Ab sofort soll die britische Armee die Polizei unterstützen.

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Manchester – Die britische Polizei ist sich sicher, dass der Attentäter von Manchester nicht allein gehandelt hat und fahndet nach Komplizen des Selbstmord-Bombers. Es sei klar, dass nach einem Netzwerk gesucht werde, sagte der städtische Polizeichef, Ian Hopkins, am Mittwoch. "Es laufen großangelegte Untersuchungen im gesamten Großraum um die Stadt", fügte er hinzu.

Eine mit den Ermittlungen vertraute Person sagte, der Bau der bei dem Anschlag am Montagabend verwendeten Bombe erfordere ein gewisses Fachwissen. "Die Sorge ist, dass es da draußen weitere Leute gibt, die ihm beim Bombenbau geholfen haben." Erstmals seit zehn Jahren wurde die höchste Terror-Warnstufe in Großbritannien ausgerufen. Zum Schutz von Großveranstaltungen und öffentlichen Plätzen werden nun auch Soldaten eingesetzt.

Auch die britische Innenministerin Amber Rudd bezeichnete es als wahrscheinlich, dass der 22-jährige Täter Salman Abedi nicht allein gehandelt habe. Der französische Innenminister Gerard Collomb sprach von "belegbaren" Verbindungen Abedis zum IS, der den Anschlag für sich reklamiert hat. Insgesamt wurden sechs Verdächtige von der britischen Polizei verhaftet, darunter eine Frau. 20 Schwerverletzte des Attentats, bei dem 22 Menschen getötet worden waren, schwebten am Mittwoch noch in Lebensgefahr.

Bruder und Vater festgenommen

Am Mittwoch wurde auch der jüngere Bruder des Manchester-Attentäters in der libyschen Hauptstadt Tripolis von einer Anti-Terror-Einheit festgenommen. Er werde verdächtigt, Verbindungen zur Islamisten-Miliz IS zu haben, teilte ein Sprecher der Sicherheitsbehörden mit.

Nach Darstellung der dortigen Sicherheitsbehörden habe er einen Anschlag in der libyschen Hauptstadt geplant. Er sei am 16. Mai von Großbritannien nach Libyen gereist, sagte ein Sprecher der Behörden. Der Vater des Attentäters sei ebenfalls in Tripolis festgenommen worden. Zudem wurde eine weitere Person festgenommen. Damit befänden sich sechs Männer und eine Frau in Gewahrsam und würden verhört, teilte die Polizei am Mittwoch mit. Der jüngsten Verhaftung seien Durchsuchungen in Nuneaton in Zentralengland vorausgegangen.

Einem Bericht der Zeitung "Independent" zufolge wurden bei Durchsuchungen Sprengsätze gefunden, die möglicherweise für künftige Attentate genutzt werden sollten. Unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtete die Zeitung im Voraus aus der Donnerstagsausgabe, eine Bombe sei kontrolliert gesprengt worden. Die Sicherheitskräfte seien besorgt, dass ein Netzwerk für künftige Attentate weitere Sprengsätze produziert haben könnte.

Terrorexperte Peter Neumann zum Anschlag in Manchester.
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Abedi hatte sich den britischen Ermittlungsbehörden zufolge in die Luft gesprengt, als die Zuschauermassen aus einem Popkonzert strömten. Unter den Toten sind viele Jugendliche und Kinder, darunter ein achtjähriges Mädchen. Ein polnisches Paar, das seine Töchter abholen wollte, kam dem polnischen Außenminister zufolge ebenfalls ums Leben. Der Chef der Gesundheitsbehörde des Großraums Manchester, Jon Rouse, sagte, insgesamt würden noch 64 Verletzte behandelt. Hinweise auf österreichische und deutsche Opfer gibt es derzeit nicht.

Rudd sagte der BBC, Abedi sei den Behörden bekannt gewesen. Premierministerin Theresa May hatte bereits am Dienstag von einer womöglich größeren Gruppe gesprochen. Am Dienstag war bereits ein 23-Jähriger verhaftet worden, bei dem es sich Medienberichten zufolge um den Bruder Abedis handelt.

Abedi wurde den Behörden zufolge als Sohn libyscher Eltern in Großbritannien geboren. Rudd sagte, es scheine gesichert zu sein, dass er erst kürzlich aus Libyen zurückgekehrt sei. US-Angaben zufolge soll er vor dem Anschlag mit dem Zug von London nach Manchester gereist sein. Der französische Innenminister Collomb sagte, ihm hätten britische Ermittler berichtet, dass Abedi möglicherweise auch nach Syrien gereist sei. Ob er Teil eines Netzwerkes gewesen sei, werde noch geprüft.

Kriminalpsychologe Reinhard Kreissl: "Je perfider so ein Anschlag ist, umso höher der Effekt."
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Rudd sagte, sie habe die Verbündeten gebeten, keine Details mehr zu nennen, um die Polizeiarbeit nicht zu behindern. Sie zeigte sich "irritiert", dass Informationen über die Identität des Attentäters zuerst in den USA öffentlich gemacht worden waren.

Die nun ausgerufene höchste Terror-Warnstufe "kritisch" bedeutet, dass ein weiterer Anschlag unmittelbar bevorstehen könnte. Rudd zufolge werden 3.800 Soldaten eingesetzt, um Polizisten zu entlasten, damit diese Kontrollgänge machen und ermitteln könnten. In London wurden zunächst knapp 1.000 Soldaten auf die Straßen geschickt. Der Chef der Anti-Terror-Polizei, Mark Rowley, sagte, die Entscheidung, die Warnstufe zu erhöhen, sei eine Vorsichtsmaßnahme. Er hoffe, dieses Niveau werde wie in der Vergangenheit nicht für eine längere Zeit beibehalten. Das Parlament in London sagte nach Ausrufung der höchsten Terror-Warnstufe alle Führungen und Veranstaltungen mit sofortiger Wirkung ab.

Der Anschlag war der schwerste in Großbritannien seit 2005. Damals hatten sich vier Selbstmordattentäter in U-Bahn-Zügen und einem Bus in London in die Luft gesprengt und 52 Menschen mit in den Tod gerissen sowie 700 verletzt.

Im Zentrum Manchesters gedachten am Dienstagabend Tausende Menschen der Opfer. "Es sind schwere Zeiten auf den Straßen unserer Stadt, aber wir werden uns nicht unterkriegen lassen", sagte der örtliche Dichter Tony Walsh: "Und wir wollen euer Mitleid nicht, weil dies der Ort ist, an dem wir stark zusammenzustehen, mit einem Lächeln im Gesicht."

Auch die EU-Institutionen gedachten der Opfer. Die Europäische Kommission hielt vor ihrer wöchentlichen Sitzung am Mittwoch eine Schweigeminute ab. EU-Kommissar Günther Oettinger betonte: "Diese verabscheuungswürdigen Attacken werden unsere Anstrengungen gegen den Terrorismus zu kämpfen, nur verstärken". Das Europäische Parlament hielt um 15.00 Uhr, im Beisein der britischen Botschafter für die EU und Belgien, eine Schweigeminute ab.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen und der slowenische Präsident Borut Pahor verurteilten den Anschlag in einer gemeinsamen Erklärung als "grausame und hinterhältige Terror-Attacke". "Es war ein barbarischer Angriff auf unschuldige Opfer", hieß es in der Erklärung, die sie am Mittwoch in Ljubljana verlasen. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) erinnerte während eines Besuchs in Ägypten angesichts der "furchtbaren Ereignisse" von Manchester daran, "wie nahe uns das Problem des Terrorismus gerückt ist". (red, APA, Reuters, 24.5.2017)