Die globalen Durchschnittstemperaturen steigen. Damit die Politik gegensteuern kann, ist sie auf gesicherte Forschungsergebnisse angewiesen.

Foto: APA/dpa-Zentralbild/Arno Burgi

Wien – Die Wälder wandeln sich. Gerade im östlichen Flachland Österreichs könnte der Klimawandel erhebliche Auswirkungen zeigen. Je nach Beschaffenheit des Bodens, je nach seiner Fähigkeit, Wasser zu speichern, könnte sich durch die Zunahme von Trockenperioden der Baumbestand verändern. Die vorherrschende Fichte könnte den Rückzug antreten.

Fichten bevorzugen feuchtes, kühles Klima und sind in unseren Breiten in den Alpen beheimatet. Doch aufgrund der besonderen Eignung für die Forstwirtschaft entstanden viele Fichtenwälder abseits der natürlichen Habitate. Als Flachwurzler kann der Baum die rarer werdenden Wasserspeicher nicht mehr so gut erreichen und ist gegenüber anderen Spezies benachteiligt. Die Eiche mit ihrem tiefen Wurzelsystem ist für ein derartiges Umfeld etwa viel besser geeignet.

Der Wandel des Waldes, von dem Karl Gartner vom Bundesforschungszentrum für Wald erzählt, wird auch seine ökonomische Nutzung verändern – ein Umstand, auf den man sich frühzeitig einstellen sollte. Die einhergehenden Herausforderungen für die Forstwirtschaft war ein Thema, das unter vielen weiteren ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Perspektiven vergangene Woche beim 18. Österreichischen Klimatag in Wien zur Sprache kam.

Frage der Weichenstellung

Wirtschaft und Klimaschutz sind in den Köpfen vieler Menschen Gegensätze. Der Klimatag – veranstaltet vom Forschungsnetzwerk Climate Change Centre Austria (CCCA) und unterstützt vom Klimafonds des Lebens- und des Verkehrsministeriums – wurde genutzt, um eine andere Denkweise zu propagieren: Man könne die Ziele des Pariser Klimaabkommens umsetzen und gleichzeitig die Wirtschaft voranbringen, neue Branchen und Arbeitsplätze schaffen. Voraussetzung dafür: Die Politik müsse schnell die richtigen Weichen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse stellen.

Im Verein CCCA haben sich österreichische Institutionen zusammengeschlossen, die Forschung im Zusammenhang mit dem Klimawandel betreiben. Das Netzwerk, das unter anderem von der renommierten Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb von der Universität für Bodenkultur Wien mitbegründet wurde, soll als zentrale Anlaufstelle für Forschung, Politik und Öffentlichkeit dienen. Das CCCA hat etwa bereits einen "Sachstand Klimawandel" vorgelegt, zuletzt wurde ein "Science Plan" präsentiert, der Kompetenzen und Forschungsbedarf verortet.

Wie groß die Hürden sind, die bei einem Umbau unserer sozialen und wirtschaftlichen Systeme in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaneutralität zu nehmen sind, wird klar, wenn man Martina Schäfer zuhört. Die wissenschaftliche Geschäftsführerin des Zentrums Technik und Gesellschaft der TU Berlin zeigte in ihrem Keynote-Vortrag auf, wie tief eine "Nichtnachhaltigkeit" in gesellschaftliche Infrastrukturen eingeschrieben ist. Beispielsweise spiegle die derzeitige Stadt- und Regionalplanung eine jahrzehntelang forcierte Trennung von Arbeit, Wohnen und Freizeit wider – was die Handlungsspielräume für nachhaltige Mobilität stark einschränke. Politik diene tendenziell der Stabilisierung bestehender Verhältnisse, nicht deren Transformation.

Energie-Lobbying

Dass die politische Macht lieber vertraute Wege geht, illustriert ein anschauliches Beispiel Schäfers, zitiert nach einem Artikel der deutschen Taz. Vertreter jener Energieriesen, bei denen nach wie vor konventionelle nukleare und fossile Energieträger das Geschäft wesentlich bestimmen, dominieren demnach das Lobbying bei Spitzenpolitikern. EON und RWE in Deutschland hatten etwa seit 2015 jeweils 40 Kontakte, darunter jeweils mehrere mit Kanzlerin Angela Merkel und jeweils über 20 mit Regierungsmitgliedern. Der größte deutsche Windkraftanlagenproduzent Enercon kommt dagegen nur auf drei Gespräche, zwei auf Ministerebene.

Soziale Initiativen, die "von unten" auf eine gesellschaftliche Transformation abzielen, können bei Erfolg durchaus im Mainstream landen – vom Bioladen aus der alternativen Szene zur Produktlinie beim Diskonter, vom privaten Car-Sharing in der Nachbarschaft zum Geschäftsmodell großer Autokonzerne. Die Politik habe laut Schäfer hier die Aufgabe, geschützte Experimentierräume zu schaffen, in denen neue soziale Initiativen gedeihen können.

Die Politik benötigt für ihre Weichenstellungen gesicherte Informationen über die Mechanismen hinter der Bedrohung durch den Klimawandel. Hier kommt der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) als Schnittstelle zwischen Wissenschaft auf der einen Seite und Politik und Gesellschaft auf der anderen Seite ins Spiel. Die IPCC-Berichte sind Grundlage für die internationalen Anstrengungen gegen die globale Erwärmung und haben nicht zuletzt das Pariser Übereinkommen überhaupt erst möglich gemacht.

Helmut Haberl, Vorstand des Instituts für soziale Ökologie der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, der heuer mit einem hochdotierten Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates ERC ausgestattet wurde, ist leitender IPCC-Autor, zuständig für ein Kapitel zu Land- und Forstwirtschaft sowie weiteren Landnutzungen. "Die Sachstandsberichte geben jeweils den aktuellen Stand der Wissenschaft wieder. Die Inhalte sind qualitätsbewertet und mit Unsicherheitsbandbreiten versehen, um sie für das politische System verständlich darzustellen", erklärt der Wissenschafter.

Der letzte Bericht erschien 2013/14. Die Vorarbeiten für den sechsten Sachstandsbericht, der 2022/23 abgeschlossen sein soll, sind bereits im Laufen. Bei einem Meeting Anfang Mai in Addis Abeba wurde eine erste Übereinkunft für Inhalte getroffen, die dann im kommenden Herbst fixiert werden, erklärt Haberl. "Wenn dann klar sein wird, welche Themen dabei sind, werden die Autoren des Berichts bestellt."

In dem jahrelangen Prozess entstehen tausende Berichtseiten, die die aktuellen Forschungsstände abbilden. Sie durchlaufen mehrere Begutachtungsprozesse, bei denen wiederum tausende Kommentare von Wissenschaftern und Regierungsexperten berücksichtigt und eingearbeitet werden. Eine finale Zusammenfassung für die Politik gehen die Wissenschafter und Vertreter aller Regierungen Zeile für Zeile durch.

Globale Übereinkunft

"Dabei wird in einem großen Saal jeder Satz per Beamer an die Wand geworfen. Wenn ein Einspruch vorgebracht wird, muss die Formulierung verhandelt werden", erklärt Haberl den mühsamen Vorgang. "Sinn der Sache ist, dass Regierungen nicht mehr hinter die hier beschlossenen Formulierungen zurückgehen können. Bei Klimaverhandlungen wie jenen in Paris werden die festgesetzten Formulierungen dann sehr wirkmächtig."

Der aufwendige Prozess, der vom IPCC entwickelt wurde, soll trotz der Vielstimmigkeit eines stets um Hinterfragung von Ergebnissen bemühten Wissenschaftsbetriebs dem politischen System klare Aussagen zur Verfügung stellen. Dazu gehört auch das, was Insider "calibrated language" nennen. "Wenn im IPCC-Bericht die Formulierung 'more likely than not' steht, drückt das sehr präzise einen vordefinierten Wahrscheinlichkeitsgrad aus", erklärt Haberl. In ähnlicher Weise gibt es verschiedene Klassifikationen dazu, wie gut bewiesen oder wie widerspruchsfrei ein Sachverhalt ist.

In Haberls Bereich der Landnutzung, der stark mit der Lebensmittelerzeugung zusammenhängt, werde zurzeit die Verbraucherseite stärker diskutiert. "Hier gibt es ein großes Potenzial, beispielsweise was die Reduktion des Konsums tierischer Produkte betrifft", so Haberl. "Die Politik könnte vermehrt Anreize schaffen, um Gesundheitsmaßnahmen und Verringerung von CO2-Emissionen zu kombinieren." Dabei sei aber klar, dass das IPCC immer nur für die Politik relevante Fakten aufs Tapet bringe, ohne aber einen "richtigen" Weg vorschreiben zu wollen.

Zur Umsetzung der Klimaziele in einem ökonomischen Bezugsrahmen benötigt die Politik passende Instrumente wie etwa den Emissionshandel. Karl Steininger, Wissenchafter am Institut für Volkswirtschaftslehre und am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Uni Graz, arbeitet mit seinen Kollegen an einem Klimafondsprojekt zur gerechteren Verteilung von Emissionsrechten.

Emissionsverursacher

"Derzeit werden die Emissionen jenem Land zugerechnet, in dem sie entstehen – unabhängig davon, was mit den Gütern passiert, durch deren Herstellung sie verursacht werden", sagt Steininger. Würde man die Emissionen allerdings nicht dem Land der Produktion, sondern dem Land des Konsums zurechnen, würde die Sache anders aussehen. "Wir ziehen dann in Österreich die Emissionen des Stahls ab, den wir nach Deutschland exportieren, und rechnen jene hinzu, die durch die Produktion unserer Handys in China entstehen", gibt Steininger ein Beispiel. Insgesamt würde eine derartige neue Emissionsbilanz 50 Prozent mehr Emissionen für Österreich ausweisen als nach der bisherigen Vorgangsweise.

Dank dieses Prinzips hätte man durch den Außenhandel einen Hebel in der Hand, der Emissionen überall auf der Welt verringern könnte. Steininger und Team arbeiten daran, Instrumente für dieses Nachfrageprinzip zu entwickeln: "Wenn wir gewisse Eigenschaften eines Produktes vorschreiben, die auch ausländische Produzenten erfüllen müssen, können wir so zu einer Verbesserung der CO2-Bilanz beitragen." Kontraproduktive Regeln müssten zudem geändert werden. "Man könnte etwa Baustoffe begünstigen, die weniger CO2-intensiv sind, und etwa unnötige, einschränkende Regelungen beim Holzbau auflassen", gibt Steininger ein Beispiel.

Abwanderung verhindern

Eine nachfrageorientierte Emissionsbilanz würde zudem der Abwanderung von Industrien entgegenwirken. Würde die Stahlproduktion aufgrund ihrer Emissionen in Europa unter Druck kommen, wäre das ein weiterer Anreiz, um sie etwa nach China auszulagern, wo eventuell noch mehr Emissionen anfallen und die globale Bilanz verschlechtern.

Und welche wirtschaftliche Relevanz haben die eingangs beschriebenen Veränderungen im österreichischen Wald? "Der Forstwirtschaft tut es weh, wenn die Fichte verschwindet, weil man mit ihr gutes Geld verdienen kann", sagt Robert Jandl vom Bundesforschungszentrum für Wald. Mit Eichen wäre das schwieriger.

Weil Holz ein nachwachsender CO2-Speicher ist, wirke sich jede Nutzung positiv auf die Emissionsbilanz aus. Die Holwirtschaft mit ihren langen "Produktionszeiträumen" von 80 Jahren muss aber besonders vorausschauend agieren, beispielsweise um neuen Schädlingen zu begegnen. "Keine der künftigen Baumgenerationen wird der heutigen gleichen. Wir müssen jetzt den Wald dorthin bringen, wo das Klima in 80 Jahren ist", sagt Jandl. (Alois Pumhösel, 1.6.2017)