Acht Performerinnen tragen die Choreografie mit gemessenen Bewegungen.

Foto: MAU, Hinerauwhiri-Huia Ohomairangi Winitana-Paki

St. Pölten – Jedes Stück des samoanisch-neuseeländischen Choreografen Lemi Ponifasio ist für das westliche Publikum die perfekte Ablenkung von den Sorgen des Alltags und zugleich eine radikale Hinlenkung zu den Sorgen der Welt. Wie das aussieht, war am Samstag bei der Uraufführung von Standing in Time im Festspielhaus St. Pölten zu erfahren, wo vor drei Jahren auch The Crimson House des renommierten Künstlers aufgeführt wurde.

Standing in Time ist eine überragende Arbeit und das Gegenteil des popspekulativen Missbrauchs indischer Mythologie in Ishvara von dem Chinesen Tianzhuo Chen kürzlich bei den Wiener Festwochen. Ponifasio appelliert an die Empathie des Publikums, Chen an dessen Zynismus. Beide Arbeiten lösten kontroverse Reaktionen aus. Bei Ponifasio irritiert vor allem eine für Westgemüter gewöhnungsbedürftige Langsamkeit.

Dunkles Rauschen

Seine Absage an jegliche schrille Kommerzästhetik ist allerdings der glaubwürdigere Protest gegen die Weltverwüstung durch die wirtschaftliche Globalisierung. Für Standing in Time hat Lemi Ponifasio mit der Company MAU Wahine – Wahine ist der Maoribegriff für Frau – zusammengearbeitet. Die akustische Struktur bildet sich aus einem dunklen Hintergrundrauschen und oft chorischen, seltener solistischen Gesängen der acht schwarzgekleideten Performerinnen. Deren Bewegungen innerhalb einer streng nüchternen Choreografie bleiben durchgehend gemessen.

Den überwiegend auf Maori gesungenen Worten muss gelauscht werden, ohne sie zu verstehen. Da wäre eine Übertitelung sicher sinnvoll gewesen. Nur selten bricht das Prinzip der Langsamkeit auf, etwa wenn die Frauen in exakter Synchronität weiße maorische Poi-Kampfkunstbälle tanzen lassen. Oder wenn eine Darstellerin, die einzige in einem hellgrauen Kleid, einen Stock wirbelt und dabei mit geweiteten Augen eine zornige Philippika auf die Zuschauer loslässt.

Ursprung der Welt

Eine Grenze aus Steinbrocken wird gebaut, eine Tänzerin lässt ihr Kleid an sich heruntergleiten und steht mit bloßem Körper lange still auf einer schwarzen Kiste. Am Ende des Stücks verwandelt sie sich zu einem mit Courbets Gemälde L'Origine du monde verwandten Tableau vivant, das von den anderen Tänzerinnen mit schwarzem Tuch verhüllt wird.

Keine Sekunde lang ist die dunkle Feierlichkeit dieser Arbeit pathetisch, durchgehend aber bleibt sie zutiefst berührend. Leider war Standing in Time in St. Pölten nur ein einziges Mal zu sehen. (Helmut Ploebst, 21.5.2017)