen Reisebus passt. Auch stilistisch ist hier in der Verschränkung alles enthalten: Party-Schlager, Firmenfeier-Dancefloor, Song-Contest-Durchhalteballade, Goldene-Hochzeits-Techno, Reihenhaus-Rock – sowie lyrisches Bullshit-Bingo mit ich und du, Herz und Schmerz, frei sein und fliegen, die Sonne anzünden, der Weg war immer unser Ziel – und so weiter und so abgedroschen.

Insgesamt 24 Lieder hat Helene Fischer zu bieten. Mit ihnen kann man das Land für lange Zeit flächendeckend akustisch betäuben, ohne damit einen Hund hinter dem Ofen hervorzulocken. Ein wichtiges Erfolgsmerkmal im Schlager ist heute seine Sauberkeit. Selbst wenn Helene Fischer zwischendurch einmal stöhnt, fühlt sich niemand in seinen sexuellen Gefühlen verletzt. Diese Lieder dürfen nicht auffallen – und es gelingt ihnen. Preisfrage: Wie viele Lieder Helene Fischers können Sie mitsingen? (Christian Schachinger, 19.5.2017)