Zwischen die beiden Ortsteile Ebreichsdorf und Unterwaltersdorf wird ein neuer Bahnhof hineingesetzt.

Foto: TU Wien / Sibylla Zech

Was rundherum passiert, ist noch offen.

Visualisierung: Geoconsult Wien ZT GmbH / ÖBB

Wien wächst. Weil es in der Stadt eng wird, rücken Umlandgemeinden in den Fokus Wohnungssuchender. Ebreichsdorf zum Beispiel, eine Stadtgemeinde mit 10.000 Einwohnern südlich von Wien. Heute tuckern über die Äcker zwischen den Ortsteilen Ebreichsdorf und Unterwaltersdorf noch die Traktoren. Das könnte sich ändern: Hier soll bis 2023 die Pottendorfer Linie zweigleisig ausgebaut werden und ein neuer Bahnhof entstehen. Die Fahrt nach Wien wird dann noch 25 Minuten dauern.

Das wird mehr Menschen aus Wien herlocken. Damit, wie die Stadt diese Herausforderung meistern und welche Rolle der neue Bahnhof dabei spielen soll, hat sich nun ein Jahr lang ein Forscherteam (siehe Infokasten rechts) beschäftigt. Das hehre Ziel: Aus Ebreichsdorf soll eine Smart City werden – ein Ausdruck, der bei manchen für Verwirrung sorgte: "Ich hab dann immer gesagt: 'Smart heißt net deppad'", sagt Projektleiter Thomas Dillinger vom Department für Raumplanung der TU Wien.

"Wir wollen die Stadt smart weiterentwickeln", führt SPÖ-Bürgermeister Wolfgang Kocevar aus. Es gehe darum, frühzeitig mit Experten und Bürgern zu planen. "Am Ende soll eine Stadt herauskommen, in der der Charakter unserer ländlichen Ortsteile erhalten bleibt."

Hohes Entwicklungspotenzial

Vom Forscherteam wurden Workshops und Interviews durchgeführt. Man war auch auf Feuerwehrfesten unterwegs, um möglichst viele Ebreichsdorfer zu erreichen. Zudem gab es Exkursionen, um Best-Practice-Beispiele kennenzulernen.

Der Bahnhof Tullnerfeld dürfte nicht dazugehören: Der Bahnhof wurde 2012 an der Westbahnstrecke eröffnet. Auch heute wundert sich mancher Reisende noch über den Bahnhof auf der grünen Wiese. Bei der Gemeinde Michelhausen, auf deren Gemeindegebiet der Bahnhof Tullnerfeld teilweise liegt, sieht man das anders: Michael Schreiber, Geschäftsführer von KommReal, das im Eigentum der Gemeinde steht, erzählt, dass die Flächenwidmung abgeschlossen sei und es klassische Einfamilienhaus-Parzellen gebe, aber auch Doppel-, Reihenhäuser und Eigentumswohnungen. Drei weitere Wohnbauten seien geplant. Der Bahnhof habe der Gemeinde definitiv einen Aufschwung gebracht, ist er überzeugt.

"Es ist schon erstaunlich, dass sich rund um den Bahnhof Tullnerfeld nach so langer Zeit noch immer nichts tut", sagt hingegen Robert Korab, Planer und Geschäftsführer von raum & kommunikation. Das Entwicklungspotenzial im Tullnerfeld erachtet er als "hoch und bei weitem noch nicht ausgeschöpft". Nachsatz: "Aber es ist gescheiter, dort passiert nichts, als dass um den Bahnhof ein Einfamilienhausteppich entsteht."

Unterschiedliche Szenarien

Korab fände es gut, wenn sich die Gemeinden um den Bahnhof zu einem Regionalverband zusammenschließen, um einen gemeinsamen Plan zu entwickeln. "Aber ich glaube, viele Gemeinden haben Angst", sagt er: "Früher lagen diese Orte hinterm Berg, nun fährt der Railjet durch und sie sind plötzlich vor der Haustüre Wiens." Das löse Ängste vor Zuwanderung und der Zerstörung des Ländlichen aus. Auch in Ebreichsdorf: "Es gibt Bewohner, die bewusst in den ländlichen Bereich gezogen sind und jetzt sagen: Dann hätten wir gleich nach Wiener Neustadt ziehen können", sagt Kocevar.

"Bürgermeister handeln natürlich in ihrem eigenen politischen Interesse. Sie schauen, dass es keine neue, womöglich unkontrollierbare Dynamik bei der Bevölkerungsentwicklung gibt", analysiert Korab: "Ein ÖVP-Bürgermeister sagt vielleicht: Die Einfamilienhaus-Klientel ist eher meine Wählerschaft als jene, die aus der Stadt kommen und hier eine Wohnung in Grünlage suchen."

Für Ebreichsdorf wurden von den Forschern unterschiedliche Zukunftsszenarien entworfen. Raumplaner Dillinger fände es smart, die Siedlungsstruktur an die neue Infrastruktur anzupassen: "Was links und rechts von Bahngleisen passiert, wird bei der Planung leider oft nicht mitbedacht", kritisiert er. Mit dem Bahnhof auf der grünen Wiese hätte er keine Freude – auch das ist eine Variante, die in Ebreichsdorf möglich ist. Dillinger wünscht sich, dass das Ackerland zwischen den Ortsteilen mitbedacht und in den nächsten Jahrzehnten entwickelt wird – nicht nur mit Einfamilienhäusern, sondern auch mit Wohnungen für junge Menschen oder Senioren.

Grundsatzentscheid im Gemeinderat

Er fände es auch sinnvoll, den Bahnhof nicht nur mit Ticketautomaten auszustatten, sondern auch mit Nahversorgern. Wichtig seien auch die Anbindung des Bahnhofs an den öffentlichen Verkehr und ein nachhaltiges Bauen.

Seit kurzem ist Dillingers Forschungsprojekt abgeschlossen – die Diskussionen über die Zukunft gehen aber weiter. "Wollen wir den Ortskern verdichten und dafür rund um den Bahnhof die grüne Wiese belassen? Oder wollen wir die Bahngleise als Dreh- und Angelpunkt sehen und entlang dieser Gleise einen neuen Stadtteil entwickeln?", fasst Bürgermeister Kocevar die offenen Fragen zusammen. Es werde einen Grundsatzentscheid im Gemeinderat geben. "Dann wird es mit der Planung intensiver losgehen", kündigt er an – wieder mit Unterstützung des Forscherteams.

Noch stehen die Äcker, über deren Nutzung diskutiert wird, aber im Eigentum von Landwirten. "Daher müssen die Grundeigentümer eingebunden werden. Man kann sich viel wünschen, aber wenn das Bauland nicht zur Verfügung steht, funktioniert es nicht", sagt Kocevar.

Schutz vor Spekulanten

Es ist eine große Aufgabe, die nicht nur auf Ebreichsdorf, sondern auf viele weitere Umlandgemeinden zukommt. Geht es nach Dillinger, dann soll das nun erprobte interdisziplinäre Rüstzeug daher auch anderswo künftig zum Einsatz kommen: "Die Knappheit an leistbarem Wohnraum in Wien lässt sich nur lösen, wenn wir auch die Umlandgemeinden miteinbeziehen." Durch die frühzeitige Planung will Kocevar auch verhindern, dass sich Spekulanten in der Gemeinde nun Flächen sichern, die sich die Bevölkerung dann nicht mehr leisten kann.

Eines ist jetzt schon klar: Mit dem Bau der neuen Pottendorfer Linie wird die bestehende Trasse aufgelassen. "Die wollen wir uns sichern", sagt Kocevar. Sein Traum: den "längsten Park Europas" darauf errichten – als Ausgleich für jene naturbelassenen Ebreichsdorfer Flächen, die den Bewohnern bis dahin vielleicht verlorengehen. (Franziska Zoidl, 25.5.2017)