Eva Glawischnig mit ihrem Mann, Moderator Volker Piesczek: Nach ihrer letzten – wohl schwierigsten – Pressekonferenz wirkte die ehemalige grüne Chefin recht gelöst.

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EU-Mandatarin Lunacek schließt Parteiübernahme nicht aus, Tirols Landesvize Felipe soll wegen des damit verbundenen Umzugs nach Wien noch zögern, und auch Salzburgs Landesvize Rössler ist als Glawischnigs Nachfolgerin im Gespräch.

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Hat vorerst abgewunken: VdBs Wahlkampfleiter Lockl.

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Gilt als Favorit für den Klubchef: Justizsprecher Steinhauser.

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Nach einer langen, ungewissen Nacht für die Grünen, in der Onlinemedien, allen voran die deutsche "Zeit", schon vom Rücktritt ihrer Chefin zu berichten wussten, macht Eva Glawischnig Donnerstagvormittag im Parlament reinen Tisch: Im dunklen Anzug tritt die 48-Jährige, knapp neun Jahre an der Spitze der Partei und ihre Klubchefin im Nationalrat, um 10 Uhr vor die Presse, um über ihre "persönliche Entscheidung" zu informieren: dass sie Funktionen und Mandat zurücklegt – weil es bereits "körperliche Warnsignale" gebe, die sie "ernst nehmen müsse".

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Ein Verweis auf ihren allergischen Schock, den sie vor wenigen Wochen im Zuge des Aufstandes der grünen Jugend erlitten hat. Doch zunächst lässt Glawischnig in ihrem gewohnt schnellen Sprechtempo kurz ihre Karriere Revue passieren – angefangen von den Jahren als grünbewegte Aktivistin, "die AKW-Betreiber geklagt" hat und "auf Baustellen gesessen" ist, bis hin zu ihrem Erfolg als grüne Chefin, der im Vorjahr darin gipfelte, dass ihr politischer Ziehvater Alexander Van der Bellen, im Vorfeld von ihr maßgeblich zur Kandidatur ermuntert, als Bundespräsident in die Hofburg einziehen konnte.

Sieben Tage die Woche

Doch angesichts des anstehenden Nationalratswahlkampfes will Glawischnig nun "als Mutter nicht ihre Gesundheit aufs Spiel setzen", mit einem Job, der einen mitunter "sieben Tage die Woche 24 Stunden lang" in Anspruch nimmt.

Als die Grüne zum Dank an ihre Familie, Weggefährten und Parteifreunde ansetzt, gerät sie wegen aufkommender Tränen mehrmals ins Stocken. Sekundenlang kämpft die stets gefasste Spitzenpolitikerin, die in den letzten Wochen dutzende Shitstorms in den oft gar nicht so sozialen Netzwerken erdulden musste, immer wieder gegen ihre Emotionen an, um dann weiter Klartext zu reden.

Über "die politische und mediale Aggressivität", die ständig zunimmt. Dass es nicht nur im Internet, auch in der Medienbranche "einzelne Persönlichkeiten" gebe, die die Republik "regelrecht vergiften" und "unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden" – nicht nur weil sie "journalistische Sorgfalt und Recherche vermissen lassen", sondern auch weil sie "einfach sexistische Machos" seien.

Absage an den starken Mann

Als "überzeugte Parlamentarierin" warnt Glawischnig auch vor dem "Wunsch" vieler nach dem "sogenannten starken Mann". Denn wenn es mehr Frauen in Führungspositionen gäbe, würde auch die politische Kultur im Land anders aussehen. Dabei kriegt ihr jahrelanger blauer Kontrahent noch einen letzten Seitenhieb ab: Von den aktuellen Parteichefs teile sie "nur mit Heinz-Christian Strache" das "Dienstalter", rechnet Glawischnig spöttisch vor, aber im Gegensatz zu ihm sehe sie "noch nicht so aus".

Zu ihren Nachfolgern – die Posten des Bundessprechers, des Klubchefs sowie die Spitzenkandidatur der Grünen sind nun vakant – ist der scheidenden Frontfrau wenig zu entlocken. Nur so viel gibt Glawischnig bekannt: Am Freitag wird sich der erweiterte Parteivorstand in Salzburg mit den nötigen Personalentscheidungen befassen. Von Ämtertrennung zwischen Partei und Mandat wie in Deutschland halte sie nichts, erklärt sie noch, dafür umso mehr von "mehr Sichtbarkeit von Weiblichkeit", denn: "Führungskompetenz muss nicht immer in Anzügen und slim fit daherkommen" – offensichtlich sind damit SPÖ-Chef Christian Kern und ÖVP-Obmann Sebastian Kurz gemeint.

Der rasche Rückzug ihrer Chefin trifft viele Funktionäre, aber auch Teile des Parlamentsklubs überraschend. Interimistisch übernehmen vorerst Glawischnigs Stellvertreter Ingrid Felipe und Werner Kogler die Leitung der Grünen, im Parlament die Vize-Klubchefs Gabi Moser und Albert Steinhauser ihre Rolle. Letzterer soll gute Chancen haben, Klubchef zu bleiben, denn der Justizsprecher gilt in Sachen Parlamentarismus als äußerst versiert und im Umgang recht verbindlich.

Reaktionen der Grünen zum Glawischnig-Rücktritt.
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Neue Zugkraft gesucht

Als wahrscheinlich gilt auch, dass Felipe, die vom Rückzug Glawischnigs seit einigen Tagen gewusst haben soll, auch langfristig zur Parteiobfrau gekürt wird, allerdings sträubt sich die Tiroler Vize-Landeshauptfrau angeblich noch gegen einen Umzug nach Wien – nicht nur, weil in ihrem Land nächstes Jahr Landtagswahlen anstehen und sie mit einer missglückten Spitzenkandidatur im Bund politisch ruiniert wäre, sondern auch, weil sie ihren Sohn nicht aus dem gewohnten Umfeld reißen möchte.

Deswegen wird als potenzielle neue Bundessprecherin auch EU-Mandatarin Ulrike Lunacek genannt. Die knapp 60-jährige Vizepräsidentin des EU-Parlaments schloss das Donnerstagmittag nicht aus. "Es freut mich, und es ehrt mich, dass ich im Gespräch bin", sagte sie. Sie wolle "weder etwas einschließen noch ausschließen". Auch im Gespräch: die Salzburger Vize-Landeshauptfrau Astrid Rössler. Van der Bellens Wahlkampfleiter Lothar Lockl hat vorerst abgewunken: "Ich stehe bis auf weiteres nicht zur Verfügung", sagte er, er wolle sein Unternehmen nicht aufgeben und seiner Frau, der ORF-Moderatorin Claudia Reiterer, beruflich den Vortritt lassen.

Konkrete Entscheidungen am Freitag über die offenen Fragen galten bis zuletzt nicht als fix. "Es kann sein, dass es schon zu einer Richtungsentscheidung kommt. Vielleicht werden wir aber noch ein paar Tage brauchen. Es gibt keinen Zeitdruck", sagte der grüne Bundesgeschäftsführer Robert Luschnik am Freitag im Ö1 Morgenjournal. Auch eine Doppelspitze sei möglich.

Ursprünglich wollten die Grünen beim Bundeskongress am 25. Juni ihre Listen für die Nationalratswahl erstellen, nun haben sie ihre logische Spitzenkandidatin verloren. Eine Vorverlegung des oft zermürbenden basisdemokratischen Parteispektakels steht im Raum. Die Jungen Grünen sehen im Rücktritt von Glawischnig jedenfalls ihre Chance für einen Neuanfang gekommen. (Nina Weißensteiner, Steffen Arora, Thomas Mayer, 18.5.2017)