Wiens luxuriöses Goldenes Quartier – ein totes Eck? "Da haben Sie vollkommen recht. Aber man darf hier nicht in Fünfjahreszyklen rechnen", sagt Handelspräsident Stephan Mayer-Heinisch.

APA, Neubauer

Stephan Mayer-Heinisch: "Wir können nicht hinter jedem Bahnhof eine neue Raumordnung haben."

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STANDARD: Sie reisen viel. Welche Metropolen lassen Händlerherzen regelmäßig höherschlagen?

Mayer-Heinisch: London hat gut gezeigt, etwa mit der King's Road, wie sich im Handel leere Straßen neu beleben lassen. New York hat mit Soho ganz moderne Impulse gesetzt. Wer Einzelhändler sehen will, die mit erweiterter und virtueller Realität arbeiten, muss dorthin fahren. Auch Mailand hat Tradition darin, Handel als Impulsgeber für eine Stadt zu entwickeln.

STANDARD: Wo lief es völlig schief?

Mayer-Heinisch: Manchester in den 50er-Jahren und Birmingham: Sie haben rund um die Stadt eine vierspurige Autobahn gebaut, dann eine Zugtrasse quer durch und haben damit ihre Städte zerstört. Beide haben nun versucht, mit neuer Infrastruktur Leben zurückzuholen. Es ist gelungen. Aber so etwas bedarf eines großen Überblicks. Was wollen die Kunden? Sie wollen gemütlich ohne Barrieren flanieren. Sie wollen eine interessante Welt, wo sie was essen können, einkaufen und Leute treffen. Der Kunde ist eigentlich relativ einfach gestrickt.

STANDARD: Liegt Wien als Einkaufsstadt international auf dem Radar?

Mayer-Heinisch: Auf jeden Fall. Allein schon aufgrund seines großen Kontakts hin zum Osten. Wien hat halt nur zwei und nicht 16 Millionen Einwohner wie London. Und man kann in Wien über das neue Goldene Quartier ja denken, was man will: Aber es hat eine Erweiterung der Innenstadt gebracht. Es ist eine städtebauliche Leistung.

STANDARD: Dieses Luxusviertel gilt doch nach wie vor als unbelebtes, nahezu totes Eck.

Mayer-Heinisch: Da haben Sie vollkommen recht. Aber man darf hier nicht in Fünfjahreszyklen rechnen. Es wird sich alles einspielen. Auch das Mietniveau wird sich an den Markt anpassen. Im zweiten Lebenszyklus wird es im Quartier ein weniger hochpreisiges, dafür durchmischteres Angebot geben. Dann werden es die Leute lieben.

STANDARD: Gibt es im Einzelhandel hierzulande noch so etwas wie eine österreichische Seele?

Mayer-Heinisch: Sie ist schwer zu finden, aber es gibt sie noch. Denken Sie an Jungmann & Neffe, Altmann & Kühne, Knize, an Palmers und Leder & Schuh. Internationale Ketten operieren natürlich oft professioneller und erfolgreicher.

STANDARD: Bis auf wenige Ausnahmen werden fast alle großen Handelsketten von Deutschland aus gesteuert. Was sagt dieser Ausverkauf über den Zustand der Branche aus?

Mayer-Heinisch: Es ist leichter, von einem großen Markt in einen kleinen zu expandieren. Deutschland nimmt Österreich dann eben als 17. Bundesland hinzu. Umgekehrt ist die Expansion sportlicher und anstrengender. Ich beobachte aber, dass viele Ketten ihre Zentralen von Österreich aus über ganz Osteuropa ausgebreitet haben – und dass viele osteuropäische Retailer, wie etwa der Schuhhändler CCC, auch erfolgreich in Westeuropa agieren. Die Einbahnstraße hat sich aufgelöst.

STANDARD: Apropos Einbahnstraße: Auf dem Land drängeln sich Händler mehr denn je in schäbigen Fachmarktzentren. Sie beleben Kreisverkehre, die Ortskerne aber veröden. Lässt sich das Ruder hier noch herumreißen?

Mayer-Heinisch: Das ist die große Gretchenfrage. Die Politik und Raumordnung haben Dinge zugelassen, die wir heute zurecht kritisieren. Aber der Handel ist nicht schuld an diesen zerfahrenen, hässlichen Vorstadterscheinungen. Er hat die bestehenden Strukturen nur ausgenutzt. Eine intelligentere Raumordnung wie jene in Deutschland hätte das vermeiden können. Ich glaube, es lässt sich nicht der ganze Schaden reparieren. Die Hälfte der Städte und Orte aber ließe sich retten. Klug zusammenzuarbeiten wäre die große Chance für Politik und Wirtschaft. Beide müssen scharf nachdenken. Sie dürfen künftig vieles nicht nur auf zufälliger, lokaler Ebene geschehen lassen.

STANDARD: Müsste man dafür nicht Bürgermeistern die Hoheit über Standortentscheidungen entziehen?

Mayer-Heinisch: Sie haben viel Einfluss. Das Beispiel der zweitgrößten steirischen Stadt Leoben etwa zeigt, wie sich eine tote Innenstadt mittels eines Public-private-Partnership-Modells zum Leben erwecken lässt. Ein altes Gefängnis wurde in ein Shoppinggelände umgewandelt, was der ganzen Stadt wohltat. Aber so etwas darf nicht Zufällen überlassen werden.

STANDARD: Sondern?

Mayer-Heinisch: Ureigenste Aufgabe der Politik und der Wirtschaftskammer ist es, dies systematisch zu tun. Über die Region hinaus gehören Städte ausgewählt, alle gescheiten Köpfe an einen Tisch geholt und große Feldversuche gestartet. Natürlich tickt jede Stadt anders – Stadtentwicklung jedoch funktioniert stets nach denselben Prinzipien.

STANDARD: Salzburg plant gerade ein neues Raumordnungsgesetz. Ziel ist es, die Ortskerne zu stärken und den Wildwuchs auf der grünen Wiese zu verhindern. Was genau stört Sie daran?

Mayer-Heinisch: Die Überschrift stört mich nicht. Aber die Politik operiert hier mit Sozialromantik. Sie unterschätzt die Dynamik des Handels, friert den Status quo ein. Sie sollte Spielräume definieren, dem Handel im Rahmen dieser aber Bewegungsfreiheit geben. Keiner weiß, wo er in fünf Jahren steht. Keiner weiß, wo uns die digitale Welt hinführt. Veränderungen bei Funktion und Fläche gehören wie bei einer Ziehharmonika zugelassen. Salzburg ist ein Flickwerk. Ich halte das für einen Fehler, denn so was gehört gesamtösterreichisch angelegt. Wir können nicht hinter jedem Bahnhof neue Raumordnungen haben. (Verena Kainrath, 22.5.2017)