Nach Chelsea Manning nun auch Julian Assange. Einen Tag nach der Wikileaks-Informantin könnte auch der Gründer der Enthüllungsplattform freikommen – das zumindest war der Eindruck, den die Meldung vermittelte, Schweden stoppe seine Ermittlungen wegen Vergewaltigungsvorwürfen gegen den 45-Jährigen.

Doch der Fall Assange ist ungleich komplizierter, und er hat sich während seines fünfjährigen Aufenthalts in der Londoner Botschaft Ecuadors verselbstständigt. Assange hat mit dem Entscheid höchstens einen Teil der Freiheit wiedererlangt. Die USA würden ihn weiterhin gern jederzeit festnehmen, wenn sich die Möglichkeit dazu bietet.

Auch Assanges Projekt hat sich verselbstständigt. Als Wikileaks 2010 US-Depeschen veröffentlichte, konnte man das Projekt kritisieren, weil es Sicherheitsschäden in Kauf nahm. Doch es schien glaubhaft, dass es vor allem um aufdeckerischen Anspruch ging. Das ist nicht mehr der Fall. Neue Publikationen dienten kaum verdeckt dazu, bestimmten Kandidaten bei Wahlen zu schaden. In den USA oder in Frankreich: Wikileaks wurde zum Propagandatool.

Ob Assange persönlich dies nun wollte oder nicht – ihm fällt es nun jedenfalls auf den Kopf. Je mehr die Regierung Donald Trumps der Kooperation mit Russland verdächtigt wird, umso vehementer meint sie, den Wikileaks-Gründer verfolgen zu müssen. Presse- und Meinungsfreiheit, die Wikileaks einst fördern wollte, sind ihr dabei zweitrangig. (Manuel Escher, 19.5.2017)