Foto: derStandard.at/Pichler
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An den Beginn dieser Rezension möchte ich gerne ein Geständnis stellen. Leichen pflastern meinen Weg. Nämlich die Leichen von Kugelschreibern, vermutlich hunderten an der Zahl. Ich habe sie gebogen, bis sie barsten und manchmal auch an ihnen herumgekaut. Aber besonders oft war es ihr Clip, der es mir angetan hatte. Deren Widerstandsfähigkeit wurde von mir so lange mit dem Daumen erprobt, bis sie abbrachen.

Es waren allerdings keine heimtückischen Morde, sondern eher fahrlässige Tötung. Mein Antrieb: Nervosität oder der Versuch, mich besser zu konzentrieren. Die Belastungsproben für die unschuldigen Kulis erfolgten unwillkürlich, beinahe schon unterbewusst. Zum Glück gibt es kaum ein Problem, dem heutzutage nicht eine eigene App oder ein Gadget gewidmet ist. Bühne auf den für den Fidget Cube, einem "Fummelwürfel", der einen regelrechten Hype um Helfer dieser Art ausgelöst hat.

Antsy Labs

Bewegungsdrang

"To fidget" lässt sich aus dem Englischen als "Zappeln" übersetzen. Ein "Fidget" bezeichnet folglich auch einen "Zappelphilipp". Die vom Psychiater Heinrich Hoffmann in den "Struwwelpeter"-Erzählungen geschaffene Figur wurde zur umgangssprachlichen Bezeichnung für Menschen, die von Rastlosigkeit geplagt sind. Ich gehöre dazu. Nicht in der extremen Ausprägung, doch langes Herumsitzen ist nichts für mich. Serienmarathons funktionieren nur mit Freunden, oder wenn ich aus Krankheitsgründen an das Sofa gefesselt bin.

Was im Privatleben meist vernachlässigenswert ist, kann sich im Büroalltag zu einem Problem entwickeln. Das Malträtieren von Schreibwerkzeug, nervöses Herumklopfen auf der Tastatur und ähnliche Verhaltensmuster zur Aufrechterhaltung der eigenen Konzentration können mitunter zum Erschwernis für die Sitznachbarn werden. Hilft hier ein Würfel, auf dessen sechs Seiten allerlei Utensilien zur haptischen Satisfaktion angebracht sind? Die Antwort: Ja, aber…

Gesehen auf der Mariahilfer Straße in Wien. Der Fidget-Hype hat Österreich erreicht.
Foto: derStandard.at/Pichler

Sechs befriedigende Seiten

Es ist ein buntes Sammelsurium an beweg- und drückbaren Dingen, die an diesem qualitativ hochwertigen Gerät der Antsy Labs angebracht ist. An der Oberseite ist ein runder "Nub", der sich ähnlich wie ein Joystick im Kreis bewegen lässt. Es gibt auch einen einfachen Kippschalter sowie eine Fünfer-Anordnung aus Gummiknöpfen. Diese bringen dankenswerterweise unterschiedliche Druckpunkte mit und nicht jeder produziert ein Klickgeräusch.

Weiters an Bord ist eine Scheibe mit Drehregler. Besonders ausgefallen ist jene Seite, die drei Zahnräder beherbergt, die sich entsprechend ihrer Rasterung drehen lassen. Direkt daneben schaut ein Kugellager hervor, das sich nicht nur bewegen, sondern auch klicken lässt. Vergleichsweise unspektakulär macht sich die Kuhle aus, die sich auf der Unterseite des Fidget Cube befindet.

Ruhestifter

Es ist tatsächlich möglich, sich mit diesem kleinen Würfel zu beschäftigen und damit die eigene Unruhe zu kanalisieren. Der Konzentration tut dies sichtlich gut. Wer allerdings auf Kollegen Rücksicht nehmen muss, kann nur einen Teil der Fummelausstattung verwenden oder muss zumindest sachte vorgehen, um den Lärmpegel unter deren Wahrnehmungsgrenze zu halten.

Ob das den Preis von knapp 20 Euro plus Porto rechtfertigt? Schwer zu sagen. Für Menschen, die Bedarf an derlei Beschäftigungsutensil haben, auf jeden Fall. Und es besteht Hoffnung, sich zumindest die Transportkosten in Zukunft sparen zu können. Im Laufe des Sommer sollen die originalen Fidget Cubes auch im deutschen Angebot von Amazon landen.

Hype, Hype, Hype

Der Run auf die Würfel ist beachtlich. Rund 6,5 Millionen Dollar konnten die Hersteller über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter von mehr als 150.000 Unterstützern lukrieren. Nach Ablauf der Kampagne trudelten zudem massenhaft normale Vorbestellungen ein, gab man bekannt. Das führte zu Lieferengpässen. Das Testgerät wurde Mitte Jänner geordert und hätte laut Angabe auf der Homepage im Februar ausgeliefert werden sollen. Tatsächlich auf den Postweg ging das Paket allerdings erst Anfang Mai.

GeekBite

Die Popularität und Verzögerung haben sich derweil andere Firmen zu ihrem Vorteil gemacht. Mittlerweile wimmelt es bei Online-Händlern von Klonen. Alleine bei Amazon finden sich dutzendweise Angebote. Noname-Ware aus China gibt es bereits um wenige Euro, ein Blick auf die Kundenbewertungen offenbart allerdings, dass die Verarbeitungsqualität hier oft mangelhaft ist. Dazu gibt es mittlerweile auch Derivate des Gadgets, darunter eine 12-seitige Variante. Zweifelsohne, hier lässt sich gerade viel Geld machen.

Neue Zielgruppe

Der Ansturm hat allerdings nicht nur Nachahmer auf den Plan gerufen, sondern überhaupt zur Entdeckung einer von herkömmlichen Firmen bislang wenig beachteten Zielgruppe geführt. Der Hype um die Würfel ist noch gar nicht abgeebbt, schon reißen sich die nach Konzentrationserhalt gierenden Nutzer dieser Welt um die "Fidget Spinner", eine Art Kreisel für die Hand.

Fidgi Pen

Auch für die Zappelphilipp-Subspezies der Kugelschreiberzerstörer gibt es mittlerweile spezialisierte Ware, deren Herstellung ebenfalls erfolgreich nach dem Crowdfunding-Modell finanziert wurde. Voìla: Der Think Ink Pen und der Fidgipen, dessen Hersteller das vermutlich fremdschämwürdigste Werbe-Intro aller Zeiten produziert haben.

Gadgets, die also nicht nur Schreiben, sondern sich auch auf allerlei Art und Weise physisch bearbeiten lassen, ohne nach kurzer Zeit zu Bruch zu gehen. Eine Heilung mag für mich zwar nicht in Sicht sein, doch die Erlösung ist nun immerhin (wortwörtlich) zum Greifen nahe.

Hinweis

Wichtiger Nachsatz: Beschäftigungs-Gadgets werden oft damit beworben, dass sie auch attestierte nervöse Verhaltensstörungen lindern können. Wenngleich es Nutzerberichte gibt, die ihnen einen solchen Effekt bescheinigen, fehlt ein wissenschaftlicher Nachweis dafür bislang. (Georg Pichler, 04.06.2017)