Everybody's Darling, zumindest im Moment: Kurz hatte kein Problem, seine Vollmachten in der ÖVP durchzusetzen. Sie umzusetzen könnte zum Problem werden.

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Sebastian Kurz hat die Öffentlichkeit erschreckt: In sieben Punkten habe er die ÖVP erpresst, um sich die Alleinherrschaft in der bürgerlichen Schreckenspartei zu sichern. Das wurde tagelang berichtet und geglaubt. Reißverschlusssystem, eigenständige Erstellung der Bundesliste, Alleinverantwortung für Generalsekretär und Regierungsteam, freie Hand bei Koalitionsverhandlungen: All das ist jetzt schon möglich.

Das Reißverschlusssystem etwa wurde am letzten Bundesparteitag verabschiedet. ÖVP-Chefs haben sich "ihre" Generalsekretäre auch in der Vergangenheit schon selbstständig ausgesucht – so ist etwa Gernot Blümel von Michael Spindelegger in die Schaltstelle der Bundespartei gehievt worden, ohne dass vorher die Landespartei- oder Bündechefs befragt wurden.

Nicht so neu

Dass ein Parteiobmann "seine" Bundesliste selbstständig erstellt, ist ebenfalls keine Neuheit: Als Wolfgang Schüssel etwa meinte, die ÖVP brauche einen Künstler, zog Sänger und Schauspieler Franz Morak ins Parlament ein – und wurde später, unter der schwarz-blauen Kanzlerschaft Schüssels, zum Kulturstaatssekretär. Eben jener Ex-Kanzler war es auch, der sich für die Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ freie Hand ausbedingte.

Neu ist das Vetorecht auf Landeslisten und die inhaltliche Oberhoheit. Das ist nicht wenig, und es wird sich zeigen, wie das alles in der Praxis umgesetzt werden soll. Denn es gibt einen nicht unwesentlichen Fallstrick durch die von Kurz so favorisierten Vorzugsstimmenwahlkämpfe. Das hat sich zuletzt in Wien gezeigt: Der dortige Ex-Parteichef Manfred Juracka hatte die verdiente ÖVP-Mandatarin und ehemalige Generalsekretärin Ingrid Korosec nicht auf der Liste haben wollen und sie kurzerhand nach hinten gereiht.

Doch Korosec, bei ihrer Klientel äußerst beliebte Seniorensprecherin, ließ sich das schlicht nicht bieten und führte einen beherzten und engagierten Vorzugsstimmenwahlkampf – mit Erfolg. Sie sitzt wieder im Stadtparlament, und Juracka war düpiert. Korosec ist übrigens eher die Ausnahme als die Regel – zumeist begünstigen Vorzugsstimmenwahlkämpfe mittelalte gesettelte Männer, die über große Netzwerke und Tagesfreizeit verfügen.

Die Bünde bleiben mächtig

Kurz kann noch so vehement für ein "Reißverschlusssystem" für mehr Frauen in der Politik sprechen – wenn ihm Vorzugsstimmenwahlkämpfer dazwischenfunken, kann das das ganze schöne Gefüge durcheinanderbringen. Zudem: Wenn er das Primat der Bünde auf den Wahllisten zurückdrängen will – das ist nicht der richtige Weg. Man stelle sich etwa vor, wie Bauernbundvertreter am Land abschneiden werden, wenn sie beim Frühschoppen im Dorfwirtshaus Vorzugsstimmen sammeln. Da kann der Bundesobmann noch so sehr aufstampfen, an der Überlegenheit etwa das Bauernbundes im ruralen Gebiet oder des ÖAAB in Beamten- und Lehrerkreisen wird er mit Durchgriffsrecht nicht viel ändern können.

Interessant wird auch die Sache mit der Kurz'schen Oberhoheit über die Inhalte, welche die ÖVP künftig vertreten soll. Man wage ein Gedankenexperiment. Kurz, als junger Mensch mit gesellschaftspolitisch modernen Ansichten, verordnet der ÖVP eine Radikalabkehr von ihrer Homosexuellenfeindlichkeit. Er verlangt die Gleichstellung von Homosexuellen und Transgender-Personen bei der Ehe, in Sachen Fortpflanzung und Adoptionsrecht. Ohne Abstriche, ohne Kompromisse. Auf diese innerparteiliche Diskussion darf man gespannt sein.

Es könnte sein, dass sich die großen Vollmachten für Sebastian Kurz noch als großes Problem für ihn erweisen. (Petra Stuiber, 20.5.2017)