Drei Stockwerke, Ziegelfassade, irischgrüne Fensterläden. Die Wallfahrer sind sich nicht ganz sicher, ob die Angaben in den Kennedy-Broschüren stimmen; zumal die Villa nebenan mit den steinernen Löwen mehr hermacht als das eher schlichte Domizil auf 3307 N Street NW. Stimmt alles: Hier lebten John F. und Jacqueline Kennedy, bevor sie am 20. Jänner 1961 ins Weiße Haus umzogen.

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Dream Couple der 1950er und frühen 1960er Jahre: Jacqueline "Jackie" Lee Bouvier und John F. Kennedy, genannt "Jack" oder "JFK"
Reuters

Ein Stück die stille Straße im Stadtteil Georgetown hinunter liegt Martin's Tavern, nächste Station auf dem Weg der Kennedy-Pilger. An einem Tisch am Fenster soll Jack, wie Amerikaner Leute mit dem Vornamen John gern nennen, der Reporterin Jacqueline Lee Bouvier einen Heiratsantrag gemacht haben: am 24. Juni 1953.

Drei Wochen zuvor war Elizabeth II zur britischen Königin gekrönt worden, und Jackie hatte für den Washington Times Herald darüber berichtet. "Ich bin ein Idealist ohne Illusionen", soll er der jungen Frau bei einem Rendezvous, gesagt haben, als die ihn fragte, wie er sich definiere.

Und im Jänner 1961 soll Jack hier, in seinem Stammlokal, den ersten Entwurf der Rede geschrieben haben, die er zur Amtseinführung halten wollte.

John F. Kennedy wäre am heutigen 29. Mai hundert Jahre alt geworden. Das salomonische Alter passt nicht recht zum Gedenken an einen, der das Image des jugendlichen Energiebündels pflegte, obwohl er tatsächlich an einem chronischen Rückenleiden litt. Als Kennedy am 22. November 1963 in Dallas ermordet wurde, war er 46. Unvollendet hörte sein Leben auf – so hat man ihn bis heute in Erinnerung, als wäre das Bild festgefroren in ewigem Eis.

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22. November 1963: Kennedy wird in Dallas, Texas, Opfer eines Schussattentats.
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Auch das, glaubt Robert Dallek, Kennedy-Koryphäe unter Amerikas Historikern, begründet die spätere Verklärung. Keinen anderen Präsidenten ihrer jüngeren Geschichte haben die USA posthum derart gefeiert, vielleicht abgesehen von Ronald Reagan, den die Konservativen auf einen Sockel stellen.

Der Mythos lebt, und die Gründe dafür hat Jacks Neffe Stephen Kennedy Smith pünktlich zum Jubiläum in JFK: A Vision for America auf 494 Seiten zu ergründen versucht. In der Rolle des scharfsinnigen Zeitzeugen kommt Pulitzer-Preisträger Norman Mailer zu Wort. Dass JFK jung und fesch war und seine Frau attraktiv, schrieb Mailer schon vor 54 Jahren, "waren keine nebensächlichen, zufälligen Details, sondern neue, wichtige politische Tatsachen".

Amerika sei nun einmal ein Land von Individualisten und auf der ständigen Suche nach Helden, die das Ruder in einem Kraftakt herumreißen könnten. Nirgend-wo sonst werde die aufklärerische Erzählung der Renaissance, wonach in jedem Menschen Außergewöhnliches schlummert, leidenschaftlicher gepflegt. "Und Kennedy war ein Held, wie ihn Amerika brauchte, passend zu seiner Zeit."

Vom Dandy zum Präsidenten

Geboren am 29. Mai 1917 in Brookline, einem Villenvorort Bostons, war John Fitzgerald Kennedy der zweite Sohn einer Familie mit letztlich neun Kindern. Sein Vater Joseph scheffelte an der Börse ein Vermögen. Vor Ehrgeiz brennend, benutzte er Geld und Einfluss, um für seine Söhne Türen in der Politik aufzustoßen.

Wahlkampf 1960: Der Demokrat Kennedy weiß gegen den Republikaner Richard Nixon zu glänzen – vor allem im Fernsehen.
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Joe junior, der Älteste, dem er am meisten zutraute, stürzte im Zweiten Weltkrieg über dem Ärmelkanal ab. An seiner Stelle machte John F. Karriere, lange bloß als dandyhafter Schürzenjäger belächelt. 1960 gewann er das Präsidentschaftsvotum, der erste Katholik im Oval Office.

Schon damals munkelte man, JFK hätte ohne das Vermögen seines Vaters und ohne Einflussnahme der Mafia wohl kaum gewonnen. Der Vorwurf, der Kennedy-Clan sei Teil oder Nutznießer des organisierten Verbrechens, war schon damals nicht neu, und er wurde ihn auch später nie los.

Den Ausschlag bei der Wahl gab aber sicher auch, dass JFK das damals noch junge Medium Fernsehen besser beherrschte als sein Rivale Richard Nixon, so wie Donald Trump mehr als fünfzig Jahre später am besten mit Twitter umzugehen wusste.

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Barack Obama (hier bei einer Gedenkfeier für JFK Anfang Mai) wurde in seiner Anfangszeit häufig mit Kennedy verglichen.
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Rhetorisch setzte Kennedy Glanzpunkte, etwa bei seiner Inauguration: "Frag nicht, was dein Land für dich tun kann; frag, was du für dein Land tun kannst." Und er war es, der das verwegen klingende Ziel verkündete, bis Ende der 1960er-Jahre einen Menschen auf dem Mond landen zu lassen. Aus solchen Gründen sprachen auch manche von einem zweiten Kennedy, als Barack Obama 2008 mit seinem Slogan "Yes, we can" alten Pioniergeist beschwor.

Fiasko in Kuba, Erfolg in Deutschland

Im April 1961 endete JFKs erstes weltpolitisches Abenteuer in einer Blamage: Kubanische Exilanten versuchten mithilfe der CIA Fidel Castro zu stürzen. Die Invasion in der Schweinebucht scheiterte kläglich, woraus Kennedy die Lehre zog, sich nie wieder leichtgläubig auf seine Geheimdienste zu verlassen, die einen Volksaufstand in Havanna prophezeit hatten.

Im Oktober 1962, als die Sowjetunion Atomraketen auf Kuba stationierte und die Welt auf einen Atomkrieg zusteuerte, überstimmte der Präsident die Hardliner unter seinen Generälen, die zu einem Angriff auf die Insel trommelten. Der Poker endete mit einem realpolitischen Deal: Moskau zog die Raketen aus Kuba ab, die USA Raketenstellungen aus der Türkei. Letzteres, darauf bestand Kennedy, musste allerdings geheim bleiben, wollte er doch mit Blick auf die Falken daheim als Sieger des Nervenspiels gelten.

"Ich bin ein Berliner!", deklamierte Kennedy im Juni 1963 vor dem Rathaus Schöneberg. Der Satz sollte zu einem der bekanntesten Zitate der Weltpolitik werden.
Stefan Goßler

Im Juni 1963 hielt er vor dem Rathaus Schöneberg eine umjubelte Rede, gipfelnd in den legendären Worten "Ich bin ein Berliner". Des Deutschen nicht mächtig, hatte er sich in Lautschrift notiert: "Ish bin ein Bearleener." Daraus wurde ein solcher Erfolg, dass Kennedy scherzte, er würde seinem Nachfolger jederzeit raten, in Zeiten der Entmutigung einfach nach Deutschland zu reisen.

Nach Vietnam entsandte er tausende Militärberater, um die prowestliche Regierung des Südens zu stützen, einen Truppeneinsatz in großem Stil befahl er allerdings nicht. Ob auch Kennedy, wie sein Nachfolger Lyndon B. Johnson, im vietnamesischen Sumpf versunken wäre? Ob ihn der Krieg entzaubert hätte? Es sind Fragen, über die sich Historiker bis heute den Kopf zerbrechen.

Bissige Selbstironie

Stephen Kennedy Smith war sechs, als sein Onkel mit einer Kinderschar im Golfcart dahinraste, "so draufgängerisch, dass er uns alle zu Tode ängstigte". Der Neffe sitzt jetzt im Nationalarchiv und nimmt den Mythos unter die Lupe; versucht die Sehnsucht zu erklären. Ohne den aktuellen Präsidenten auch nur ein Mal zu erwähnen, beschreibt er den Anti-Trump: JFK als großen Freund bissiger Ironie, auch bissiger Selbstironie. "Das Einzige, was uns überraschte, als wir ins Amt kamen, war, dass die Lage wirklich so schlimm war, wie wir sie immer beschrieben hatten", zitiert er seinen Onkel.

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Kennedy machte auch in Wien Weltpolitik: mit Nikita Chruschtschow am 3. Juni 1961
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Die Erinnerung fällt umso wehmütiger aus, weil heute einer im Weißen Haus residiert, der mit sarkastischem Humor so gar nichts anzufangen weiß. Trump fühlte sich angegriffen von den Medien, die wahrheitsgemäß dokumentierten, dass die Zuschauerzahl bei seiner Inauguration nicht annähernd heranreichte an den Jänner 2009, als Obama zum ersten Mal vereidigt wurde. Als er nicht durchkam mit seinen "alternativen Fakten", wurde er wütend.

Auch Kennedy hat geflunkert, wenn es um Zuschauerzahlen ging. Einmal, im Wahlkampf von 1960, übertrieb es sein Pressesekretär Pierre Salinger, Spitzname Plucky: Während sich Trump regelrecht verbiss in seine Version, schaffte Kennedy die Irritationen mit einem Witz aus der Welt. "Plucky zählt immer nur die Nonnen", parierte er eine kritische Frage. "Und dann multipliziert er das Ergebnis einfach mit hundert." (Frank Herrmann aus Washington, 29.5.2017)