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Mitte Mai spricht ein älterer Mann in schwarzer historischer Uniform ungewöhnliche Worte in das Mikrofon einer ORF-Journalistin des Politmagazins "Report": "Wenn ich heute über Hitler rede, sehen das alle negativ. Warum? Er hatte eine Ideologie und hat Deutschland groß gemacht. Das tun wir heute auch. Wir haben 75 Jahre gebraucht, um einzusehen, dass das ein kluger Mann war, der Ordnung schaffen wollte."

Wenig später bedankt sich der Uniformierte dafür, dass ihn die österreichische Polizei schützt, denn vor wenigen Jahren wollte ihm jemand seine Kappe vom Kopf reißen, erzählt er empört. Seine schwarze Kappe gehört zu der Uniform der kroatischen Ustascha, eines rechtsextremen, nationalistischen, faschistischen Bundes, und er trug sie heuer bei der Gedenkfeier auf dem Loibacher Feld im Kärntner Bleiburg am 13. Mai.

Der Mann in Ustascha-Uniform ist ein regelmäßiger Besucher des alljährlichen Treffens in Kärnten, das offiziell als kirchliche Veranstaltung auf einem Privatgelände angemeldet ist. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) spricht allerdings seit Jahren von "einem der größten Treffen von Neonazis in ganz Europa". "Es ist ein Skandal, dass – nur wenige Tage nachdem das offizielle Österreich der Opfer des NS-Regimes gedacht hat – dessen kroatische Kollaborateure und deren Nachfolger im Geiste sich ungehindert in Österreich versammeln", erklärte DÖW-Präsident Rudolf Edlinger in seiner diesjährigen Aussendung. Die Israelitische Kultusgemeinde Wien appellierte ebenfalls an Kärntner Politiker, dem Treffen ein Ende zu setzen.

Fahnen der paramilitärischen Einheiten aus dem Kroatienkrieg (1991–1995) wehen zusammen mit der kroatischen Staatsflagge bei der Messe in Bleiburg.
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Parallel dazu wird in Kroatien hitzig darüber diskutiert, was genau sich in Bleiburg Anfang Mai 1945 ereignet hat und welchen Charakter die Gedenkfeier hat. Die Debatte um Bleiburg spaltet seit Jahrzehnten die kroatische Gesellschaft, denn die Suche nach der historischen Wahrheit über die Ereignisse von 1945 ist für einige noch lange nicht abgeschlossen.

Bleiburg im Mai 1945

Die Geschehnisse knapp vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs lassen sich 70 Jahre später recht genau rekonstruieren. Am 6. Mai 1945 gab Ante Pavelić, Führer des kroatischen Vasallenstaats (Nezavisna Država Hrvatska, NDH) von Hitlers und Mussolinis Gnaden, seinen Truppen den Befehl, sich aus der Hauptstadt Zagreb zurückzuziehen. Angehörige der faschistischen Ustascha, weitere Nazi-Kollaborateure aus Kroatien und Slowenien, Kosaken sowie Angehörige serbischer und montenegrinischer Tschetnik-Truppen, die sich unterwegs anschlossen, zogen in einer kilometerlangen Kolonne Richtung Kärnten. Teil der Kolonne waren neben einfachen Soldaten und Befehlshabern auch Zivilisten und Familienangehörige.

Ziel des Marsches war es, sich vor den näherkommenden jugoslawischen Partisanen in Sicherheit zu bringen, um sich in Österreich den britischen Truppen zu ergeben. Unterwegs gab es, auch noch nach der Kapitulation des Deutschen Reiches am 8./9. Mai, Kampfhandlungen mit Partisanen der Jugoslawischen Volksarmee.

Am 14. Mai 1945 steht die Kolonne auf dem Loibacher Feld vor Bleiburg. Die Briten lehnen jedoch die Übernahme der Soldaten in die Kriegsgefangenschaft ab, die kroatischen Unterhändler müssen sich mit der bedingungslosen Kapitulation abfinden.

Die Briten schicken die Kolonne zurück Richtung Jugoslawien, wo sie auf die kriegsverbündeten Partisanen trifft. Hier beginnen die Vergeltungsmaßnahmen und das Morden. In tagelangen "Todesmärschen", die in der aktuellen kroatischen Debatte auch als "Kreuzweg" bezeichnet werden, kommen Tausende ums Leben: Zuverlässige unabhängige Quellen gehen von 50.000 bis 70.000 Personen aus. Die meisten Ustascha-Soldaten werden getötet, jene aus anderen Kollaborateurseinheiten teilweise freigelassen. Unter den Toten sind, wie Zeugenberichte bestätigen, auch Zivilisten.

"Es handelte sich auf alle Fälle um Rache und Bestrafung wegen des vierjährigen Terrors und der Verbrechen, die verübt wurden, aber es gab natürlich auch ideologische Gründe: Man wollte sich der potenziellen Feinde der neue Machtstrukturen entledigen", erklärt der kroatische Historiker Hrvoje Klasić von der Universität Zagreb.

Klasić führt aber einen weiteren Grund für das drastische Vorgehen der siegreichen Partisanen an: Die Ustascha-Verbände waren weiterhin bereit, zusammen mit den Briten gegen die kommunistischen Truppen zu kämpfen. "Einige Tage vor dem Rückzug aus Zagreb hat Ante Pavelić den Briten eine Kapitulation angeboten, aber nur unter der Voraussetzung, dass der Kampf gegen die Partisanen fortgesetzt würde. Es gab keine Reaktion von der britischen Seite, das Dokument wurde an Tito weitergeleitet", so Klasić. Dieses Dokument nimmt Tito als gewichtiges Argument, um die Feinde auf teils grausame Weise und ohne ein Kriegsgericht loszuwerden.

Auf dem Loibacher Feld vor Bleiburg gab es jedoch keine Kämpfe und keine Tötungen. Die meisten bisher ausgehobenen Gräber zeugen von Hinrichtungen im kärntnerisch-slowenischen Grenzgebiet, in Huda Jama in der slowenischen Untersteiermark, in Opčine bei Triest und in Tezno nahe Maribor. Jedoch wurde Bleiburg für alles, was in den Tagen nach Bleiburg passierte, vom nationalistischen Narrativ zum Symbolort der Nationaltragödie erhoben.

Dass ausgerechnet ein Ort außerhalb des kroatischen und des jugoslawischen Staatsgebiets gewählt wurde, ist kein Zufall, sagt der Zeithistoriker Vjeran Pavlaković von der Universität in Rijeka: "Eine kleine Gruppe ehemaliger Ustascha-Offiziere hat Bleiburg nach dem Zweiten Weltkrieg auserkoren, um die eigene Vergangenheit reinzuwaschen und sich als Opfer zu stilisieren. Dazu waren die Ereignisse vom Mai 1945 natürlich sehr geeignet."

Opfermythos der Ustascha

In Bleiburg treffen sich ab Mitte der 1950er-Jahre jene hochrangigen Ustascha, die in der Emigration in Deutschland, Österreich, in Nord- und Südamerika leben und hier auch vom jugoslawischen Geheimdienst UDBA beobachtet werden. Viele von ihnen sind weiterhin politisch aktiv, ebenso der ehemalige Führer des NDH-Staats, Pavelić. Er befand sich im Mai 1945 nicht in der Kolonne nach Bleiburg, sondern floh über Salzburg nach Italien, wo er sich in Rom versteckte. Von dort aus emigrierte er einige Jahre später nach Argentinien, wo er eine kroatische Exilregierung gründete.

Unter den hochrangigen Ustascha, die fliehen konnten, waren auch Verhandler aus Bleiburg, Danijel Crljen und Ivo Herenčić, sowie der Kommandant des kroatischen Konzentrationslagers Jasenovac, Vjekoslav "Maks" Luburić. Das Narrativ, das die Ustascha-Emigranten in den nächsten Jahrzehnten pflegen, blendet die Verbrechen von 1941 bis 1945 vollkommen aus. "Sie wollten sich selbst gerne als heimattreue Patrioten sehen, die antikommunistisch waren, und nicht als die faschistischen Kollaborateure, die sie waren. Dieses leicht zu manipulierende Narrativ übernimmt der neue unabhängige kroatische Staat in den 1990ern", erklärt Pavlaković, der das Gedenken in Bleiburg seit Jahren für das Projekt "Framnat" beobachtet.

Während die Ustascha-Angehörigen und ihre Nachkommen in der Diaspora ausschließlich den Opfermythos der Besiegten pflegen und von einer Wiedererweckung der kroatischen Nation träumen, wird zur gleichen Zeit im sozialistischen Jugoslawien ein konträres Geschichtsbild gepflegt. "Es gibt keine Zweifel daran, dass im sozialistischen jugoslawischen Staat das Vergangenheitsnarrativ tendenziös und stark ideologisiert war. Betont wurden nur jene Momente, die auf Brüderlichkeit und Einheit – Bratstvo i jedinstvo – hinweisen, sowie Heldentaten der Partisanen im Kampf gegen die deutschen Besatzer. Weniger ruhmreiche Ereignisse wurden entweder verschwiegen oder kleingeredet", beschreibt Klasić den in Jugoslawien tradierten Blick auf den Zweiten Weltkrieg und die Zeit davor. Bleiburg und die Massenerschießungen, die danach erfolgten, sowie der Kampf gegen ideologischen Gegner waren kein Thema.

Gedenkstein auf dem Loibacher Friedhof.
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Nach dem Zerfall Jugoslawiens fand in allen neuen unabhängigen Staaten eine Revision der Vergangenheitsinterpretation statt. Die Demokratisierung brachte allerdings keine differenzierte Betrachtung der gemeinsamen Geschichte, im Gegenteil: Es entwickelten sich parallele nationalistisch-revisionistische Geschichtsbilder, die ausschließlich die Opferrolle der eigenen Nation pflegten. "In Kroatien beginnt in den 1990ern ein Revisionismus in seiner negativsten Ausprägung: Alles, was weiß war, wird nun schwarz, und umgekehrt. Der Nationalismus ersetzt die kommunistische Ideologie, die selektive Wahrnehmung der positiven Aspekte der serbisch-kroatischen Beziehungen, die es in Jugoslawien und davor gab, weicht ausschließlich negativen Wahrnehmungen und der Betonung der Feindschaft", so Klasić, der zur Geschichte des 20. Jahrhunderts forscht.

Zu diesem Revisionismus gehört auch das Narrativ, das kurz vor dem Ausbruch der Jugoslawienkriege und während seines Verlaufs verbreitet wurde: "Die Lehrbücher in den 1990ern sind voll davon: Ein Schüler konnte den Eindruck gewinnen, dass das, was gerade passierte, während er in seinem Geschichtsbuch las, etwas ist, das eine hundertjährige Kontinuität hat", analysiert Klasić. Dieses nationalistische Narrativ wurde auch von politischen Kommentatoren außerhalb des jugoslawischen Raums unterstützt, indem der Zusammenbruch Jugoslawiens und seine blutigen Folgen als schon im Vorhinein feststehend und unvermeidlich angenommen wurden.

Die Festlegung auf diese zu einfache, aber auch verlockende Ursachenanalyse passierte gewiss auch wegen der offensichtlichen Reaktivierung der Feindbilder: Die paramilitärischen Einheiten in Kroatien trugen Ustascha-Symbole und Embleme, die aufseiten der Serben jene der Tschetniks.

Was nach den Jugoslawienkriegen passierte, bezeichnet der Belgrader Soziologieprofessor Todor Kuljić als "Bürgerkrieg der Erinnerungen". Wobei das nicht nur für das Erinnern an die Bürgerkriege von 1991 bis 1995, sondern auch für die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg gilt. Für die innerkroatische Debatte bedeutet das eine emotional aufgeladene Neuverhandlung der jugoslawischen Geschichte von 1945 bis 1991 einerseits und die schmerzhafte Aufarbeitung der eigenen Schuld im Zweiten Weltkrieg und der Verbrechen der Ustascha andererseits.

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Auf einer Gedenktafel für die gefallenen kroatischen Soldaten in Jasenovac ist der faschistische Gruß "Za dom spremni – "Für die Heimat – bereit" zu sehen. Die Vertreter der jüdischen Opfer verweigerten in diesem Jahr die Teilnahme an der staatlichen Feier für die Opfer des KZ Jasenovac.
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Das Hochstilisieren von Bleiburg zum identitätsstiftenden Opfermythos der rechtsgerichteten politischen Kräfte in Kroatien passierte und passiert noch immer zusammen mit dem Kleinreden der Verbrechen im Konzentrationslager Jasenovac, erklärt die Wiener Politikwissenschafterin Ljiljana Radonić. Das Bemühen, Bleiburg und Jasenovac im Geschichtsdiskurs als gleichwertig zu etablieren, fängt bereits mit dem Buch des ersten kroatischen Präsidenten und gelernten Historikers Franjo Tuđman, "Irrwege der Geschichtswirklichkeit", an. Tuđman korrigiert die Zahl der Jasenovac-Opfer nach unten, und "obwohl er nie gesagt hat, die Verbrechen im Konzentrationslager Jasenovac und die Ereignisse nach Bleiburg seien gleichwertig, hat er dieses Klima vorbereitet", sagt Radonić.

Tuđjmans "nationale Versöhnung"

In ihrem 2010 erschienenen Buch "Krieg um die Erinnerung. Kroatische Vergangenheitspolitik zwischen Revisionismus und europäischen Standards" analysierte Radonić die antagonistischen Diskurse der kroatischen Geschichtspolitik anhand der Berichterstattung in den Tageszeitungen "Vjesnik" und "Novi list". Wenn kroatische Politiker der rechtskonservativen Regierungspartei HDZ bei der Gedenkfeier in Jasenovac auftraten, "erwähnten sie auch immer mantrahaft Bleiburg", so Radonić.

Der kroatische Ministerpräsident Andrej Plenković bei einer Gedenkfeier in Jasenovac.
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In den 1990ern erfuhr das Gedenken in Bleiburg immer mehr Aufmerksamkeit, konnte mit prominenteren Rednern aus Politik und katholischer Kirche aufwarten als die Gedenkfeiern in Jasenovac. Der kroatische Staat übernahm in den 1990ern die Schirmherrschaft über die privat organisierte Veranstaltung in Kärnten. "Einer der Gründe, wieso das Parlament bald die Schirmherrschaft übernahm, war auch die massive Kritik, die in Bleiburger Reden an Tuđman geübt wurde. Die rechtsextreme Partei HSP hat Bleiburg dazu benutzt, sich zu positionieren. So hat Tuđmans HDZ die Veranstaltung an sich gerissen, er hat also quasi die Konkurrenz aufgekauft", sagt der Zeithistoriker Pavlaković.

Tuđman geht noch weiter und greift seine Idee aus den 1980ern über "das gleichwertig Böse" im Jahr 1996 wieder auf: Eine sogenannte Nationale Versöhnungsstätte solle in Jasenovac geschaffen werden. Dort sollten die Knochen der Opfer des KZ Jasenovac buchstäblich mit jenen von Bleiburg vermischt werden. In den 1990er-Jahren wird versucht, Jasenovac ausschließlich als Lager für politische Gegner des faschistischen NDH-Staats zu definieren. Diese politischen Gegner sollten auch als Kroaten wahrgenommen werden, und so werden die Jasenovac-Opfer zu "kroatischen Opfern" umgedeutet, erklärt Radonić. Die rassische Vernichtung der Serben, Juden und Roma im KZ Jasenovac, die Ustascha – angelehnt an die Nazi-Ideologie – durchgeführt haben, wird totgeschwiegen.

Parallel dazu wird der Mythos bestärkt, dass in Bleiburg und in den Tagen danach ausschließlich unschuldige Kroaten umgekommen seien. In Loibach bei Bleiburg steht auf dem Gedenkstein auf Kroatisch: "Zu Ruhm und Ehre der gefallenen kroatischen Armee, Mai 1945", darunter abgewandelt auf Deutsch: "Zum Gedenken an die gefallenen Kroaten, Mai 1945". Die Tscherkessen, Slowenen, Montenegriner und Serben unter den Opfern werden auch bei den Gedenkfeiern nicht erwähnt.

"Nationale Versöhnung"

Über Tuđmans Idee der "nationalen Versöhnung" sagt der Historiker Hrvoje Klasić: "Ich glaube nicht, dass Tuđman die Ustascha rehabilitiert hat, aber er wollte diesen Aspekt betonen, dass die Ustascha einen kroatischen Staat wollten und dass sie Antikommunisten waren. Das ist natürlich wahr, aber das ist eben auch nur die halbe Geschichte."

Jahr für Jahr wird auf dem Loibacher Feld bei Bleiburg ausschließlich diese halbe Geschichte erzählt. Während vorne auf der Bühne hochrangige Politiker, Bischöfe der kroatischen katholische Kirche und Imame (unter den Ustascha waren auch kroatische und bosnische Muslime) reden und für die Seelen der Opfer beten, wehen vor der Bühne Flaggen der paramilitärischen Einheiten aus dem Kroatienkrieg der 1990er-Jahre. Das Ustascha-Wappen, das im Unterschied zum aktuellen kroatischen mit einem weißen Feld beginnt, ist allgegenwärtig, Nazi- und Ustascha-Devotionalien werden offen und unter der Hand zum Kauf angeboten, im Bierzelt abseits der Bühne werden Ustascha-Lieder gesungen, die die Opfer des Konzentrationslagers Jasenovac verhöhnen, die Hand wird zum Hitlergruß erhoben, der kroatische Faschistengruß "Za dom spremni" wird gegrölt.

"Za dom spremni – "Für die Heimat – bereit" – ist in Bleiburg allgegenwärtig. Es ist der Gruß der faschistischen Ustascha, der in den 1990ern wieder in Verwendung kam. Historiker widerlegen die Behauptung, dass es sich "lediglich um einen alten kroatischen Gruß" handle.
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Beim diesjährigen Bleiburger Treffen am 13. Mai gab es laut Polizei und Verfassungsschutz drei Anzeigen nach dem Verbotsgesetz. Das Online-Magazin "Vice" berichtete in einer Reportage von "wesentlich mehr Menschen, die den Hitlergruß gezeigt oder ihre Hakenkreuz-Tattoos offen zur Schau gestellt haben". Journalisten des Magazins "News" und des ORF beklagten die Passivität der Polizei.

"Vice"-Reporter Paul Donnerbauer wurde von den privaten Sicherheitskräften attackiert.
Paul Donnerbauer

Frustration unter Kroaten

Auf der kroatischen Seite fiel zumindest die mediale Debatte heuer etwas leiser aus – die kroatische Regierung befindet sich gerade in einer politischen Krise. Unter den Historikern und den politischen Akteuren ortet der Historiker Tvrtko Jakovina von der Universität Zagreb "eine unendliche Frustration, weil wir seit 25 Jahren ununterbrochen die gleiche Debatte führen". Diese Diskussionen würden zu keinen neue Erkenntnissen führen, sagt Jakovina, der rege an der medialen Debatte teilnimmt und von Rechten massiv kritisiert wird. "Wir werden immer mehr zu einer geteilten Gesellschaft, weil die pseudowissenschaftliche Debatte die politische Auseinandersetzung usurpiert hat."

Die politische Elite in Kroatien habe ein großes Interesse daran, gewisse Teile der Geschichte immer wieder zu perpetuieren. Dazu gehören vor allem die Geschehnisse im Mai 1945. Es findet keine Revisionismus statt, der mit zusätzlichen Quellen und Belegen arbeitet, es wird lediglich an der Rehabilitation des Ustascha-Regimes gearbeitet. In allen Gesellschaften Zentraleuropas gebe es rechtsgerichtete populistische Kräfte, die den Faschismus verharmlosen, aber in Kroatien sei das nun zum Mainstream geworden, so Jakovina.

So war auch die Empörung groß, als in Kroatien berichtet wurde, dass es in Österreich Initiativen für ein Verbot der Gedenkfeier in Bleiburg gebe. Von einem Verbot hält Jakovina zwar nicht viel, aber er begrüßt die Sensibilisierung der österreichischen Öffentlichkeit und ein größeres Interesse an "den Ereignissen, die auf ihrem Staatsgebiet möglich sind".

Österreichische Verantwortung

"Österreich und vor allem die österreichischen Besitzer der auflagenstärksten Zeitungen in Kroatien würden uns viel mehr helfen, wenn sie darauf achten würden, dass ihre Medien keine hetzerischen, fremdenfeindlichen und revisionistischen Berichte veröffentlichen", klagt Jakovina. Gemeint sind die größten kroatischen Boulevardblätter "Večernji list" und "24 sata", die sich im Besitz der österreichischen Styria Media Group befinden.

Jakovina kritisiert die Fähigkeiten seiner Kollegen aus dem Wissenschaftsbetrieb: "Die Historiker sind nicht imstande, eine klare und einheitliche Position zu beziehen, auch wenn ihre Integrität als wissenschaftliche Disziplin ständig infrage gestellt wird und sie offen angegriffen werden." Pseudowissenschaftliche Arbeiten leugnen die Existenz des KZ Jasenovac und verbreiten die Geschichte, dass es in Wahrheit ein nach 1945 errichtetes kommunistisches Lager war, "obwohl es dafür keinen einzigen Beleg oder auch nur eine Zeugenaussage gibt", so Jakovina.

Vor wenigen Wochen wurde der Dokumentarfilm "Jasenovac – die Wahrheiten" mit dem Preis der Stadt Zagreb ausgezeichnet. Der Autor des Films, Jakov Sedlar, will die Geschichte des KZ Jasenovac vollkommen umschreiben: Es sei bis 1945 lediglich ein Sammel- und Arbeitslager gewesen, heißt es. Der Film wird aktuell in kroatischen Diasporavereinen in Deutschland und Österreich gezeigt.

Einer der bekanntesten bosnisch-kroatischen Schriftsteller und Essayisten der Gegenwart, Miljenko Jergović, hat für Kroatien und die anderen exjugoslawischen Länder einen Lösungsvorschlag: "Die verfeindeten Völker muss man aus den eigenen Mythologien, in denen die Verlierergeschichten fehlen, herausführen und ihnen die Fähigkeit zur Empathie zurückgeben. Das ist eine Aufgabe für Visionäre, große Staatsmänner, Dichter und Wahrsager, aber nicht für Historiker." (Olivera Stajić, 6.6.2017)