Wien – Die Ärztekammer hält den Gesetzesentwurf für die medizinische Primärversorgung für "absolut entbehrlich". Während die Standesvertretung zunächst von wesentlichen Verbesserungen gesprochen hatte, als der Entwurf vor vier Wochen in Begutachtung ging, findet sie es nun in ihrer Stellungnahme "zielführender" den Entwurf "nicht umzusetzen".

"Eine legistische Umsetzung dieses Entwurfs würde in der Praxis für alle Beteiligten unlösbare Probleme aufwerfen und die Schaffung einer Primärversorgung im vertragspartnerschaftlichen Konsens ganz wesentlich erschweren", schreibt die Ärztekammer im Zuge der am Sonntag zu Ende gegangenen Begutachtung. Der Entwurf sei vom Ziel bestimmt, "eine schiefe Ebene zwischen Sozialversicherung und Ärztekammern herzustellen". So würden die Ärztekammer nicht nur von der Planung der Primärversorgungseinrichtungen bewusst ausgeschlossen, auch die Bewertung der Bewerbungen und die Auswahl konkreter Bewerber solle in erster Linie von den Gebietskrankenkassen durchgeführt werden.

Finanzierung der Primärversorgung

Außerdem vermisst die Ärztekammer eine klare Regelung über die Finanzierung der geplanten Primärversorgung. Da die genannten 200 Millionen Euro aus vorhandenen Mitteln kommen sollen, befürchtet die Standesvertretung "Einschnitte in der künftigen niedergelassenen Versorgung".

Die Nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe fühlen sich in dem Entwurf "grob vernachlässigt und erfahren sogar eine Schlechterstellung", schreiben gleichlautend der Dachverband der gehobenen medizinisch-technischen Dienste (MTD), der Gesundheits- und Krankenpflegeverband und der Bundesverband für Psychotherapie. Sie beklagen, dass der Primärversorgungsgesamtvertrag nur die ärztliche Hilfe, nicht aber ihre Leistungen umfasst. Die nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe würden damit unter eine Art "Verhandlungskuratel" der Ärztekammer gestellt. Der Berufsverband der Psychologen beklagt, dass die nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe in dem Entwurf gar nicht vorkommen.

ÖGB sieht Text positiv

Für die Kinder und Jugendanwaltschaften lässt die alleinige Übertragung der Aufgaben der Primärversorgung auf Teams um Allgemeinmediziner "mit großer Sicherheit eine Verschlechterung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen erwarten". Auch die Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde hält den Entwurf für "nicht gut geeignet" sowohl für eine gute Versorgung von Kindern und Jugendlichen als auch für die Zukunft der Kinder- und Jugendfachärzte.

"Absolut unterstützt" werden die Ziele des Entwurfs hingegen vom ÖGB. Details kritisiert aber auch der Gewerkschaftsbund, etwa sollten keinesfalls gesetzliche Obergrenzen für die Primärversorgungseinheiten festgelegt werden. Vorgesehen sind 75 Einheiten bis 2021. Kontraproduktiv könnte nach Ansicht des ÖGB auch sein, dass Primärversorgungseinheiten in Form selbstständiger Ambulatorien nur gemeinnützige Anbieter sein dürfen. Die niederösterreichische Landesregierung fordert für Primärversorgungseinheiten eine verpflichtende Teilnahme an der Elektronischen Gesundheitsakte ELGA.

Behindertenrat begrüßt Entwurf

Begrüßt wird der Entwurf auch vom Österreichischen Behindertenrat. Allerdings fordert er, dass weiterhin eine gesamtvertragliche Verpflichtung zu barrierefreien Primärversorgungszentren bzw. Arztpraxen bestehen sollte. Der ÖZIV Bundesverband, die nach eigenen Angaben größte österreichische Interessenvertretung für Menschen mit Behinderungen, mahnt zudem Barrierefreiheit auch bei telemedizinischen, telefon- und internetbasierten Diensten ein.

Eine Primärversorgungseinheit hat laut dem Gesetzesentwurf jedenfalls aus einem Kernteam aus Allgemeinmedizinern und Pflegekräften zu bestehen, auch Kinderfachärzte können Teil davon sein. Orts- und bedarfsabhängig können Angehörige von Sozial- und Gesundheitsberufen (z.B. Therapeuten, Ernährungsberater etc.) eingebunden werden. Eine Primärversorgungseinheit kann entweder an einem Standort als Zentrum oder als Netzwerk organisiert sein. (APA, 21.5.2017)