Das Urteil, mit dem das Bundesverwaltungsgericht den Bau der dritten Piste untersagt hat, sorgte auch international für Schlagzeilen. Nun wollen ÖVP und SPÖ die Verfassung ändern.

Foto: Matthias Cremer

Wien – Selten hat eine so kleine Gesetzesänderung die Wogen in Österreich derart hochgehen lassen. Als eine Folge des Streits um den Bau der dritten Piste am Flughafen Wien-Schwechat wollen SPÖ und ÖVP, wie berichtet, die Verfassung ändern. Die Bedeutung des Wirtschaftsstandorts soll hervorgehoben werden. Zwei Neuerungen sind geplant. Ein 2013 in Kraft getretenes Verfassungsgesetz "über Nachhaltigkeit, Tierschutz, Umweltschutz, Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und Forschung" soll in "Bundesverfassungsgesetz über Staatsziele" umbenannt werden.

Zudem wird ein neues Staatsziel in das Gesetz aufgenommen, wonach sich die Republik "zu Wachstum, Beschäftigung und einem wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort bekennt".

"Verfehlte Legistik"

Während Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände den Plan begrüßen, warnen NGOs und Grüne vor einer Aufweichung des Klima- und Umweltschutzes in Österreich. Vom STANDARD befragte Juristen sprechen sich nun aber ebenso gegen die Gesetzesänderung aus. Stoßrichtung der Kritik: Die Politik nehme wichtige Weichenstellungen bezüglich dessen, was ihr wichtiger ist, Umweltschutz oder der Wirtschaftsstandort, nicht selbst vor, sondern überantworte das Thema den Gerichten.

Der ehemalige Präsident des Verwaltungsgerichtshofs, Clemens Jabloner, spricht von einer "völlig verfehlten" Legistik. SPÖ und ÖVP verfolgen offenbar den Plan, den Umweltschutz als bisheriges Staatsziel unwirksam zu machen. Aber das geschehe mit der geplanten Reform nicht. Die im Gesetz bisher sehr allgemein verankerten Staatsziele zugunsten der Umwelt werden belassen. Mit dem Wirtschaftsstandort wird ein ebenso allgemeines Ziel in die Verfassung aufgenommen, das den übrigen Vorgaben widerspricht. "Der Ermessensspielraum der Gerichte wird dadurch nicht eingeschränkt, sondern im Gegenteil erweitert", sagt Jabloner.

"Ein Lotteriespiel"

So ähnlich argumentiert der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger: "Die Politik drückt sich um eine Entscheidung in den Sachfragen." Die Staatszielbestimmungen Umweltschutz und Wirtschaftswachstum werden sich gegenseitig abschwächen. Die Gerichte haben weniger Anhaltspunkte, wie sie bei Projektgenehmigungen entscheiden sollten. "Das wird ein Lotteriespiel", sagt Öhlinger.

Beide Juristen sind der Ansicht, dass die Politik die Sache klar regeln soll. Wenn SPÖ und ÖVP der Ansicht sind, dass eine dritte Piste gebaut werden muss, sollen sie das in einem eigenen Gesetz festschreiben, sagt Jabloner. Die Alternative wäre im Luftfahrtgesetz eine Priorität festzulegen, aus der sich ergibt, dass das Projekt notwendig ist.

Öhlinger geht einen Schritt weiter: Er plädiert für die politische Ausarbeitung klarer Kriterien, wann Großprojekte, die Klimazielen widersprechen, zu genehmigen sind. Grundsatzfragen zu klären sei keine sinnvolle Aufgabe für Gerichte. Doch das sei viel Arbeit, die sich die Regierung offenbar nicht antun wolle.

Vorhandenes neu erfinden

Der Salzburger Verwaltungsrechtler Harald Stolzlechner hat prinzipiell keine Einwände dagegen, Wachstum in die Verfassung aufzunehmen. Den Sinn der Novelle versteht er aber nicht. In vielen Gesetzen, ob das nun die Forstwirtschaft (Rodungen), den Straßenbau oder den Denkmalschutz betrifft, sind Interessensabwägungen vorgesehen.

Dabei spielen wirtschaftliche Erwägungen ohnehin eine Rolle, sagt Stolzlechner. Das müsse also nicht extra festgeschrieben werden. Und zusätzliche Klarheit darüber, wie die Interessen zu bewerten sind, schaffe die geplante Verfassungsänderung nicht.

Ausgangspunkt der Debatte ist ein Entscheid des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG). Das Gericht hat dem Flughafen Wien den Bau der dritten Piste untersagt. Das Luftfahrtgesetz schreibt eine Abwägung der öffentlichen Interessen vor. Das tat das BVwG. Im Urteil wurde ausgeführt, dass Österreich sich mit dem Klimaschutzgesetz verpflichtet hat, die Treibhausgasemissionen zwischen 2015 und 2020 um 2,25 Prozent zu senken. Beim Bau der Piste würde es zu einer Zunahme dieser um 1,79 Prozent kommen.

Standort spielte eine Rolle

Das BVwG erkannte an, dass die Wirtschaft vom Bau der Piste profitieren würde und auch zusätzliche Jobs geschaffen werden. Doch dem Klimaschutz sei Vorrang einzuräumen. Nicht zuletzt, weil Klimaveränderungen neben "gesundheitlichen Schäden" auch "schwere Beeinträchtigungen" für die Wirtschaft bedeuten dürften, wie es in dem Urteil heißt. Hitze- und Trockenperioden würden die Landwirtschaft treffen.

Das BVwG hielt im Urteil fest, dass es keine klaren gesetzlichen Vorgaben im Luftfahrtgesetz gibt, wie die verschiedenen Interessen zu bewerten sind. Aber diese Vorgaben gibt es auch nach der Novelle nicht, sagt Jurist Stolzlechner.

Die Regierungsparteien verteidigen das Vorhaben. Peter Wittmann (SPÖ), der den Antrag zur Verfassungsänderung mit ÖVP-Kollegen eingebracht hat, sagt zwar, dass künftig Gerichtsverfahren komplizierter werden. "Natürlich wird es schwieriger zu entscheiden", so Wittmann. Aber man wollte die Bedeutung des Wirtschaftsstandorts stärken, das tue man. Die ÖVP wollte auf Anfrage nichts zur Causa sagen.

Entscheidung offen

Ob die geplante Verfassungsänderung kommt, hängt davon ab, ob SPÖ und ÖVP Unterstützung bei der Opposition finden. Die FPÖ bekundete Sympathien. Laut SPÖ-Abgeordnetem Wittmann gebe es bisher aber keine fixe Zusage.

Beim Streit um die dritte Piste soll die Novelle keine Rolle mehr spielen. Der Entscheid des BVwG wurde vom Flughafen angefochten, der Verfassungsgerichtshof ist am Zug. Laut Juristen muss er auf Basis der Rechtslage zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung abstellen. (András Szigetvari, 24.5.2017)