Dustin Hoffman mit Noah Baumbach, Regisseur von "The Meyerowitz Stories". Neben Hoffman bemerkenswert: Adam Sandler und Ben Stiller.

Foto: Netflix / Atsushi Nishijima

Jedes Festival pflegt hauseigene Mythen, nur Cannes macht daraus eine Kür. Für die Ausgabe zum 70-Jahr-Jubiläum hat man beispielsweise den legendären Festivaltrailer – eine rote Treppe, die zu den Sternen führt – mit den Namen unvergessener (und ein paar weniger bekannter) Regisseure versehen. Passend dazu fanden sich am Wochenende auch eine Handvoll Filme über Künstlerpersönlichkeiten im Programm.

Michel Hazanavicius' Le Redoutable, der sich mit Jean-Luc Godard und seiner Frau Anne Wiazemsky beschäftigt, wurde am prominentesten ausgehängt. Es geht um die bewegten Monate rund um den Mai '68, mithin um jene Phase, als der Miterfinder der Nouvelle Vague zum Revolutionär wurde. Hazanavicius glaubte offenbar, es sei mutig, Godard (dargestellt von Louis Garrel) als Zauderer zu zeigen, dessen maoistische Kampfrhetorik ständig an Selbstzweifeln erlahmt. Aber ei-gentlich ist nichts leichter als das. Ist es immerhin komisch? Eine wichtige Regel der Komik lautet, Gags nicht zu Tode zu reiten – Hazanavicius befolgt sie nicht.

Bandes Annonces Cinéma

Umso besser versteht sich US-Regisseur Noah Baumbach in The Meyerowitz Stories (New and Selected) auf Szenen, deren Komik nach und nach auch die seelischen Verwüstungen seiner Figuren freilegt. Reflexion von Künstlertum betreibt diese zweite Netflix-Produktion in Cannes auch, allerdings mehr in familiären Gefilden: Dustin Hoffman verkörpert einen ins Verdrießliche gealterten Bildhauer, dessen fehlender Erfolg sein Ego über Jahrzehnte ins Uferlose wachsen ließ.

Bemerkenswert

Leiden mussten darunter vor allem seine drei Kinder, Danny (Adam Sandler), Matthew (Ben Stiller) und Jean (Elizabeth Marvel). Baumbach ist ein äußerst stimmiges, von schwelenden Konflikten bestimmtes Porträt einer jüdischen Familie gelungen, welches das fragile Beziehungsgeflecht in mehreren Episoden auch zum Generationenbild erweitert. Getragen wird es von pointierten Dialogen und den durchwegs bemerkenswerten Schauspielleistungen, aus denen der oft unter seinem Wert geschlagene Sandler hervorsticht. Sein humpelnder, von seinem Vater ein Leben lang übergangener Drückeberger, der sich nur noch durch hilflose Wutausbrüche Gehör verschaffen kann, wird wohl eine der erinnerungswürdigsten Figuren dieses Festivals sein.

Festival de Cannes (Officiel)

Seltsam ist einmal mehr, dass die besten Autorenfilme des französischen Kinos nicht im Wettbewerb zu finden sind, sondern in der Quinzaine des Réalisateurs. Philippe Garrel setzt mit dem Schwarz-Weiß-Film L'amant d'un jour seine Untersuchungen der Ökonomie von Liebe fort; diesmal geht er der Frage nach, wie sich selbst eine offene Partnerschaft in Eifersucht verlieren kann und die Gleichaltrigkeit von Tochter (Esther Garrel) und Geliebter (Louise Chevillotte) desselben Mannes (Éric Caravaca) kein Gleichgewicht schafft.

Paname Distribution

Wofür andere Regisseure lange Expositionen brauchen, genügt Garrel oft nur eine skizzenhafte Sequenz. Jede Figur muss in diesem kammerspielartigen Reigen die Enttäuschung der Liebe einmal körperlich erfahren, und dennoch – und das ist das Schöne daran – wird hier kein Beziehungsmodell über das andere gestellt.

Endlich nicht mehr reden

Interessant ist da der Vergleich mit Claire Denis' Un beau soleil intérieur, in dem Juliette Binoche als Malerin Isabelle zwischen vielen Männern nach einem richtigen sucht. Der Film hat eine eher thesenhafte Ausrichtung (Drehbuch: Christine Angot), die Szenen sind auf Konversationen, das Nicht-Sprechen-Können über Liebe und Begehren ausgerichtet. Endlich einmal nicht mehr zu reden, sondern zur Sache kommen – das schafft dann auch in einer der vielen komischen Szenen des Films kurze Erleichterung für Isabelle.

The Upcoming

Denis, diese sonst so bildstarke Regisseurin, nimmt sich hier insgesamt zurück. Das Austragen von Widersprüchen, die zwischen unverlässlichen Worten und konkreten Bedürfnissen lauern, birgt dafür fast Screwball-Comedy-ähnliche Momente. (Dominik Kamalzadeh aus Cannes, 21.5.2017)