Das dürfte spannend werden: Berlin hat offenbar Jens Weidmann für die Nachfolge von EZB-Chef Mario Draghi ins Rennen geschickt. Der Chef der Deutschen Bundesbank gilt als Falke und hat im Rat der Europäischen Zentralbank auch schon gegen aus seiner Sicht zu lockere Zügel in der Geldpolitik gestimmt.

Auch seine Forderung nach stabilen Staatsfinanzen ist nicht jedermanns Sache. Im Interview – kurz vor seiner Nominierung geführt – weist er Vorwürfe eines deutschen "Spardiktats" für die Eurozone zurück und warnt, dass ein zu später Ausstieg aus den Anleihenkäufen und der Nullzinspolitik die Glaubwürdigkeit der EZB gefährden würde. Beim Bargeld – bereits beschlossen ist ja das Auslaufen des 500er-Schein – spricht sich der Bundesbanker dafür aus, dass die Bürger selbst über die Wahl der Zahlungsmöglichkeiten entscheiden. Und angesprochen auf protektionistische Tendenzen von US-Präsident Donald Trump antwortet Weidmann, dass ein Handelskrieg die Weltwirtschaft massiv beschädigen würde.

Weidmann (links) kann sich der Unterstützung durch Wolfgang Schäuble sicher sein.
Foto: AFP/Saul Loeb

STANDARD: Die Wahlen in Frankreich haben für Aufatmen an den Finanzmärkten gesorgt. Hat der Wahlsieg von Emmanuel Macron die Chancen auf einen Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank erhöht?

Weidmann: Die politische Unsicherheit, die viele als Belastung für die Wirtschaftsentwicklung gesehen haben, hat sich durch den Wahlausgang sicherlich reduziert. Darüber hinaus besteht die Hoffnung, dass der neue Präsident in seinem Land Reformen angehen wird, die im Interesse Frankreichs sind, aber auch die wirtschaftliche Entwicklung des gesamten Währungsraums stärken können. Das gilt vor allem dann, wenn Frankreich seine Wettbewerbsfähigkeit erhöht und auch seine Staatsfinanzen auf eine solide Basis stellt.

STANDARD: Heißt das konkret, dass die EZB die Anleihenkäufe rascher beenden und die Zinsen erhöhen kann? Spekuliert wird über erste Hinweise im Juni?

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Jens Weidmann (rechts) hat nicht alle Maßnahmen von EZB-Chef Mario mitgetragen.
Foto: Reuters/Alex Domanski

Weidmann: Wir richten unsere Geldpolitik nicht nach politischen Ereignissen, sondern an den Preisperspektiven aus. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es unstrittig, dass eine expansive Geldpolitik angemessen ist. Es gibt aber durchaus unterschiedliche Auffassungen über den notwendigen Grad der monetären Expansion und die Instrumente, die wir einsetzen.

STANDARD: Aber ist es nicht ungewöhnlich, dass man bei einem robusten Aufschwung und einer Inflation von 1,9 Prozent zuletzt im April mehr als acht Jahre nach der Lehman-Pleite noch immer im Krisenmodus unterwegs ist?

Weidmann: Die derzeitigen Inflationsraten sind maßgeblich von den Energiepreisen getrieben. Wenn man diesen stark schwankenden vorübergehenden Effekt auf die Inflationsrate herausrechnet, ist der binnenwirtschaftliche Preisdruck noch verhalten. Er wird aber mit der konjunkturellen Erholung allmählich zunehmen. Das gilt es im Rahmen unserer vorausschauenden Geldpolitik angemessen zu berücksichtigen. Und gerade darüber gibt es ja auch Diskussionen im EZB-Rat.

STANDARD: Frankreich verstößt seit Jahren gegen die Euro-Schuldenregeln. Erinnert das nicht an die "Farm der Tiere" – die größeren Länder können es sich richten?

Weidmann: Frankreich ist zweifellos ein wichtiges Mitgliedsland. Das heißt aber noch lange nicht, dass für Frankreich die Haushaltsregeln nicht gelten. Im Gegenteil: Gerade die großen Länder Frankreich und Deutschland haben eine Vorbildwirkung. Um eine stabilitätsorientierte Geldpolitik abzusichern, ist es zentral, dass die Fiskalregeln glaubwürdig bleiben und Bindungswirkung entfalten.

STANDARD: Die EZB stützt mit ihrer Politik weniger stabile Euroländer, die sich damit wie in einem Gehege befinden. Können diese Staaten jemals wieder in der Finanzmarkt-Wildnis überleben?

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Bei Angela Merkel hat Weidmann viele Jahre gearbeitet, bevor sie ihn an die Spitze der Bundesbank hievte.
Foto: Reuters/Tobias Schwarz

Weidmann: Das ist ein sehr pointiertes Bild, ich hatte in einem ähnlichen Zusammenhang von der Gefahr einer Tragfähigkeitsillusion gesprochen. Auch ist in Zeiten sehr niedriger Zinsen der Konsolidierungsdruck wesentlich schwächer. Ich sehe dabei das Risiko der fiskalischen Dominanz. Anders ausgedrückt: Die Sorge, dass ein Anstieg des Zinsniveaus Zweifel an der Nachhaltigkeit öffentlicher Finanzen in manchen Ländern weckt, kann zu Druck auf die Notenbank führen, die geldpolitischen Zügel länger locker zu lassen als aus Sicht der Preisstabilität unbedingt nötig.

STANDARD: Es gibt auch die Meinung, dass die EZB-Politik vor allem der Entschuldung der Staaten dient und damit die Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit der Notenbank auf dem Spiel steht.

Weidmann: Um diesen Befürchtungen entgegenzuwirken, muss der EZB-Rat klare Kante zeigen, wenn der Preisdruck wieder zunimmt. Wir dürfen nicht aus Rücksicht auf die Staatsfinanzen in einigen Ländern oder wegen etwaiger Verluste einzelner Finanzmarktteilnehmer die geldpolitische Normalisierung auf die lange Bank schieben. Da muss die EZB dann Rückgrat zeigen.

STANDARD: Ökonomen sehen bei Immobilien- und Aktienpreisen eine Blase. Ist die lockere Geldpolitik nicht die Munition für den nächsten Finanzmarkt-Crash?

Weidmann: Die Geldpolitik darf vor solchen Risiken nicht die Augen verschließen. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass das Platzen von Blasen ganz erhebliche Auswirkungen auf die Preisstabilität haben kann. Aber es ist auch wichtig, die Widerstandsfähigkeit der Banken und der Volkswirtschaften zu stärken.

STANDARD: Führt die jetzige EZB-Geldpolitik zu einer Umverteilung von unten nach oben?

Weidmann: Nein, das sehen wir nicht so. Unbestritten führt die Geldpolitik zum Anstieg von Vermögenspreisen, und die niedrigen Zinsen belasten die Sparer. Andererseits werden beispielsweise auch verschuldete private Haushalte entlastet, und der Schuldendienst des Staates wird geringer. Wenn auch noch weitere Faktoren mit einbezogen werden, zum Beispiel die konjunkturstützende Wirkung der Geldpolitik und ihre Auswirkung auf den Arbeitsmarkt, spricht aus unserer Sicht viel dafür, dass die expansive Geldpolitik nicht zu einer ungleicheren Einkommensverteilung führt.

STANDARD: Die Wahrnehmung Deutschlands in anderen Ländern hat sich gewandelt. In der Eurokrise stand Deutschland für das Spardiktat, in der Flüchtlingskrise für Solidarität.

Weidmann: Deutschland ist durchaus solidarisch und hat sich auch in der Vergangenheit immer wieder als offenes Land gezeigt. Im Übrigen halte ich den Begriff "Spardiktat" für unpassend, denn es geht um die Umsetzung gemeinsamer Verabredungen.

STANDARD: Ist in nächster Zeit ein EZB-Präsident mit deutschem Pass unmöglich?

Weidmann: Sie meinen, dies wäre dann der einzige europäische Spitzenjob, bei dem per se eine bestimmte Nationalität ausgeschlossen wäre? Nein, im Ernst, der EZB-Präsident sollte nach seiner Qualifikation ausgesucht werden und nicht nach seiner Nationalität.

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Weidmann hat schon stürmische Zeiten erlebt.
Foto: Reuters/Fabrizio Bensch

STANDARD: Ein anderes Problem der Eurozone ist, dass die einheitliche Geldpolitik und die unterschiedlichen wirtschaftlichen Parameter in den Ländern nicht zusammenpassen. Im Falle Italiens – Stichworte: hohe Verschuldung und Arbeitslosigkeit, schwaches Wachstum – ist das besonders deutlich.

Weidmann: Ja, eine gemeinsame stabilitätsorientierte Geldpolitik kann nicht reibungslos funktionieren, wenn die Mitgliedsländer des Euroraums wirtschaftlich immer weiter auseinanderdriften. So ist etwa entscheidend, dass die Staatsfinanzen solide aufgestellt sind. Die Länder sollten außerdem in ihrem eigenen Interesse und damit gleichzeitig im gemeinsamen Interesse des gesamten Euroraums nachhaltiges Wachstum sicherstellen. Dabei geht es aber nicht nur um Italien, sondern um alle Mitgliedsstaaten, auch Deutschland.

STANDARD: Fängt die nächste Eurokrise in Italien an?

Weidmann: Der ehemalige Regierungschef Renzi hat auf umfassenden Handlungsbedarf hingewiesen und an etlichen Stellen Reformen eingeleitet. Nicht zuletzt die Europäische Kommission hat betont, dass der Stärkung des Wachstums und der Produktivität weiter besondere Bedeutung zukommt. Die mitunter in Italien erhobene Forderung nach einem Austritt aus dem Euroraum schafft erhebliche Unsicherheit. Wir sollten alle ein Interesse an einem starken Italien in einer stabilen Währungsunion haben.

STANDARD: Zu Griechenland: Das Programm endet im Sommer 2018. Sehen wir dann wieder eine Krise?

Weidmann: Es ist entscheidend, dass die Verhandlungen über das Programm jetzt erfolgreich und überzeugend zum Abschluss gebracht werden. Vor allem ist wichtig, dass die griechische Regierung glaubwürdig hinter den Verabredungen steht.

STANDARD: Ein Schuldenschnitt soll vermieden werden, indem Athen hohe Budgetüberschüsse erzielt. Ist das nicht unrealistisch und wirtschaftspolitisch kontraproduktiv?

Weidmann: Ich halte einen Primärüberschuss von 3,5 Prozent des BIP auch über einen längeren Zeitraum nicht für zu ambitioniert und würde hier keine Abstriche empfehlen. Auch andere Länder, etwa Finnland, Belgien und Italien, haben in der Vergangenheit gezeigt, dass dies möglich ist. Das im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgeschriebene Ziel eines annähernd ausgeglichenen Haushalts erfordert im Übrigen bei höheren Schulden spürbare Primärüberschüsse – und dies gilt nicht nur, aber auch für Griechenland.

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Geldpolitisch expansiver als Weidmann: Ewald Nowotny.
Foto: Reuters/Heinz Peter Bader

STANDARD: Österreichs Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny trägt die expansive Geldpolitik mit, während Ihnen gerade die Anleihekaufprogramme zu weit gehen. Wie groß sind die Differenzen?

Weidmann: Ich kann Ihnen sagen, dass uns mit den österreichischen Kollegen ein sehr enger Austausch verbindet. Aber ich sehe Staatsanleihenkäufe in der Währungsunion insgesamt sicherlich kritischer als manch anderer, weil sie dazu führen, dass die hier besonders wichtige Grenze zwischen der Geldpolitik und der Fiskalpolitik verschwimmt. Mittlerweile sind die Notenbanken des Eurosystems die größten Gläubiger der Staaten. Das kann am Ende dazu führen, dass politischer Druck auf das Eurosystem ausgeübt wird, länger an der sehr lockeren Geldpolitik festzuhalten als eigentlich angemessen.

STANDARD: Sie sehen die Bargeld-Begrenzungen skeptisch, haben gegen das Auslaufen des 500er-Scheins gestimmt. Doch aus Brüssel gibt es schon neue Initiativen in Richtung Obergrenzen bei Bargeldtransaktionen.

Weidmann: Wir hatten eine Diskussion im EZB-Rat über die Stückelungen des Bargelds, und Sie haben recht, es wurde entschieden, keine zusätzlichen 500-Euro-Scheine mehr auszugeben. Der EZB-Rat hat sich aber gleichzeitig zum Bargeld bekannt. Wir haben klargestellt, dass die umlaufenden 500-Euro-Scheine wie die anderen Stückelungen der Euro-Banknoten auf Dauer ihre Gültigkeit behalten. Was die Diskussion über Obergrenzen bei Bargeldtransaktionen angeht, gewichten wir die Freiheit der Bürger hoch, selbst zu entscheiden, wie sie bezahlen wollen, bar oder bargeldlos. Letztlich ist das aber eine Entscheidung der Politik, die damit Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung eindämmen will.

STANDARD: Sehen Sie auf G20-Ebene ausreichend Bereitschaft, protektionistische Tendenzen der USA zu verhindern?

Weidmann: Beim Treffen der G20-Finanzminister und Notenbankchefs in Baden-Baden konnte die vorangegangene klare Positionierung gegen jede Form von Protektionismus nicht mehr im Konsens verabschiedet werden. Letztlich konnten wir uns nur auf eine schwächere Formulierung einigen, wobei alle Länder die Vorteile des internationalen Handels unterstrichen haben. Unser Wohlstand basiert auf freiem Handel und offenen Märkten. Ich setze daher weiter darauf, dass niemand Interesse an einer Art Handelskrieg hat. Das würde der Weltwirtschaft gravierenden Schaden zufügen.

STANDARD: Sie haben einen Ausblick auf Frankfurts Skyline, die Hochhäuser der EZB und der Banken. Hilft der Blickkontakt bei der Überwachung?

Weidmann: Bei den Banken schauen wir in die Bücher und nicht auf die Fassade. Jedenfalls ist der Blick auf eine schöne Skyline durchaus erfreulich.

(Andreas Schnauder, 20.5.2017)