Da fast die Hälfte der Führungskräfte angibt, die Herausforderungen der Paradoxien in ihrem Job als "neutral" zu empfinden, schließen die Berater, dass Arbeiten im Widerspruch mittlerweile Teil des professionellen Selbstverständnisses geworden ist.

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Das Grundsätzliche zuerst: Die meisten Führungskräfte sind überzeugt, "Entscheiden gehört zu meiner Aufgabe". Das Offenlassen der Entscheidungen und das Zutrauen an Mitarbeiter, dass sie wohl im täglichen Geschäft die jeweils passende Lösung finden, sind nur für ein Drittel der Führungskräfte ein möglicher Weg, 20 Prozent halten so etwas für undenkbar. Die Rolle des "Ermöglichers" ist also definitiv noch nicht Wirklichkeit, zeigt sich aus der aktuellen Umfrage unter einigen Hundert Führungskräften durch den Redmont Consulting Cluster, der auch 76 Tiefeninterviews folgten.

Per Bauchentscheidung aus dem Dilemma

Allerdings sagt deutlich mehr als die Hälfte, dass Paradoxien in Entscheidungsthemen stark zugenommen haben. Und was tun die Führungskräfte dann? 50 Prozent versuchen, zwei Ziele gleichzeitig mithilfe organisatorischer Lösungen zu verfolgen. Genauso viele versuchen es mit zeitlichem Hintereinanderreihen. Ein Drittel sagt, dass Bauchentscheidungen der beste Weg aus Dilemmata seien, 90 Prozent nennen "offene Kommunikationsprozesse, bei denen Experten eine wichtige Rolle spielen".

Worum geht es überhaupt bei den als solchen wahrgenommenen Paradoxien des Führungsalltags? Herbert Schober-Ehmer hat vier Zentralthemen aus der Umfrage zusammengefasst:

  • langfristige und sinnorientierte Ausrichtung des Unternehmens versus kurzfristige Reaktion auf aktuelle Erfordernisse und Sachzwänge;
  • hohe, anspruchsvolle Ziele versus Reduktion von Kosten und Personal;
  • Innovationen vorantreiben versus Bestehendes wertschätzen und festhalten;
  • Prinzipien und Regulationserfordernis versus Freiheit, Agilität und Innovation.

Paradoxe Cluster

Die Bewältigung dieser Widersprüche im Alltag lässt sich auch clustern – ist teilweise aber selbst eine paradoxe Option, teilweise scheint sie dem größeren unmittelbaren Druck nachzugeben:

  • Vertrauen, dass sich durch neue Erkenntnisse oder veränderte Rahmenbedingungen Entscheidungen "ergeben";
  • Opfern langfristiger Aspekte zugunsten kurzfristiger Kostenziele;
  • bewusste Vernachlässigung einer Option;
  • Testen von Optionen durch Projekte;
  • Kreation neuer Ziele und Strategien;
  • Kompromisse nicht als 50:50-Lösung verstehen, sondern als Finden eines dritten Weges.

Dazu gehöre auch die öfter genannte Option, mit Mitarbeitern ein gemeinsames Verständnis von Dringlichkeit und Wichtigkeit zu entwickeln, sowie das Wechseln der Perspektiven in Einschätzungsfragen. In den Antworten findet sich auch "Harmonie sicherstellen", finden sich auch die "übergeordneten Ziele", die aktuelles Entscheiden anleiten sollen.

Entweder-Oder hat ausgedient

Herbert Schober-Ehmer: "Führung hat ein weites Repertoire entwickelt – der Königsweg ist ein offener, interdisziplinärer Kommunikationsprozess." Jedenfalls habe die "eindeutige Entweder-oder-Strategie" ausgedient. Damit ist auch der Heros, der die eine, richtige Entscheidung zu treffen vermag, auf den Platz eines Relikts in der Literatur verwiesen.

Da fast die Hälfte der Führungskräfte angibt, die Herausforderungen der Paradoxien in ihrem Job als "neutral" zu empfinden, schließen die Berater, dass Arbeiten im Widerspruch mittlerweile Teil des professionellen Selbstverständnisses geworden ist.

Open Minds

Befragt zu den persönlichen Erfolgsrezepten in diesem Zusammenhang geben sich die Führungskräfte recht offen: Gelassenheit, Humor, Vertrauen darauf, dass es mehr als eine Lösung gibt. Offene Kommunikation, persönliche und sachliche Transparenz, aber auch Lust auf verschiedene Blickwinkel und "Mut zu ungewöhnlichen Lösungen" werden genannt.

Und manchmal genüge ja ein gesunder Menschenverstand, der Zusammenhänge untersucht, versteht, das Ganze in den Blick nehmen kann und mögliche Auswirkungen zu Ende zu denken vermag. (Karin Bauer, 24.5.2017)