B I L D U N T E R S C H R I F T: Dass Frauen und Männer in Österreich gleichberechtigt sind, wird in den Deutschlernunterlagen als Faktum präsentiert.

Faksimile: Standard/ÖIF

Wien – Sind Männer und Frauen in Österreich gleichberechtigt? Wer nach Österreich zuwandern will, muss diese Frage mit einem klaren Ja beantworten. Denn so steht es in den Unterrichtsmaterialien "Zusammenleben, Vielfalt, Werte" für den Deutschunterricht für Migranten (siehe Bild) geschrieben. In den Vorbereitungskursen für die sogenannte Integrationsvereinbarung sollen Migranten nämlich nicht nur Deutsch, sondern auch "österreichische Werte" lernen – und dazu gehört neben der vermeintlichen Gleichberechtigung von Mann und Frau auch die Frage, ob man, wenn der Wohnungsnachbar nervt, die Polizei rufen soll (Antwort: Nein).

Für Nicht-EU-Bürger, die sich in Österreich dauerhaft niederlassen wollen, ist die Erfüllung der Integrationsvereinbarung Pflicht – das gilt schon seit längerem. Neu ist aber, dass sie in den Deutschkursen auch Werte lernen müssen. Die Pflicht, die Werteschulung anzubieten und in den Deutschkurs zu integrieren, trifft somit künftig alle Deutsch-institute. Nur wer neben dem Sprachmodul auch das Wertemodul lehrt, ist als Anbieter der Deutschkurse zugelassen.

Anbieter kontrolliert sich selbst

Doch genau das sorgt für Kritik. Denn jene Stelle, die darüber entscheidet, wer Prüfungen anbieten darf, ist selbst Prüfungsanbieter. Es handelt sich um den Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF), eine Einrichtung, die dem Integrationsministerium untersteht und von ihm finanziert wird. Mit dem neuen Integrationsgesetz, das am 1. Oktober in Kraft tritt, wird der ÖIF zur offiziellen Zertifizierungsstelle gekürt. Anders gesagt: Ein Marktanbieter wird erstens sich selbst kontrollieren und zweitens auch darüber entscheiden, welcher seiner Mitbewerber weiterhin am Markt bleiben darf. Finanziert werden die Kurse, die Zertifizierungen als Prüfungsinstitut und die Evaluierungen aus Steuergeld und EU-Töpfen.

Im Integrationsministerium sieht man die Zertifizierung als Fortschritt, da es bis dato kein Zulassungsverfahren für Prüfungsanbieter gab, was zu einem Wildwuchs an Anbietern mit höchst unterschiedlichen Qualitätsniveaus geführt hat. Dass es ausgerechnet der ÖIF und nicht eine neutrale Stelle ist, die fürs Zertifizieren zuständig sein wird, sorgt jedoch für Kritik unter Deutschinstituten.

Ohne Werte keine Lizenz

Besonders groß ist der Ärger beim größten österreichischen Kursanbieter, dem Österreichischen Sprachendiplom Deutsch (ÖSD), das in rund 500 Instituten im In- und Ausland jedes Jahr rund 40.000 Kandidaten in Deutsch als Fremdsprache unterrichtet und prüft. Die meisten davon brauchen die Prüfungen, um nach Deutschland einwandern zu können. Während Deutschland die ÖSD-Diplome weiterhin akzeptiert, könnte der Anbieter aber nun in Österreich die Lizenz verlieren, weil keine Wertetests angeboten werden. Sollten die ÖSD-Institute nicht zertifiziert werden, wäre das insofern bemerkenswert, als das ÖSD an der Erstellung der länderübergreifenden Referenzrahmen fürs Deutschlernen mitgearbeitet hat – also die Kriterien für eine mögliche Zertifizierung erstellt hat.

ÖSD-Geschäftsführerin Manuela Glaboniat zeigt auf Anfrage des STANDARD zwar Verständnis, dass man Deutschprüfungen in Österreich vereinheitlichen wolle. Sie befürchtet aber, dass es dem ÖIF an Qualitätssicherung fehle, um die Zertifizierungen durchführen zu können. Dass die ÖIF-Kurse unzureichend evaluiert werden, hat auch der Rechnungshof in einer Prüfung im Jahr 2015 bemängelt.

"Auswendig gelernte Stehsätze"

Kritik gibt es aber auch am Konzept, die Wertevermittlung in die Deutschkurse zu integrieren. Er finde die Idee, Orientierungskurse anzubieten, zwar positiv, sagt Sprachlernforscher Hans-Jürgen Krumm von der Uni Wien im STANDARD-Gespräch. Doch sei es der falsche Weg, Moralvorstellungen im Rahmen des Deutschkurses zu unterrichten und danach abzuprüfen. Das Ergebnis seien nämlich "auswendig gelernte Stehsätze" ohne jeden Lerneffekt.

Dazu kommt, dass die Kursteilnehmer Sprachanfänger sind, also sprachlich noch gar nicht in der Lage sind, sich auf Deutsch über Wertvorstellungen, Konflikte oder gar die politische Ordnung Österreichs zu unterhalten. Krumm plädiert daher dafür, Orientierungskurse vom Sprachunterricht zu trennen und für Deutsch-Anfänger in der jeweiligen Herkunftssprache anzubieten. (Maria Sterkl, 27.5.2017)