Brüssel – Die Nato steht nach dem desaströs verlaufenen Spitzentreffen mit US-Präsident Donald Trump vor einem Scherbenhaufen. Aus Bündniskreisen hieß es am Freitag, viele Delegationen seien äußerst besorgt vom Gipfel in Brüssel abgereist.

Trump habe mit seinem Auftritt "großen Schaden" angerichtet, sagte ein Diplomat. Statt des so wichtigen Bildes der Geschlossenheit, habe man den Eindruck eines gespaltenen Bündnisses vermittelt.

Trump hatte bei dem Gipfel am Donnerstag sein Grußwort zu einer Denkmalenthüllung genutzt, um aggressiv Kritik an den meisten Partnern zu üben. "23 der 28 Mitgliedsstaaten zahlen immer noch nicht das, was sie zahlen sollten – und was sie für ihre Verteidigung ausgeben sollten", sagte er bei dem Treffen. Die mangelnde Beteiligung vieler Staaten sei "nicht fair" gegenüber den amerikanischen Steuerzahlern.

Mit seiner Rede verstieß Trump gegen die ungeschriebene Nato-Regel, bei Spitzentreffen zumindest öffentlich Geschlossenheit zu demonstrieren. Bemerkenswert war dies vor allem deswegen, weil die Bündnispartner den USA zuvor deutlich entgegengekommen waren.

Entgegenkommen der Allianz

So wurde zum Gipfel ein Aktionsplan für den Anti-Terror-Kampf beschlossen, der unter anderem den von Washington lange geforderten Nato-Beitritt zur internationalen Allianz gegen die Terrormiliz umfasst. Zudem verpflichteten sich die Bündnispartner, künftig jährlich Pläne vorzulegen, wie sie ihre Verteidigungsausgaben erhöhen wollen.

Wie der Streit zwischen Trump und Ländern wie Deutschland weitergeht, ist völlig unklar. Nach Informationen aus Nato-Kreisen bekam Trump beim Gipfelessen am Abend nur von sehr wenigen Staats- und Regierungschefs offene Kritik an seinem Vorgehen zu hören.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel verließ den Gipfel, ohne öffentlich zur Rede von Trump Stellung zu nehmen. Am Nachmittag hatte sie jedoch unmissverständlich zu Verstehen gegeben, dass sie keinen Handlungsbedarf beim Thema Verteidigungsausgaben sieht. Das Engagement Deutschlands innerhalb der Nato könne sich "sehen lassen", sagte sie.

Merkel verwies zudem darauf, dass Deutschland weiter zum sogenannten Zwei-Prozent-Ziel der Nato stehe. Dieses sieht vor, dass alle Länder darauf "abzielen" sollen, spätestens von 2024 an zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Rüstung und Militär auszugeben. Für die deutsche Regierung bedeutet dies allerdings nicht, dass die zwei Prozent im nächsten Jahrzehnt wirklich erreicht werden müssen.

Hohe Forderungen der USA

Trump sieht das völlig anders. Selbst "zwei Prozent des BIP" seien nicht ausreichend, um die bestehenden Lücken zu schließen, etwa bei Einsatzbereitschaft und Ausbildung, sagte er. Sein eigenes Land gab im vergangenen Jahr knapp 680 Milliarden Dollar für Verteidigung aus, was in etwa 3,6 Prozent des BIP entsprach. Die USA steckten damit soviel Geld in Verteidigung wie kein anderes Land auf der Welt.

Deutschland liegt derzeit trotz deutlich steigender Aufwendungen nur bei etwa 1,23 Prozent des BIP. Die deutsche Regierung verweist allerdings darauf, dass Deutschland heuer voraussichtlich 39,5 Milliarden Euro für Verteidigung ausgeben werde. Dies entspreche einer Steigerung um 13,8 Prozent im Vergleich zu 2014.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sicherte auf dem Gipfel zu, die Verteidigungsausgaben seines Landes auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung anzuheben. Frankreich übernehme bei der Lastenteilung in der Militärallianz seine Verantwortlichkeiten, sagte Macron laut Elysee-Kreisen am Donnerstag in Brüssel. Macron sagte laut Elysee-Kreisen bei der Nato, ein gestärktes "Europa der Verteidigung" und die Nato müssten gemeinsam vorangehen. Frankreich werde seinen Platz im Bündnis vollständig wahrnehmen.

Geldforderungen vor Architektur

Die Rede Trumps überschattete auch die Präsentation des neuen Nato-Hauptquartiers, das in den vergangenen Jahren für mehr als 1,1 Milliarden Euro gebaut worden war. Der US-Präsident hielt die Ansprache während der Enthüllung eines Denkmals, das an die Terroranschläge am 11. September 2001 erinnern soll. Merkel hatte zuvor ein Denkmal eingeweiht, das aus zwei Stücken der Berliner Mauer besteht. Es soll für die Überwindung von Diktatur und europäischer Teilung stehen.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sah sich jedenfalls bemüßigt zu betonen, dass er auf die Bündnistreue der USA baut. Die US-Regierung fühle sich der gemeinsamen Verteidigung verpflichtet, sagte Stoltenberg nach dem Abschluss des Spitzentreffens der Staats- und Regierungschefs. Auch wenn Trump beim Thema Verteidigungsausgaben "sehr deutlich" geworden sei, drücke sich die US-Bündnistreue nicht nur in Worten, sondern auch in Taten aus.

Russland stufte unterdessen sein Verhältnis zur Nato als so schlecht wie nie zuvor ein. "Wir müssen feststellen, dass die Beziehungen zwischen Russland und der Nato derzeit in der tiefsten Krise seit dem Ende des Kalten Krieges stecken", hieß es in einer Erklärung des Außenministeriums vom Freitag in Moskau. Das Bündnis übertreibe die angebliche Gefahr aus dem Osten, um seine Existenz zu rechtfertigen. Die Negativspirale sei Folge des jahrzehntelangen Strebens der Allianz nach Vorherrschaft in Europa und der Welt. Der Moskauer Botschafter bei der Nato, Alexander Gruschko, zeigte sich besorgt über die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, die amerikanischen Ausgaben für die Nato aufzustocken.

Weil sich die östlichen Nato-Mitglieder wegen des russischen Vorgehens in der Ukraine bedroht fühlen, hat die Allianz 4.000 Soldaten ins Baltikum und nach Polen verlegt. Bei dem Brüsseler Gipfel spielte Russland aber nur am Rande eine Rolle. Die Mitglieder sprachen vor allem über den Kampf der Nato gegen den Terror. (APA, 26.5.2017)