Ruderleiberl und Slim-Fit-Anzug: Robert Misik und Christian Kern, Freunde aus Jugendtagen, stellten im Kreisky-Forum das erste Kanzlerporträt in Buchform vor.

Foto: Regine Hendrich/STANDARD

Wien – Die Veranstaltung war seit Wochen ausgebucht, die Buslinie nach Grinzing hätte eine Extragarnitur vertragen: Obwohl sich der große Hype nun um den Konkurrenten dreht, zieht Christian Kern immer noch – zumindest bei intellektuell ambitionierten Sozialdemokraten, wie sie sich regelmäßig in der früheren Villa des Überkanzlers Bruno Kreisky zur Debatte treffen. Aktueller Anlass: Autor und STANDARD-Videoblogger Robert Misik hat über Kern ein Buch verfasst, Schreiber und Beschriebener stellten es gemeinsam vor.

Doch Startum – das ist ihm an diesem Abend sichtlich wichtig – weist der Kanzler und SPÖ-Chef weit von sich. Nichts wäre angesichts seiner Biografie falscher als die Behauptung, er habe all das allein geschafft, sagt Kern: Vielmehr sei die eigene Karriere das "Ergebnis einer Solidargemeinschaft", die auch einem Elektrikersohn den Vorstoß in die höchsten Ämter erlaube. Das Gerede über seine schicken Slim-Fit-Anzüge und "den ganzen Schwachsinn" könne man getrost beiseiteschieben, geprägt habe ihn etwas anderes: "Das Spüren, wo du hingehörst."

Ein "unfassbares Erlebnis" sei der Auftritt am ersten Mai vor tausenden Genossen, die für dieselben Visionen "brennen", gewesen: "Du merkst, du bist ein Pünktchen in einem Ozean. Deshalb treten wir auch nicht als Liste Kern an." Nein, die Idee der Partei sei nicht obsolet, sagt er, das werde sogar ein Emmanuel Macron merken. Der "unabhängige" französische Präsident werde nicht anders können, als eine Partei zu formen: Mit einer beliebig zusammengewürfelten Bewegung lasse sich keine "kraftvolle" Politik betreiben.

In der populistischen Spirale

Auch Misik ist der SPÖ verbunden, ihren nunmehrigen Chef kennt er seit 30 Jahren. Weil es im Umfeld eines Kanzlers womöglich nicht so viele Leute gebe, die ihm offen die Meinung sagen, sei er manchmal auch "grob" zu Kern, sagt der Autor – doch für diesen Abend gilt das nicht. Kerns Signale in der Zuwanderungspolitik, die so mancher Sozialdemokrat als Rechtsruck empfand, werden nur sachte angekratzt. Seine Kritik an der allgegenwärtigen Inszenierung in der Politik wird der SP-Chef los, ohne im Gegenzug erklären zu müssen, ob er diese Geister – Stichwort Pizzabotenauftritt – mitunter nicht auch selbst rief.

Eine "populistische Spirale" sieht Kern in Gang gesetzt: Die Schlagzeile sei Maß aller Dinge, als politischer Erfolg gelte, wenn die Kronen Zeitung wohlwollend schreibe. Aber immerhin, eines könne er dem Publikum vor der Wahl garantieren: "Was jetzt kommt, wird unterhaltsam werden." (Gerald John, 30.5.2017)