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Leo Varadkar, 38 Jahre alt, könnte nächster irischer Premier werden.

Foto: Reuters / Clodagh Kilcoyne

Dublin/London – Nach kurzem, aber heftigen innerparteilichen Wahlkampf haben die Mitglieder der irischen Regierungspartei Fine Gael (FG) am Montag mit der Urwahl ihres neuen Vorsitzenden begonnen. Der Ausgang des Rennens zwischen Sozialminister Leo Varadkar und dem Ressortkollegen für Regionalplanung, Simon Coveney, soll am Freitag in Dublin verkündet werden. Der Sieger wird sich dem Parlament zur Wahl als Nachfolger von Premier Enda Kenny stellen. Als haushoher Favorit gilt der homosexuelle Arzt Varadkar, Sohn eines indischen Einwanderers.

Dass ein Schwuler mit Migrationshintergrund fürs höchste Regierungsamt in Frage kommt, verdeutlicht den rapiden sozialen Wandel in dem einstmals erzkatholischen Land. Noch vor 20 Jahren wäre die Wahl des "Emmanuel Macron von Dublin" undenkbar gewesen. Nach einer Reihe übler Skandale, darunter Jahrzehnte lang vertuschte Sexualverbrechen gegen Kinder, hat die katholische Kirche viel von ihrem Einfluss verloren. Vor zwei Jahren entschieden die Iren per Volksentscheid für die Schwulenehe.

Coming-out vor zwei Jahren

Varadkar, 38, hat über seine Sexualität vor zwei Jahren erstmals öffentlich gesprochen, er lebt mit einem Kardiologen zusammen. Im Wahlkampf sei das Privatleben "kein Thema" gewesen, berichten Dubliner Beobachter. Vielmehr versuchte der aus Cork stammende Coveney, 44, den Dubliner Kabinettskollegen als zum Eliteklüngel zugehörig darzustellen.

Varadkars Team konterte die Strategie mit dem wenig dezenten Hinweis auf Coveneys politische Sozialisation: Der gelernte Agrarwissenschaftler hatte seinen Sitz im Dubliner Parlament Dáil als 26-Jähriger von seinem verstorbenen Vater übernommen, was in allen großen Parteien Irlands üblich ist. Hingegen besuchte der Arztsohn Varadkar zwar eine der besten Privatschulen des Landes, musste sich seine politische Stellung aber selbst erarbeiten.

"Unsoziale Positionen"

Coveney setzte dem Favoriten außerdem mit der Behauptung zu, Varadkar vertrete "unsoziale Positionen". Tatsächlich zog der Sozialminister mit dem Slogan durchs Land, er sei der "Repräsentant all jener, die früh aufstehen und hart arbeiten". Kritik an seiner konservativen Haltung konterte er mit dem Hinweis, beide Bewerber gehörten der gleichen Partei und dem gleichen Kabinett an: "Es gibt genug Leute, die unsere Partei fälschlich als unsozial darstellen. Wir sollten das nicht auch tun."

In Wirklichkeit dürfte der Premier-Wechsel weder an der Wirtschafts- und Finanzpolitik der grünen Insel noch an deren fester EU-Verwurzelung etwas ändern. Auf jeden Fall kommt es zu einem Generationenwechsel. Kenny, 66, übernahm 2011 im Gefolge der Finanzkrise das Regierungsamt, als Irland vor dem Bankrott gerettet werden musste. Durch eiserne Budgetdisziplin gelang binnen drei Jahren die Rückgewinnung fiskalischer Souveränität. Dafür bestraften die Wähler im vergangenen Jahr die damals regierenden Parteien hart. Seither führte Kenny eine Minderheitsregierung an.

Während Coveney an der Verständigung mit der wichtigsten Oppositionspartei federführend beteiligt war, wird von Varadkar ein härterer Kurs mit klarem konservativen Profil erwartet. In Umfragen schnitt FG zuletzt besser ab, weshalb der neue Premier auf Neuwahlen drängen könnte. Dazu bräuchte er aber die Zustimmung der unabhängigen Regierungsmitglieder sowie von der nationalliberalen Fianna Fáil (FF); beide haben an einem frühzeitigen Urnengang wenig Interesse. (Sebastian Borger, 30.5.2017)