Wien – Anspucken, beschimpfen, Kopftuch mit Bier beschütten – von einer starken Zunahme verbaler und tätlicher Angriffe auf Kopftuch tragende Frauen berichten Diskriminierungsstellen. Zwar richte sich der Hass meist pauschal gegen alle Muslime – "aber da man verschleierten Frauen ihre Religion auf den ersten Blick ansieht, müssen sie stellvertretend für alle Muslime den Kopf hinhalten", sagt Claudia Schäfer von der Zara-Beratungsstelle in Wien. Vor allem in den vergangenen zwei Jahren hat die Beratungsstelle "eine eindeutige Zunahme" bei Übergriffen auf Frauen mit Kopftuch registriert.

Statistiken fehlen

Ähnlich der Eindruck der Antidiskriminierungsstelle Steiermark: Von einer 40-prozentigen Zunahme seit 2012 bei Attacken auf Frauen mit Kopftuch spricht deren Leiterin Daniela Grabovac im Gespräch mit dem STANDARD.

Der starke Anstieg an Übergriffen, den Islamgemeinden-Präsident Ibrahim Olgun im Interview mit dem STANDARD erwähnt hatte, scheint also belegt zu sein – doch fehlt es an einer behördlichen Statistik. Das Problem: Weder Polizei noch Gerichte verfügen über Aufzeichnungen darüber, ob eine Tat aus einem rassistischen Motiv heraus begangen wurde. Daher weiß niemand, wie hoch die Zahl rassistischer oder islamfeindlicher Gewalt wirklich ist.

Rassismus erhöht Strafe

Olgun hatte schärfere Strafgesetze gefordert, um die Attacken zu ahnden. Das sei derzeit nicht geplant, heißt es im Justizministerium. Doch scheint selbst das bestehende Recht nicht ausgeschöpft zu werden: Laut Strafgesetz ist eine Tat schwerer zu bestrafen, wenn sie aus einem rassistischen Motiv begangen wurde. Gerichte wenden diese Bestimmung aber nur zögerlich an, sagt Diskriminierungsexperte Volker Frey, Jurist beim Klagsverband. Aber auch hier gilt: Einen Überblick, wie oft der Paragraf zum Einsatz kommt, hat niemand. "Wir erheben das nicht", sagt eine Sprecherin des Justizministeriums.

Auch bei der Polizei fehlt es an einer Dokumentation rassistisch motivierter Gewalt. Anders als beispielsweise in Großbritannien sind Polizisten nicht verpflichtet, bei der Registrierung einer Anzeige nachzufragen, ob die Tat rassistisch motiviert sein könnte – somit wird eine Körperverletzung oder eine Beleidigung oft als "unpolitisch" verzeichnet.

In der Praxis scheitert es oft daran, dass viele Opfer von Attacken sich erst gar nicht an die Polizei wenden. Einerseits, weil sie "diese Gewalt mittlerweile schon so oft erleben, dass sie sich gar keine Hoffnungen mehr machen", sagt Grabovac. Andererseits aber auch, weil die Taten in vielen Fällen gar keine strafrechtlichen Konsequenzen hätten. Einer Frau den Schleier vom Kopf zu ziehen, ist zwar ein Übergriff, der für die Betroffene verletzend ist, strafbar ist es aber nur, wenn es ins Schema einer Körperverletzung, Sachbeschädigung oder Beleidigung im strafrechtlichen Sinne passt. Für eine Beleidigung ist beispielsweise erforderlich, dass drei Personen anwesend waren. Bestreitet der Täter das, könne es zu Beweisproblemen kommen, sagt Frey. Oft scheitere es auch daran, dass der Täter unbekannt ist, sagt Grabovac.

Besser öfter anzeigen

Trotzdem wäre es wichtig, Übergriffe zur Anzeige zu bringen, meinen die Experten – denn nur auf diese Weise würden die Behörden auf das Problem aufmerksam werden. "Was nicht bekannt wird, existiert nicht", sagt Frey. Auch Grabovac spricht von einem wichtigen "demokratiepolitischen Effekt" einer höheren Anzeigenrate.

Stattdessen gehen immer mehr Frauen auf Rückzug. "Viele haben sich jahrelang gewehrt und geben jetzt auf, weil es eh nichts bringt", sagt Grabovac. Die Betroffenen meiden dann den öffentlichen Raum, bleiben öfter zu Hause oder in der eigenen Community: "Sie reagieren auf Ausgrenzung, indem sie sich selbst ausgrenzen." (Maria Sterkl, 30.5.2017)