Foto: Zoidl
Foto: Ulrich Kehrer
Foto: Madlmayr
Foto: Zoidl
Foto: Zoidl
Foto: Zoidl
Foto: Kurt Bayer
Foto: Kurt Bayer

Am Freitagnachmittag hat Gerti Walchshofer keine Zeit für ausführliche Gespräche: Die quirlige 71-Jährige läuft geschäftig über den Marktplatz und schaut, ob die Standler auf dem richtigen Platz stehen und mit Strom versorgt sind.

Auf dem Ottensheimer Freitagsmarkt ist sie die erste Anlaufstelle bei Problemen und daher weithin bekannt: Ständig wird Walchshofer gegrüßt oder winkt Bekannten zu. Und während die Bäckerin noch ihre Waren vor sich aufstapelt und der Speckverkäufer seinen Wagen einparkt, sind schon die ersten Marktbesucher eingetroffen. Es ist ein ganz normaler Freitagnachmittag – zumindest in Ottensheim.

Denn während in anderen österreichischen Gemeinden die Ortskerne aussterben, weht durch die nicht ganz 5.000 Einwohner zählende Gemeinde Ottensheim im Mühlviertel seit einigen Jahren ein frischer Wind: Mit jungen Unternehmern und kreativen Geschäftskonzepten ist Leben in manches alte Haus im Ortskern zurückgekehrt. Die gute Stimmung zeigt sich auch in der Bevölkerungsentwicklung: Zwischen 2006 und 2016 ist Ottensheim laut Statistik Austria um rund vier Prozent gewachsen.

Eine orange Waschmaschine sorgt in Ottensheim jeden Freitag für Aufsehen.
derStandard.at

Diese Entwicklung nahm, da sind sich die Ottensheimer einig, mit einer Initiative der resoluten Gerti Walchshofer vor genau 20 Jahren ihren Anfang. Damals war sie Wirtin im Gasthaus Grüner Baum am Marktplatz und hatte die Idee, an einem Stand davor Strudel und Knödel zum Mitnehmen zu verkaufen. Das kam gut an. Schnell gesellten sich eine Bäckerin und ein Gemüsebauer dazu. Heute kann man am Freitagnachmittag an 40 Ständen regionale Produkte wie frische Erdbeeren, Blumen und Forellen kaufen. Unterwegs sind nicht nur Ottensheimer, sondern Besucher aus dem ganzen Mühlviertel.

Belebung der Geschäftsstraße

Wer hier verkaufen will, der braucht den Segen von Walchshofer: Viele Anfragen von interessierten Standlern müsse sie aufgrund der strengen Marktstatuten ablehnen, erzählt sie, zum Beispiel den Verkauf von Grillhendln aufgrund des intensiven Geruchs: "Man muss schon aufpassen, sonst wird das hier ein Saustall." Dann muss Walchshofer auch schon wieder weiter. Eine Band baut ihre Instrumente auf, und gestern, so erzählt sie lachend im Weggehen, habe sie doch tatsächlich jemand angerufen und gefragt, ob man auf dem Freitagsmarkt eigentlich auch Geburtstag feiern kann. Das geht natürlich.

Weil der Marktplatz mittlerweile voll ist, stehen seit einigen Monaten auch Marktstände in der angrenzenden Linzer Straße. Die dortigen Geschäfte freut das. Die Berta zum Beispiel – einen Shop, in dem lokale Produkte größtenteils direkt von den Erzeugern verkauft werden. Das Geschäft hat nur freitags offen. Dann läuft hier Musik, und ein Blech duftender Buchteln steht auf dem Tisch. Die Idee zur Berta hatte Michael Madlmayr, der sich als Hendlflüsterer, Umdenker und Jungbauer bezeichnet: "Ich habe zu Hause einen Bauernhof und wollte die Eier direkt verkaufen", erzählt der Gramastettner.

Das Team der Berta: Michael Madlmayr, Anja Durstberger und Andreas Knollmayr setzen auf Regionalität.
Foto: Madlmayr

Heute stehen neben ihm die Milchbäuerin Anja Durstberger und Andreas Knollmayr im Geschäft. Demnächst wird mit einer Schneiderin noch eine weitere Mitstreiterin einziehen. "Die Idee war, dass wir uns die Mietkosten und das Risiko so aufteilen, dass am Ende überschaubare Kosten für alle herauskommen", erzählt Madlmayr. Jeder hat seine eigene Abrechnung – die Eier werden also an einer anderen Kassa bezahlt als die Milch oder das Brot.

200 Kunden pro Tag

Was das Team eint: "Uns geht es ganz stark um Regionalität", erzählt Madlmayr. "Die Idee war aber auch, dass wir als Produzenten wieder im Geschäft stehen wollen." Das komme an: "Man kann sich gar nicht vorstellen, wie viele Fragen man zu Eiern haben kann." Bis zu 200 Kunden würden an einem guten Freitag bei der Berta vorbeischauen, erzählt Madlmayr – daher soll das Geschäft demnächst auch an einem zusätzlichen Tag geöffnet haben.

So optimistisch wie heute hat man in Ottensheim nicht immer in die Zukunft geblickt: Auch hier sperrten vor 20 Jahren viele Geschäfte zu, als an der Peripherie entlang der Rohrbacher Bundesstraße ein Einkaufszentrum eröffnet wurde. "Als ich Bürgermeisterin war, wollten sich viele Handelsketten am Ortsrand ansiedeln. Ich hatte das Gefühl, die erschlagen mich", erzählt Uli Böker. Sie sitzt für die Grünen im oberösterreichischen Landtag, war bis 2015 zwölf Jahre lang für die Bürgerliste "Pro O" Bürgermeisterin von Ottensheim – und ist im Übrigen die Schwester von Gerti Walchshofer. Als dann auch die Apotheke – ein Fixpunkt in Marktplatznähe – beschloss, an die Peripherie zu ziehen, kam der Moment des Erwachens, erzählt Böker.

In der Linzer Straße wurde in den letzten Jahren der Leerstand reduziert.
Foto: Zoidl

Gemeinsam mit externen Experten wurde 2009 ein zweijähriger Prozess eingeleitet, in dem man sich intensiv mit dem Ortskern beschäftigte: Es gab eine Leerstandserhebung, aber auch Ausstellungen im öffentlichen Raum – etwa in leerstehenden Schaufenstern – und Stammtische, bei denen Hauseigentümer und Raumsuchende vernetzt wurden. Außerdem wurde eine Raumbörse eingerichtet. "Mit der Auseinandersetzung mit dem Ortskern rückte auch der Ortsrand in den Fokus", erzählt Böker: Mit Experten wurde ein Masterplan für die Flächen an der Peripherie entlang der Rohrbacher Bundesstraße erarbeitet und so "den um sich greifenden Einkaufszentren Einhalt geboten".

Für diese Gesamtentwicklungsarbeit wurde Ottensheim 2012 mit dem Baukulturgemeinde-Preis ausgezeichnet. Raumplaner heben den Ort heute gerne als positives Beispiel für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Ressource Boden hervor. "Gemeinden brauchen in diesem Prozess einen langen Atem", sagt Böker, die sich gegen viele Gegner im Ort durchgesetzt hat. "Ich wurde damals von vielen als größte Wirtschaftsvernichterin bezeichnet." Heute lacht sie darüber.

Kein Konkurrenzdenken

Was in Ottensheim schnell klar wird: Konkurrenzgedanken zwischen den Unternehmern gibt es nicht. Wer mit dem Team der Berta ins Gespräch kommt, dem wird mit ziemlicher Sicherheit mindestens ein weiterer Shop empfohlen, den man unbedingt gesehen haben muss. Das Mawasi, ein Geschäft für faire Biokleidung, zum Beispiel. Es liegt wenige Gehminuten entfernt ein bisschen versteckt hinter der Kirche. "Wir schicken uns gegenseitig die Leute", sagt Geschäftsführerin Anna Luger-Stoica dort. Auch sie hat sich für ein ungewöhnliches Geschäftskonzept entschieden: Die 60 Quadratmeter Geschäftsfläche teilt sie sich mit Veronika Endres, die hier das Spielwarengeschäft Spielereien betreibt.

Anna Luger-Stoica (im Bild) und Veronika Endres betreiben auf einer gemeinsamen Fläche zwei Geschäfte.
Foto: Zoidl

"Wir sind beide Mütter und können nicht ständig im Geschäft stehen", erzählt Luger-Stoica. Daher teile man sich die Mietkosten und helfe der anderen, wenn diese nicht im Geschäft sein kann. Draußen hängen zwei Firmenschilder, drinnen stehen zwei Registrierkassen. Der Vorteil des Konzepts wird schnell ersichtlich: Die meisten Kunden, die heute vorbeischauen, werfen gleich einen Blick in beide Geschäfte.

"Dieses Zusammenarbeiten und die Vernetzung, das haben die jungen Leute hereingebracht", sagt Ex-Bürgermeisterin Böker. Was ihre Heimatgemeinde für sie ausmacht: Ottensheim sei für viele Bewohner mehr als nur ein Ort, von dem aus man dank guter öffentlicher Anbindung innerhalb von 20 Minuten nach Linz pendeln kann.

Vereine und Initiativen

"Ich habe noch nie einen Ort gesehen, in dem es so viele Vereine und Initiativen gibt. In anderen Orten gibt es die Feuerwehr und die Landjugend, und das war's", sagt auch Andreas Knollmayr von der Berta. "Ottensheim ist ein umtriebiger Ort. Hier hat es schon immer Leute gegeben, die etwas machen wollten", fügt sein Kollege Michael Madlmayr hinzu. Ein Besucher der Berta, der sich gerade eine Flasche Vollmilch gekauft hat und diese nun aufschraubt, um sie, am Holztisch sitzend, genüsslich zu trinken, wirft ein: "Die Ottensheimer sind alle verrückt."

Eva Forster drückt sich diplomatischer aus: "Hier wohnen viele Menschen, die ganz bewusst am Land wohnen wollen." Den Anfang habe das mit alternativen Wohnprojekten in den 1980er-Jahren genommen. Forster betreibt seit drei Jahren die Greißlerei in der Linzer Straße und verkauft dort Eingekochtes: Es gibt Quitten-Apfel-Marmelade und Holunderblüten-Rhabarber-Sirup. Am Tresen stehen frische Zimtschnecken, vor dem Geschäft sitzen einige Gäste mit Getränken in der Sonne. Forster hat sich die ehemalige Fleischhauerei des Ortes auf eigene Kosten umgebaut. "Ich bin zufrieden", sagt sie, wünscht sich aber noch mehr Kunden. Denn unter der Woche fehle es an der nötigen Frequenz – und selbst am Markttag würden viele Besucher gar nicht erst in die Linzer Straße kommen. In Linz oder Wien würde ihr Geschäft besser laufen, das weiß sie. Warum trotzdem Ottensheim? "Wenn es wo das Publikum für meine Produkte gibt, dann hier."

Die Ottensheimer Co-Worker Ulrich und Agnes Kehrer, Johannes Rammerstorfer und Jürgen Pichler vor ihrem Büro hinter der Kirche.
Foto: Ulrich Kehrer

Das hört man oft in Ottensheim. "Ich wollte nie aufs Land ziehen. Nur nach Ottensheim", erzählt etwa die Grafikdesignerin Agnes Kehrer. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Grafikdesigner Ulrich Kehrer, hat sie sich gegen das Pendeln nach Linz entschieden – und für Ottensheims ersten Co-Working-Space: Hinter der Kirche hat der Architekt Jürgen Pichler ein Haus gekauft und im Erdgeschoß, wo sich früher die Greißlerei des Ortes befand, ein Büro eingerichtet. Vier Büronutzer arbeiten nun im Großraumbüro. Durch ein großes Schaufenster kann man ihnen beim Arbeiten zusehen. Das belebt den Ort – und hilft den jungen Kreativen, Aufträge im Ort zu lukrieren.

Steigende Immobilienpreise

Nach einer Unterbrechung von zwölf Jahren sitzt seit 2015 in Ottensheim die ÖVP wieder fest im Sattel: Das Stimmengewirr vom Freitagsmarkt hört man durch das geöffnete Fenster auch im Büro des amtierenden Bürgermeisters Franz Füreder im Gemeindeamt. "Ich fühle mich manchmal wie ein Immobilienmakler", sagt er. Denn Einkaufscenterbetreiber und Handelsketten würden ständig bei ihm anklopfen, weil sie sich für Gewerbeflächen am Ortsrand interessieren. Füreder lehnt das ab, ein weiteres Einkaufszentrum werde es in Ottensheim nicht geben. Ein kleines "Geschäftszentrum" sei nun aber an der Rohrbacher Bundesstraße angedacht, sagt Füreder vorsichtig. Dass das dem Ortskern schaden könnte, glaubt er nicht. "Aber natürlich wäre es besser, wenn diese Geschäfte ins Zentrum ziehen würden."

Ottensheim sei in den letzten Jahren ein attraktiver Ort zum Leben geworden, erzählt der Bürgermeister stolz. "Die Jungen wollen alle dableiben, nicht einmal der Nachbarort kommt für sie infrage." Das wirkt sich aber auch auf die Immobilienpreise aus: Für den Quadratmeter Baugrund würden mittlerweile je nach Lage schon einmal 300 Euro und mehr verlangt, die Kosten für eine Eigentumswohnung liegen laut dem Bürgermeister zwischen 300.000 und 500.000 Euro. Können sich junge Familien das noch leisten? "Das ist natürlich ein Problem", sagt Füreder und will mit günstigen Mietwohnungen gegensteuern.

Aber an den Baulandressourcen mangle es. Nun steige man bei Umwidmungen auf die Bremse, um in den nächsten Jahren nur moderat zu wachsen – und um mit der nötigen Infrastruktur nachzukommen. "Viele sagen: Ottensheim wäre ideal zum Wohnen, aber sie finden die passende Immobilie nicht", bestätigen auch die Ottensheimer Co-Worker. Vor einer Gentrifizierung warnt auch Ex-Bürgermeisterin Böker: Es sei wichtig, im Ort die Vielfalt zu wahren – auch bei den Geschäften in der Linzer Straße.

Schwierige Vermietung

Dennoch: Die Stimmung im Ort ist positiv, das merkt man. "Hier glauben alle an Ottensheim und wollen den Ort gemeinsam weiterbringen", sagt Architekt Pichler über die jungen Ottensheimer Unternehmer. Er sieht in seiner Heimatgemeinde aber noch viel Luft nach oben: Die besten Flächen würden nach wie vor leerstehen, ist er überzeugt – sei es, weil Hausbesitzern die Ideen fehlen, oder weil die Eigentümerkonstellationen zu kompliziert für eine Vermietung sind.

Angesichts der Entwicklungen im Ort fühlen sich manche aber schon an die gute alte Zeit erinnert: "So ein Leben hat es in Ottensheim schon einmal gegeben", sagt Pichler. "Am Stammtisch reden sie heute noch von damals, als der Greißler und die Fleischhauerei noch im Ort waren." Nun werde den alten Häusern ihre Identität zurückgegeben.

Aber mit neuen Konzepten. Denn einfach nur im Geschäft stehen und auf die Kunden warten – das gehe sich bei der Kundenfrequenz in Ottensheim zumindest derzeit noch nicht aus, sagt Ex-Bürgermeisterin Böker. "Reich werden die Geschäftsleute in Ottensheim wohl nicht werden", sagt sie und zögert dann kurz. "Aber vielleicht finden sie einen anderen Reichtum." (Franziska Zoidl, 17.6.2017)