Brüssel/Frankfurt – Zehn Tage vor der nächsten Zinsentscheidung im Euroraum haben zwei der führenden Währungshüter ihre Sicht auf die künftige Geldpolitik dargelegt. Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, betonte am Montag in Brüssel die Notwendigkeit einer Fortsetzung der lockeren Geldpolitik.

Der Präsident der Bundesbank, Jens Weidmann, stimmte diesem Kurs zwar im Grundsatz zu, verwies aber auf Risiken und warf die Frage nach dem "Wann" beim Ausstieg aus Niedrigzinsen und Wertpapierkäufen auf.

"Wir bleiben fest davon überzeugt, dass ein außergewöhnliches Maß an geldpolitischer Unterstützung, einschließlich unserer "Forward Guidance", immer noch nötig ist", sagte Draghi vor Vertretern des Europaparlaments. Mit der "Forward Guidance" ist eine geldpolitische Steuerung über Ankündigungen zur künftigen Geldpolitik gemeint. Zuletzt wurde seitens der EZB immer wieder betont, dass die Leitzinsen noch weit über das bis mindestens zum Jahresende geplante Anleihekaufprogramm hinaus auf dem derzeitigen oder auf einem niedrigeren Niveau verbleiben werden. Einige Experten erwarten, dass die EZB bald etwas an dieser Formulierung ändern könnte.

Der Inflationsdruck bleibe gedämpft, und die Lohnentwicklung sei unzureichend, sagte Draghi. Die Wachstumsrisiken hätten aber zuletzt weiter abgenommen, und der Aufschwung werde zunehmend über verschiedene Wirtschaftszweige und Euro-Länder hinweg solide bleiben. Bei der kommenden Notenbanksitzung Mitte Juni würden neue Prognosen zum Wachstum und zur Inflation weitere Hinweise geben.

Bundesbankpräsident Weidmann sagte laut einem Redetext am Abend in Berlin, dass die lockere Geldpolitik zwar im Grundsatz weiterhin angemessen sei. "Aber aufgrund der fortschreitenden wirtschaftlichen Erholung und einer von allen Prognosen vorhergesagten Inflationsrate von knapp zwei Prozent im Jahr 2019 ist es durchaus legitim zu fragen, wann der EZB-Rat eine geldpolitische Normalisierung in den Blick nehmen sollte."

Weidmann bekräftigte seine Kritik an den Staatsanleihekäufen im großen Stil, die als reines Notfallinstrument insbesondere zur Vermeidung einer Deflation zu betrachten seien. "Solche Käufe lassen die in einer Währungsunion besonders wichtige Grenze zwischen der Geldpolitik und der Fiskalpolitik verschwimmen", sagte der Währungshüter. Die Gefahr sinkender Preise, die die Wirtschaft in eine Abwärtsspirale ziehen könnten, sei derzeit nicht in Sicht.

Mittlerweile seien die Euro-Notenbanken die größten Gläubiger der Staaten. "Das kann am Ende dazu führen, dass politischer Druck auf das Eurosystem ausgeübt wird, länger an der sehr lockeren Geldpolitik festzuhalten als aus Sicht der Preisstabilität angemessen." Zudem brächten die niedrigen Leitzinsen und die Wertpapierkäufe Risiken mit sich, etwa mit Blick auf die Preisentwicklung am Immobilienmarkt. (APA, 29.5.2017)